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Geflüchteter über sein Leben„Ich stehe unter Stress“

Modoulamin Jassey lebt in einer Bremer WG. Er weiß nicht, wie lange noch. Ein Gespräch über seine Geschichte und das Bündnis „Together we are Bremen“.

Eine endlose Zimmersuche ist für viele Geflüchtete Alltag (Symbolbild) Foto: Filip Kominik/Unsplash
Interview von Alina Fischer

taz: Herr Jassey, wie verbringen Sie zurzeit Ihre Tage?

Modoulamin Jassey: Ich verbringe viel Zeit mit meinen Freunden hier in der WG. Von 12.30 bis 17.45 Uhr gehe ich in die Schule. Dann gehe ich wieder nach Hause. Durch den Lockdown kann man ja gerade nichts anderes machen.

Fühlen Sie sich in der WG zu Hause?

Hier? Ja, hier fühle ich mich sehr zu Hause. Ich bin, glaube ich, im Juni in die WG gekommen, um einen Monat hier zu bleiben. Aber jetzt bin ich schon fast fünf Monate hier. Ich habe tolle Leute kennengelernt.

Wo haben Sie davor gelebt?

Davor war ich im Lager Lindenstraße.

Warum ist es wichtig, dass Menschen ein Zimmer für sich allein haben?

Im Lager Lindenstraße habe ich mit sechs Menschen in einem Raum gelebt. Das ist sehr schwierig, vor allem während Corona. Das ist nicht gesund und nicht sicher. Für mich ist es wichtig, ein eigenes Zimmer zu haben, damit ich Privatsphäre habe. Dann kann ich mich fokussieren und die Sprache lernen. Aber in einem Raum mit vielen Menschen zu sein, ist furchtbar. Alle sprechen unterschiedliche Sprachen, es kommt durch Missverständnisse oft zu Problemen. Sie wollten mich dann aus Bremen transferieren. Ich wollte aber nicht gehen. Also hat „Together we are Bremen“ mir geholfen, ein Zimmer zu finden.

Bild: Alina Fischer
Im Interview: Modoulamin Jassey

17, ist in Gambia aufgewachsen und lebt seit Dezember 2019 in Bremen. Er engagiert sich im Bündnis „Together we are Bremen“.

Die Behörden wollten Sie in eine andere Stadt in Deutschland schicken?

Ja, sie wollten mich in eine andere Stadt schicken.

Bekommt man frühzeitig Bescheid, in welche Stadt man transferiert werden soll?

Im Lager Lindenstraße klopfen sie an deine Tür und sagen dir, dass du transferiert wirst. Dann geben sie dir den Ortsnamen und das Ticket und sagen: Geh!

Sofort?

Ja, so läuft das ab. Bei mir war es so, dass sie mich angerufen haben. Als ich gesagt habe, dass ich nicht gehen werde, hat die Person am Telefon gelacht.

Was passiert, wenn man einen Transfer ablehnt?

Sie nehmen dich aus dem System raus, sie werfen dich aus dem Lager. Du hast keinen Schlafplatz mehr und nichts zu essen. Du bekommst kein Geld vom Sozialamt mehr. Du bist allein.

Kennen Sie Menschen, die deswegen auf der Straße schlafen mussten?

Ja. Ich selbst habe drei Nächte auf der Straße geschlafen, bevor mich ein Freund auf Together we are Bremen aufmerksam gemacht hat. Diese drei Tage waren die schlimmsten meines Lebens.

Welche Gedanken hatten Sie an diesen Tagen?

Es waren viele. Ich habe gedacht, warum lebe ich überhaupt? Ich habe in Italien Leid ertragen müssen und dachte, wenn ich hierher komme, wird es anders. Aber es wurde nur schlimmer und schlimmer. In Italien war ich adoptiert worden, weswegen man mich auch wieder nach dort abschieben wollte. Sie haben mich dort aber sehr schlecht behandelt. Wie einen Hund.

In Italien hatten Sie Adoptiveltern?

Ja genau. Ich habe fast drei Jahre bei ihnen gelebt. Das erste Jahr war sehr schön. Ich ging dort in die Schule. Aber dann wurde alles anders. Sie sperrten mich im Haus ein, ich konnte nicht mehr raus gehen.

Sie konnten auch nicht mehr in die Schule gehen?

Nein, das ging nicht mehr. Ich musste das Haus saubermachen. Wenn der Hund irgendwo hin gemacht hat, musste ich das saubermachen. Mit einem meiner Schulfreunde hatte ich Kontakt über Facebook. Ich habe versucht, ihm meine Situation zu erklären, weil ich sehr frustriert war. Er sagte mir, ich solle versuchen zu fliehen. An einem Tag war es soweit. Die Frau – ich kann sie nicht meine Mutter nennen – vergaß ihren Schlüssel im Haus. Ich nahm den Schlüssel und bin raus. Dann holte mich der Vater meines Freundes ab und brachte mich in ihr Haus. Dort lebte ich einen Monat. Aber sie fingen an, nach mir zu suchen. Der Vater sagte, ich könne nicht bleiben, weil er deswegen in Schwierigkeiten geraten könnte. Er schlug mir vor, in ein anderes Land zu gehen. Er fuhr mich mit seinem Auto nach … wie heißt das nochmal? München. Dann kaufte er mir ein Flixbus-Ticket und sagte, ich solle gehen. Ich stieg einfach in den Bus ein. Dann kam ich in Bremen an. Ich lief im Bahnhof umher und sah viele schwarze Menschen. Ich sagte mir, hier sollte ich bleiben. Und ich hatte niemand anders, wo ich sonst hätte hingehen können.

In Bremen haben Sie nun Freunde gefunden.

Ja, ich habe sehr viele Freunde hier, besonders in der WG. Ich habe hier Menschen kennengelernt, die meine Familie geworden sind. Besonders meine Mitbewohnerin Carlotta. Wenn Gott mir die Chance gäbe, mir eine Sache zu wünschen, dann würde ich mir wünschen, dass sie meine biologische Schwester wäre. Ich habe meine Eltern verloren, als ich sechs Jahre alt war. Dann kam ich ins Waisenhaus. Ich habe keine Brüder oder Schwestern, keine Familienmitglieder, die ich kenne. Aber jetzt habe ich jemanden, der mir sagen kann, was zu tun ist. Der mir sagen kann, was gut und was schlecht ist. Ich kann nicht riskieren, sie zu verlieren oder diese Stadt zu verlassen.

Können Sie die Housing-Struktur erklären, die Together we are Bremen (TWAB) ins Leben gerufen hat?

Wir treffen uns jeden Dienstag. Es gibt viele Menschen, die aus dem System oder dem Lager gekickt werden. Dann kannst du nirgendwo hin. Man kann dann zu unserem Treffen kommen und die eigene Lage erklären. Dann versuchen wir bei der Suche nach einem Zimmer zu unterstützen. Wir nutzen unsere Social-Media-Kanäle wie Facebook, und starten Aufrufe nach freien Zimmern. Meistens kann man aber nur wenige Wochen in einem Zimmer bleiben. Sehr wenige haben das Glück, lange in einem Zimmer bleiben zu können – so wie ich.

Haben Sie Freunde, die oft ihr Haus wechseln müssen?

Ja, manche müssen alle ein bis zwei Wochen das Haus wechseln. Auch wenn sie es nicht erzählen, sehe ich ihnen an, wie frustriert sie sind. Sie stehen sehr unter Stress. Selbst ich, denn ich weiß nicht, wie lange ich in dieser WG bleiben kann. Durch diese Frustration ist es auch schwer, sich in der Schule zu konzentrieren.

Gibt es Angebote zur psychischen Unterstützung?

Nein. Ich kann zum Beispiel nicht einfach zum Arzt gehen, weil ich keine Papiere und keine Gesundheitskarte habe. Wenn ich krank werde, muss ich allein damit klar kommen.

Haben Sie Angst, nichts Neues zu finden?

Ja. Es ist gerade schwierig. Momentan hilft TWAB, unsere Miete zu bezahlen – aber es ist kein Geld mehr da. Deswegen haben wir die Crowdfunding-Kampagne gestartet. Wir verkaufen zum Beispiel Taschen und T-Shirts.

Wenn Sie Ihr Fundraising-Ziel erreichen, was denken Sie, wie lange reicht das?

Ich denke, zwei bis drei Monate. Jeden Monat geben wir um die 5.000 Euro für die Housing-Struktur, Essensgeld sowie Kleidung und Pampers für die Kinder aus. Danach beginnen wir wohl eine neue Kampagne. Wenn das System uns helfen würde, dann würden wir nicht so leiden, wie wir es jetzt tun.

Wo liegt der Fehler im System?

Bremen ist der Ort, an dem wir Freunde und unser Glück gefunden haben. Menschen aus dieser Stadt zu nehmen und in eine andere Stadt zu bringen, wo man niemanden kennt, ist sehr schwierig. Manche verlieren den Verstand, weil sie sich immer wieder auf neue Wohnungen und neue Menschen einstellen müssen. Und nur, weil man eine Bleibe gefunden hat, heißt es nicht, dass man direkt glücklich ist. Aber ich finde, jeder hat das Recht, dort zu leben, wo er will. Das System zwingt viele Leute auf die Straße. Sie wollen dort nicht sein.

Wie hilft TWAB bei diesem Problem?

TWAB unterstützt uns nicht nur finanziell. Sie ermutigen uns, die Hoffnung nicht aufzugeben, dass eines Tages alles okay sein wird. Ich habe diese Hoffnung auch. Jede schwierige Phase hat ein Ende. Und vielleicht werden die Stadt oder die Regierung eines Tages verstehen, wie wir uns fühlen, wie wir leiden, wie wir leben. Vielleicht eines Tages … Niemand weiß, wann.

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1 Kommentar

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  • Jede schwierige Phase hat ein Ende. Aber nicht jeder erlebt es.

    „Die Stadt“ oder „die Regierung“ werden gar nichts kapieren. Außer, dass sie an den Geflüchteten ihre Machtgelüste ausleben dürfen. So sieht es das Gesetz schließlich vor. Warum sollten sie etwas anderes auch nur begreifen wollen? Mitgefühl schränkt ihre Freiheiten nur ein. In diesem Fall unnötig, denn Gefühllosigkeit wird ja nicht geahndet. Ohne Mitleid sind „die Stadt“ und „die Regierung“ definitiv besser daran. Denn für alle, die gerne so leben würden wie sie, reicht das Geld sowieso nicht. Dann ist es schon besser, die Hoffnung geht baden im Mittelmeer - und taucht nie wieder auf.

    Wie sich Einsamkeit anfühlt, Angst oder Unsicherheit? Wie das Leben ist, wenn es erlitten werden muss? Manche von uns werden das nie verstehen. Erleben werde ich es jedenfalls nicht.