piwik no script img

Gehaltsverzicht von neuer LinkenspitzeDurchschnittsgehalt soll genügen, um die Welt zu verändern

Ines Schwerdtner und Jan van Aken wollen Gehaltsverzicht üben. Um die Parteikrise zu beenden, wird das nicht reichen, wie zwei neue Austritte zeigen.

Wollen an vielen Haustüren klingeln: die neuen Linken-Vorsitzenden Ines Schwerdtner und Jan van Aken Foto: Hendrik Schmidt/dpa

Berlin taz | Die neue Doppelspitze der Linkspartei will Aufbruchstimmung verbreiten. „Wir gehen nun mit ziemlich viel Rückenwind aus dem Parteitag in unsere erste Woche“, sagte Jan van Aken am Montag bei seinem ersten gemeinsamen Auftritt mit Ines Schwerdtner als Linken-Vorsitzende in der Berliner Parteizentrale. Das könnte sich jedoch als bloßer Zweckoptimismus erweisen.

Dass nun ein frischer Wind durch das altehrwürdige Karl-Liebknecht-Haus weht, versuchten der 63-jährige Hamburger Biologe und die 35-jährige Berliner Publizistin mit einer Ankündigung zu dokumentieren: Von den monatlich 8.162,50 brutto, die ihnen in ihrer neuen Funktion laut Haustarifvertrag zustünden, würden sie nur 2.850 Euro netto behalten wollen. Der Rest solle in einen Sozialfonds gehen, um Menschen in Not zu helfen.

„Wir beide möchten die Welt verändern und da reicht ein Durchschnittsgehalt, das die Menschen in Deutschland verdienen, völlig aus“, sagte van Aken. „Wir sind der Überzeugung, dass abgehobene Gehälter auch zu einer abgehobenen Politik führen.“ Schwerdtner kündigte darüber hinaus an, dass sie „ganz persönlich“ künftig Sozialsprechstunden in der Parteizentrale anbieten werde. „Wir wollen auch zeigen: Wir sind nahbar, wir sind ansprechbar für die Menschen“, sagte sie.

Die Linke wolle „die Menschen ins Zentrum stellen“, so Schwerdtner. Deswegen würde die Partei jetzt auch „an die Haustüren Deutschlands“ gehen und fragen, was den Leuten unter den Nägeln brennt. Motto: „Während alle anderen reden, hört die Linke zu.“ Es gehe darum, sich den realen Problemen der Menschen anzunehmen. Das sei „die Basis für alles, was folgt“.

Zwei prominente Parteiaustritte

Ob das neue Führungsduo, das auch selbst an den Haustüren klingeln will, vielleicht bei Sören Benn und Henriette Quade vorbeischauen wird? Erst auf Nachfrage gingen die Linken-Vorsitzenden auf die zwei prominenten Abgänge ein. Benn, der frühere Bezirksbürgermeister von Berlin-Pankow, trat am Sonntag aus der Partei aus, die sachsen-anhaltinische Landtagsabgeordnete Quade folgte am Montag.

Besonders den Austritt Quades bedauere er zutiefst, sagte van Aken. Er hänge wohl mit den heftigen persönlichen Anfeindungen gegen sie durch propalästinensische De­mons­tran­t:in­nen vor der Tür des Parteitags zusammen. Die Beschimpfungen und Drohungen hatten dazu geführt, dass die 40-jährige Abgeordnete den Veranstaltungsort schließlich am Samstag durch einen Hintereingang verlassen musste.

Quade habe in den vergangenen Jahren eine „unfassbar tolle“ antifaschistische und antirassistische Arbeit geleistet, sagte er. „Dass sie jetzt austritt, ist wirklich schlimm.“ Er hoffe, „wir können sie überzeugen, dass sie irgendwann zurückkommt in die Partei, wenn sie sieht, dass wir uns vielleicht auch in einigen Punkten verändern“. Gleichwohl forderte van Aken sie zum Mandatsverzicht auf. Das sei schließlich eine Regelung, die für alle gelte, die die Partei verließen.

Quade will allerdings als fraktionslose Abgeordnete im Parlament bleiben. Ihren Austritt begründete sie mit dem mangelnden Kampf der Partei „gegen den unerträglichen Antisemitismus in den eigenen Reihen“. In den vergangenen Jahren und Monaten habe sie erlebt, „wie an vielen Stellen in der Partei Die Linke Einheit und Geschlossenheit mit dem Kompromiss erkauft wurden, zu Antisemitismus in den eigenen Reihen immer wieder zu schweigen und es Einzelnen überlassen wurde, dagegenzuhalten“, schreibt sie in ihrer Abschiedserklärung. Der Bundesparteitag habe ihr „gezeigt, dass sich daran nichts ändern wird“.

„Zeugen Jehovas der Politik“

Sören Benn begründete seinen Austritt mit einem längeren Entfremdungsprozess, der ihn nun dazu gebracht habe, „einer ehrlichen Trennung einer unredlich gewordenen Bindung den Vorzug zu geben“. Wie Quade im Jahr 2000 in die PDS eingetreten, bescheinigte der 56-Jährige der heutigen Linken, sie sei „kein Gestaltungsprojekt“ mehr, „sondern ein Identitätsprojekt“. Unabhängig von klugen und engagierten vielen Einzelnen habe sie „anscheinend eine gegenwärtig unaufhaltsame Drift: Sie mutiert zu den Zeugen Jehovas der Politik“.

Dass das angesichts der angekündigten großangelegten Haustürkampagne möglicherweise kein ganz abwegiger Gedanke sein könnte, wies van Aken am Montag entschieden zurück: „Wir gehen an die Haustüren, um zuzuhören, das ist ja was ganz Neues.“ Bei den Zeugen Jehovas sei es ihm hingegen „noch nie passiert, dass sie zugehört haben, die haben mich vollgequatscht“.

Nach dem Eklat auf dem Landesparteitag in Berlin vor einer Woche, als eine Debatte über linken Antisemitismus zum Auszug von mehreren Dutzend Delegierten geführt hatte, spricht derzeit vieles dafür, dass Benn und dem bereits Mitte vergangener Woche ausgetretenen langjährigen Abgeordnetenhaus-Fraktionsvorsitzenden Udo Wolf in kürzerer Zeit noch weitere aus dem Reformflügel folgen werden. Bei so manchen Berliner „Regierungslinken“ scheint die Entfremdung von der Partei, die sie lange geprägt haben, weit fortgeschritten zu sein. Mit dem erhofften Aufbruch könnte es für van Aken und Schwerdtner schnell wieder vorbei sein.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

12 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Vielen Dank für eure Beiträge, wir haben die Kommentarfunktion geschlossen. Die Moderation
  • "Schwerdtner kündigte darüber hinaus an, dass sie „ganz persönlich“ künftig Sozialsprechstunden in der Parteizentrale anbieten werde. „Wir wollen auch zeigen: Wir sind nahbar, wir sind ansprechbar für die Menschen“, sagte sie." Das hatten andere vorher auch versprochen. Meine Erfahrungen mit Kontakten zu Gysi und Ramelow z. B. sind andere. Die reagieren überhaupt nicht auf Kritik oder Bitten um Unterstützung.

    Beispiel: Die LINKE-Fraktion im Bundestag hatte ich gebeten, einmal den Bundesgesundheitsminister zu fragen, warum er öffentlich in Talkshows entgegen der Studienlage, dass es keine risikofreie Menge Alkohol gibt, immer noch zwei Gläser Rotwein am Tag eine kardiovaskuläre Schutzfunktion bescheinigt. Das ist Unsinn. Auf mehrere Mails an ihn und seinen Bundesdrogenbeauftragten bekam ich keine Antwort.

    Auch von der LINKEN-Fraktion keine Reaktion. So sieht also der Bürgerdialog aus. Ich sage DANKE!!!!

  • Der Diätenverzicht ist ein gutes Beispiel, glaubwürdig und verbindlich. Dafür meinen Respekt - allen Mäklern zum Trotz.

  • Welches Durchschnittsgehalt ? Das vom Allen. vom Tellerwäscher bis zum angestellten CEO ? Oder innerhalb einer Branche ? Wenn ja, nehmen die die IT-Brache, oder Mechatroniker oder Erntehelfer? Ausserdem: was gibt es neben dem ausbezahlten "Durchschnittsgehalt" ? Freies oder bezuschusstes Essen, Spesenpauschale ? Bezahlte Reisen und Zuschüsse für Telekommunikation und Literatur? Bahncard etc. ? Das ist Augenwischerei.

  • Gehaltsverzicht - wenn sie das durchziehen, haben sie meinen Respekt: Hic Rhodus, hic salta.

  • 2850,-€ Netto bedeuten ca. 4.600,-€ Brutto bei Steuerklasse 1.



    Ob 4.600€ Durchschnittlich ist?

    • @Der Cleo Patra:

      Das Durschnittsgehalt in Deutschland lag 2023 bei 4.480€ Brutto. 4.600€ kommt für 2024 vermutlich realistisch hin. Das was sie ursprünglich bekomme hätten liegt irgendwo in der unteren Skala eines Teamleiters in der Industrie, von abgehoben kann da auch keine Rede sein.

  • So heroisch wird das Opfer schon nicht sein und von 2800€ allein leben sie sicher auch nicht. Die gibt's ja on top zu dem, was sie jetzt schon verdienen, nehm ich mal an.

  • "Besonders den Austritt Quades bedauere er zutiefst, sagte van Aken. Er hänge wohl mit den heftigen persönlichen Anfeindungen gegen sie durch propalästinensische De­mons­tran­t:in­nen vor der Tür des Parteitags zusammen. Die Beschimpfungen und Drohungen hatten dazu geführt, dass die 40-jährige Abgeordnete den Veranstaltungsort schließlich am Samstag durch einen Hintereingang verlassen musste."

    Sicherlich ist es verkürzt dies auf die Anfeindungen vor der Tür zu schieben, aber richtig ist es zu sagen: "Warum erfahre ich erst jetzt aus der Presse davon? Warum hat das Parteitagspräsidium dort nicht agiert? Wo bleibt die Solidarität innerhalb der Linken?"

  • "Wie Quade im Jahr 2000 in die PDS eingetreten, bescheinigte der der 56-Jährige der heutigen Linken, sie sei „kein Gestaltungsprojekt“ mehr, „sondern ein Identitätsprojekt“. ..."



    Da haben wir wieder das Thema, das die einen nicht juckt und die anderen schier zur Verzweiflung bringt, die sog. "Identitätspolitik" und die Wurzeln einiger Zerwürfnisse.



    Das ist harter Tobak, sagt man.



    Und: da ist dann wohl was dran!



    Ob man hier was helfen kann?



    Erstmal braucht es einen Plan.



    Interessant als Buch oder Hörbuch, aber anstrengend und auch widersprüchlich, aber bemüht analytisch und auch faktenbasiert:



    "Die Gefahren der Identitätspolitik thematisiert Yascha Mounk in seinem neuen Werk: "Im Zeitalter der Identität. Der Aufstieg einer gefährlichen Idee". Der deutsche Politikwissenschaftler, der in den USA lehrt, betont dortige bedenkliche Tendenzen, aber aus einer liberalen Blickrichtung, nicht als schlichter Reaktionär.



    (...)



    Immer wieder macht der Autor die "progressive Linke" für die entsprechenden Tendenzen verantwortlich, wozu man sich mehr Differenzierung und Information gewünscht hätte."



    Quelle hpd.de



    Titel:



    "Einwände gegen die Identitätssynthese"



    Von:



    Armin Pfahl-Traughber



    11. Mär 2024

  • "Motto: „Während alle anderen reden, hört die Linke zu.“ Es gehe darum, sich den realen Problemen der Menschen anzunehmen. Das sei „die Basis für alles, was folgt“."

    -->Interessant wird wie der Vorstand damit umgeht, wenn die Antworten nicht ins eigene Weltbild passen. Wenn die Antworten auf die Frage nach den größten Sorgen mit Variationen von Wirtschaft, Migration und Krieg beantwortet werden.

    Alles Themen bei denen die Linke eher schwach aufgestellt ist. Was wenn das Wählerklientel der Linken sich die Wagenknecht Version linker Politik wünscht und nicht die identitätspolitisch aufgeladene "linke" Politik des Proseminars "Postkoloniale Theorie".

    Bisher jedenfalls muss man konstatieren, dass der Erfolg dem BSW recht gibt.

  • So hoch ist inzwischen der Durchschnitt geworden? Ich lerne wieder etwas.



    Was tatsächlich wichtig wäre: Dass alle Entscheidungsträger, nicht nur die Linken, in gesetzlicher Kranken- und Rentenversicherung wären, DB führen etc., um das Leben mitzubekommen. Sein müssten, denn es geht um Macht und Verantwortung, nicht um Fettleibe.