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Gefühle der OhnmachtMit Wissenschaft gegen Judenhass

Das Forschungsnetzwerk zum Antisemitismus hat in Berlin die Ergebnisse von zehn Projekten vorgestellt. Es ging meist um bildungspolitische Initiativen.

Das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin Foto: Markus Schreiber/ap

Berlin taz | Ein „Gefühl der Ohnmacht, Wut und Angst “ diagnostizierte Doron Kiesel von der Jüdischen Akademie des Zentralrats der Juden in Deutschland. Bis vor wenigen Jahren hätten sich Juden als Teil einer demokratischen Gesellschaft verstanden, in der die die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus positive Ergebnisse erbracht habe. Das sei seit dem 7. Oktober 2023 vorbei, sagte der Soziologe und Erziehungswissenschaftler Kiesel und erwähnte eine bei antisemitischen Vorfällen „lange schweigende Kulturszene“, das „Wegschauen“ von Feministinnen, vor allem aber die „unvorstellbare Attraktivität“ einer rechtsextremen Partei.

Kiesel sprach am Montagabend in Berlin bei der Präsentation von Ergebnissen eines Forschungsnetzwerks zum Antisemitismus (Fona 21). Die vom Bundesforschungsministerium mit 12 Millionen Euro geförderte Initiative hat zehn Verbundprojekte angestoßen, die nach Möglichkeiten und Wegen suchten, den Judenhass zu bekämpfen.

Rein empirische betrachtet scheinen diese Projekte auf den ersten Blick allesamt gescheitert zu sein. Nicht nur Kiesel musste konstatieren, dass sich der Antisemitismus in Deutschland in jüngster Zeit erschreckend ausgebreitet hat, allen Gegenmaßnahmen zum Trotz. Doch eine solche Projekt-Beurteilung greift selbstverständlich zu kurz, schließlich ist nicht exakt messbar, ob und was diese wissenschaftlichen Initiativen konkret bewirkt haben.

Zu einem Gutteil zielten die Forschungen dabei auf bildungspolitische Initiativen ab. Auffällig ist dabei, dass die einzelnen Projekte nicht etwa wissenschaftliche Elfenbeintürme zu erklettern suchten, sondern ausgesprochen praxisorientiert arbeiteten. „Respond! Nein zu Judenhass im Netz“ nennt sich etwa das Projekt mehrerer Universitäten und der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, das jungen Erwachsenen eine erhöhte Medienkompetenz im Internet nahebringen will. „Junge Menschen sollen in die Lage versetzt werden, Taktiken antisemitischer Hass-Rede in den sozialen Medien zu erkennen und medienkompetent auf sie zu antworten“, lautete das Ziel. Es handelte sich um ein Projekt mit Schulungen für die Beteiligten und dem Ziel einer Wissensvermittlung. Das Ergebnis laut den Verbundpartnern: „Die Teilnehmenden verfügten nach dem Training über mehr Wissen. Sie waren auch besser in der Lage, die Relevanz von Antisemitismus und das Eintreten dagegen zu reflektieren. Die Teilnehmenden zeigten mehr Empathie gegenüber denjenigen, die von antisemitischem Hass betroffen sind.“

Sehr junge Kinder

Eher um Grundlagenforschung ging es dagegen bei dem Projekt „Antisemitismus in pädagogischen Kontexten“, das herauszufinden suchte, wie und wann Kinder ein Bewusstsein der religiösen Zugehörigkeit entwickeln und Juden dabei mit antisemitischen Begriffen belegen. Dazu gingen die Forscher in Kitas und Schulen. Schon sehr junge Kinder, so ein Ergebnis, würden Juden und Jüdinnen als solche identifizieren.

Die Europa-Universität Flensburg und die Uni Düsseldorf gingen den Erscheinungsformen von Antisemitismus im länderübergreifenden Vergleich nach – sie untersuchten Lehrpläne und Schulpraxis in Frankreich, Rumänien und Spanien. Ergebnis ist nun nicht etwa nur eine wissenschaftlich ausgeklügeltes Thesenpapier, sondern unter anderem eine Graphic Novel des Comic-Autors Jordi Peidro über den Holocaustüberlebenden Siegfried Meir für den Schulunterricht in Spanien und Deutschland.

Auf Widerspruch stieß bei der Präsentation der im Zusammenhang mit der Bekämpfung des Antisemitismus gerne bemühte Begriff der Prävention. Der Präsident des Deutschen Historischen Museums Raphael Gross nannte das Wort in diesem Zusammenhang „merkwürdig“. Mann könne in weiten Bereichen der Gesellschaft gar keine Prävention betreiben, „sondern nur Aufklärung“, sagte Gross. Sabine Achour von der FU Berlin stimmte zu: „Wenn ich auf Menschen zugehe, die ich als potentielle Nazis betrachte, funktioniert das nicht mehr“, sagte sie. Der Antisemitismusbeauftragte der Generalstaatsanwaltschaft Berlin Florian Hengst gab zu bedenken, dass Prävention „nur ein Teilstück“ seiner Arbeit sei – kein Wunder, greifen Gesetze doch erst nach der Vollendung einer Straftat und nicht vorher.

Geisterfahrten

Welche Herausforderungen künftig anstehen, dazu gab wiederum Gross einen Hinweis. Bisher, so der Historiker, habe man sich immer auf die USA verlassen können, wenn es darum ging, Mindeststandards bei der Aufarbeitung der NS-Verbrechen einzuhalten, etwa bei der Entschädigung von NS-Raubkunst oder von jüdischen Zwangsarbeitern aus Osteuropa. „Heute sagen Elon Musk und Vizepräsident JD Vance: ‚Hört auf mit eurer blöden Erinnerung‘“, benannte Gross jüngste Interventionen aus Washington, die sich zugleich für die rechtsradikale AfD stark machten. Die veränderte US-Außenpolitik zwinge dazu, ganz neu über die deutsche Erinnerungspolitik nachzudenken.

Über Trumps historische Geisterfahrten konnte das Forschungsnetzwerk Antisemitismus aus begreiflichen Gründen noch kein Ergebnis vorstellen. Doch was nicht ist, könnte noch werden: Staatssekretär Karl Eugen Huthmacher kündigte am Montagabend an, dass das Forschungsministerium voraussichtlich weitere 12 Millionen Euro zur Verfügung stellen werde, um „dem Antisemitismus den Nährboden zu entziehen“.

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