Geheimpapiere über US-Drohnenkrieg: Find, Fix, Finish

Ein Whistleblower gibt Einblick in den Drohnenkrieg der USA: Für eine Zielperson töten Drohnen neun weitere Menschen. Mehr als 100 gucken zu.

Militärdrohne fliegt über karger Landschaft

Kampfdrohne „Predator“ auf Probeflug über Kalifornien. Foto: rtr

NEW YORK taz | Ein „Jackpot“ ist ein Volltreffer. So etwas ist auch im Drohnenkrieg extrem selten, wie Recherchen der Webseite The Intercept offen legen. Gemeint ist in diesem Zusammenhang die gezielte Tötung eines Menschen auf Grundlage einer Entscheidung von Geheimdiensten, Pentagon und Weißem Haus. Laut Intercept kommt es vor, dass die USA für eine einzige Person, die auf einer „Kill-Liste“ von Washington steht, in Afghanistan neun weitere Menschen tötet. Im US-Militärjargon werden diese nicht anvisierten Kollateral-Toten posthum zu „im Kampf getöteten Feinden“ gemacht.

Ein anonymer Whistleblower aus dem Sicherheitsapparat hat diese und andere Interna aus dem Drohnenkrieg der USA an Intercept gegeben. Dort sind sie am Donnerstag in mehreren Artikeln unter dem Titel „Drone Papers“ erschienen. Die darin reproduzierten Dokumente zeigen die eingespielte Routine im Drohnenkrieg, die große Zahl von Mitwissern und Beteiligten, die Vertuschungsmethoden sowie die Entwicklung einer eigenen Sprache. Darin sind Menschen „Ziele“. Heißt ihre Auswahl, Verfolgung und Tötung: „Find, Fix, Finish“. Und werden ihre Daten auf „Baseball Cards“ aufgelistet. Letztere gehen als Entscheidungshilfe durch die Institutionen.

„Die Quelle“, so schreibt Journalist Jeremy Scahill, einer der Autoren der Veröffentlichung, „fand die ungeheuerliche Explosion von Watchlisting (...) für Todesurteile ohne Mitteilung und ohne Urteil (…) von Anfang an falsch“. Der Name und die Position der „Quelle“ sind unbekannt. Aber die Sozialen Medien haben sie umgehend zu einem neuen Edward Snowden gemacht.

Der ehemalige NSA-Mitarbeiter selbst, der seine eigenen Enthüllungen vor etwas über zwei Jahren gemacht hat und seither andere zur Nachahmung auffordert, tweetete aus seinem russischen Exil, es handele sich um „die wichtigste Geschichte des Jahres über nationale Sicherheit“. In Washington lehnte das Pentagon jeden Kommentar ab. Begründung: Er äußere sich nicht zu „internen, geheimen Dokumente“.

Bei Todesentscheid „Zeitfenster“ von 60 Tagen

Die meisten US-Medien schwiegen am Donnerstag über die Enthüllungen aus dem Drohnenkrieg. Stattdessen konzentrierten sie sich auf Barack Obamas Ankündigung vom Vormittag über den Afghanistankrieg. Der Präsident, der den vollständigen Abzug der US-Soldaten angekündigt hatte, will nun die US-Militärpräsenz verlängern. Im nächsten Jahr sollen weiterhin mehr als 9.000 und im übernächsten Jahr immer noch 5.500 US-Soldaten in Afghanistan im Einsatz sein. Damit wird Obama im Januar 2017 den Afghanistankrieg an seineN NachfolgerIn vererben.

Die „Drone Papers“ reproduzieren Schaubilder in deren Kopfzeile die Worte zu lesen sind: „secret“ und „noforn“ – für: geheim und nicht für Ausländer. Ein mehrfarbiges Schaubild aus dem Jahr 2013 zeigt die Entscheidungsfindung über Leben und Tod in Jemen und Somalia. Sieben gelbe Pfeile führen von Undercoveragenten vor Ort, über militärische Befehlshaber, hin zu mehreren Regierungsmitgliedern und Spitzenfunktionären bis ins Weisse Haus und zu dem Schreibtisch von POTUS (Kürzel für US-Präsident).

Wenn alle zustimmen, verfügen die Militärs anschließend über ein „Zeitfenster“ von 60 Tagen zum Töten. Auf dem Schaubild steht an dieser Stelle ein rot umrandeter vielzackiger gelber Stern, in dessen Mitte die Buchstaben „Stk“ stehen. Für den Fall, dass eine Person in der Kette der Autorisierung eines „Ziels“ widerspricht, wird die Aktion gestoppt. Neben anderen Regierungsmitgliedern war in dieser Kette auch Hillary Clinton in ihrer Zeit als Außenministerin an Drohnentötungen beteiligt.

Unter Obama mindestens 2.500 Tote durch Drohnen

Präsident Obama hat in seiner Amtszeit den Drohnenkrieg zu einer zentralen Waffe im Kampf gegen den Terror gemacht. Bis zum Januar dieses Jahres hat seine Regierung nach Recherchen des Londoner „Bureau of Investigative Journalism“ mindestens 2.500 Menschen mit Drohnen getötet. Unter den Toten waren sowohl US-amerikanische als auch europäische Staatsangehörige.

Im Januar 2012 traf es den britisch-libanesischen Staatsangehörigen Bilal el-Berjawi. Laut Intercept hatten die US-Behörden ihn fünf Jahre lang bei Reisen zwischen Somalia und Großbritannien überwacht. Dabei hätten sie verschiedentlich Gelegenheiten gehabt, ihn zu verhaften. Doch offenbar waren sie nicht daran interessiert, ihn zu verhören. Stattdessen erkannten Großbritannien ihm die britische Staatsangehörigkeit ab und die USA töteten ihn per Drohne in Somalia.

Die Enthüllungen von Intercept zeigen auch, dass zahlreiche Amtsträger in den Drohnenkrieg involviert sind. Nach dem langen Meinungsbildungsprozess verfolgen am Tag der Tötung mehr als 100 Personen die Bilder aus der Drohne. Das sind mehr als 100 Mitwisser, die schweigen.

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