Gegen Queerfeindlichkeit: Berlin muss Rückgrat zeigen
Entwurf diskutiert: Die Arbeit an der Berliner Landesstrategie für queere Sicherheit und gegen Queerfeindlichkeit neigt sich dem Ende entgegen.

Der breit angelegte, wissenschaftlich begleitete Beteiligungsprozess wurde im März 2024 eröffnet, an ihm haben sich bereits mehr als 300 Vertreter:innen von Vereinen, Verbänden, Initiativen, Polizei und Senatsverwaltungen beteiligt. Die Konferenz am Mittwoch bildet den Abschluss dieses Prozesses. Ende August wird die Landesstrategie an den Senat übergeben, sagt deren Queerbeauftragter Alfonso Pantisano. Ende des Jahres will die Landesregierung darüber beraten.
Spürbar ist, wie sehr Kiziltepe das Thema am Herzen liegt, als sie erwähnt, wie rau das gesellschaftliche Klima geworden ist, wie sehr sie die stark zunehmende Zahl queerfeindlicher Angriffe besorge. Allein am Wochenende kam es zu drei Fällen – auf eine Bar in Prenzlauer Berg, ein Café im Schöneberger Nollendorfkiez und ein Paar in der Hasenheide. Teilnehmer:innen der Konferenz werden immer wieder darauf verweisen – das unterstreicht die Fassungslosigkeit.
Kleinbeigeben und wegducken ist nicht – so könnte ein Motto der Diskussionsbeiträge am Vormittag lauten. Und während auf dem Reichstag keine Regenbogenfahne zum Berliner CSD wie in den Jahren zuvor wehen wird, „zeigt Berlin Rückgrat“, wie Kiziltepe es formuliert. Am Roten Rathaus wird die Regenbogenfahne in Anwesenheit des Regierenden Bürgermeisters Kai Wegner (CDU) gehisst. Kiziltepe kann zudem einen Erfolg verbuchen: Der Senat hat am Dienstag auf ihre Vorlage hin beschlossen, im Bundesrat eine Grundgesetzänderung zu beantragen und sexuelle Identität unter Schutz zu stellen.
„Sicherheit der queeren Communitys“
Der nun vorliegende Entwurf zur Landesstrategie umfasst rund 40 eng bedruckte DIN-A4-Seiten. Ausführlich beschrieben werden der Beteiligungsprozess, die Ausgangssituation, die bestehenden Strukturen – so gesehen, könnte das Papier durchaus als Lehrmaterial in Sachen Regenbogenhauptstadt durchgehen.
In vier Punkten – hier Kernbereiche genannt – sind konkrete Ziele aufgelistet, die es umzusetzen gilt. Kernbereich 1 dreht sich um die „Sicherheit der queeren Communitys“ und meint nicht nur den Schutz von Orten und Einrichtungen, sondern auch den Umgang mit Diskriminierung innerhalb queerer Communitys. Allein 13 Maßnahmen sollen den Senat in die Pflicht nehmen. Da geht es etwa um das öffentlichkeitswirksame Werben für Zivilcourage im Alltag oder um eine dringend nötige Handreichung zum Vorgehen bei queerfeindlichen Übergriffen – diese ist bereits in Arbeit.
„Queere Sicherheit in öffentlichen Räumen“ ist ein zweites Paket mit Zielen und Forderungen überschrieben, „Sicheres Zusammenleben in vielfältigen Gemeinschaften“ ein drittes. Und im Kernbereich „Schutz vor Queerfeindlichkeit in allen Lebensphasen“ dreht sich alles ums Aufwachsen und Lernen ohne Queerfeindlichkeit, aber auch um Sicherheit queerer Personen am Arbeitsplatz oder im Versorgungssystem.
Faszinierend ist, wie umfänglich die angesprochenen Problemfelder und daraus resultierenden Forderungen an die Landesregierung sind. So heißt es unter anderem: „Der Senat wirkt darauf hin, dass im Rahmen von Schulneubau und -sanierung verpflichtend geschlechtsunspezifische Toiletten und Umkleiden eingerichtet werden.“
Bleibt eine Frage, die am Vormittag wiederholt gestellt wurde: Gibt es für die Umsetzung dieses ambitionierten und umfangreichen Forderungs- und Maßnahmenkatalog genügend finanzielle Mittel? Nicht dass es am Ende nur „eine weitere schöne Broschüre“ ist, formuliert es Benji Reding in der Diskussion, die in den Schubladen verschwindet – Reding hat an insgesamt neun Beteiligungsformaten teilgenommen.
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