Geflüchtete in Libyen vertrieben: Miliz gegen Migrant*innen
In Libyens Hauptstadt Tripolis haben Bewaffnete ein provisorisches Flüchtlingscamp geräumt. Manche vermuten: Den Milizenführern geht es um Geld.
Der ehemalige Milizenführer Khoja war am 23. Dezember zum Leiter der libyschen Behörde DCIM befördert worden. Die ist verantwortlich für die Internierungslager, in denen viele Migrant*innen aus Subsaharaafrika einsitzen müssen. Zuvor leitete er das berüchtigte Gefängnis Trik Al Sikka, dessen Betreibern immer wieder inhumane Bedingungen und Folter vorgeworfen wurden.
Auf Videoaufnahmen der Miliz Fursan Janzour, die auf Twitter kursieren, sind Dutzende uniformierte Männer zu sehen, die in Ain Zara um zwei Uhr morgens auf Zelte und fliehende Menschen einschlagen. Zuvor hatten die vermummten Bewaffneten mit gepanzerten Fahrzeugen und Pick-ups die im Süden von Tripolis gelegene Gegend abgesperrt. Fursan Janzour ist dem Innenministerium unterstellt.
Nach der Zwangsvertreibung dunkelhäutiger Menschen aus dem Stadtteil Gargaresh im Oktober letzten Jahres ist mit Ain Zara nun der letzte Zufluchtsort von Migrant*innen und Geflüchteten in Tripolis verschwunden. Augenzeugen berichten von mehreren Toten; Mohammed al-Khoja sprach gegenüber libyschen Journalist*innen dagegen von einer gelungenen Aktion gegen Drogendealer und Menschenhändler. Ein Team von Ärzte ohne Grenzen (MSF) behandelte am Dienstagmorgen Stichverletzungen und gebrochene Beine.
Schmuggler sind ein Teil des Problems
Caroline Gluck vom UNHCR-Flüchtlingshilfswerk verurteilte die gewaltsame Aktion der libyschen Regierung. Augenzeugen berichteten aber gegenüber der taz, dass die UNHCR-Mitarbeiter*innen den Menschen in Ain Zara nicht zur Hilfe gekommen seien. Gluck bestätigte die Berichte von libyschen Menschenrechtsaktivisten, dass Menschenhändler aus den Reihen der Migrant*innen sie immer wieder davon abgehalten hatten, Verletzten, Schwangeren oder Kindern zu helfen. UNHCR-Mitarbeitende konnten ihr Hauptquartier wegen Drohungen der ebenfalls aus Subsahara stammenden Männer seit Anfang Januar nicht mehr betreten.
„Sie wollen nicht, dass ihre Kund*innen Details über das Schmuggelnetzwerk ausplaudern, das von Lagos oder Karthum bis Sizilien mit lokalen Milizen, Banken und Bootsbesitzern bestens vernetzt ist“, vermutet ein Aktivist aus Tripolis, der lieber anonym bleiben möchte. Sogar seine privat finanzierten Hilfslieferungen an die nachts Frierenden musste er aus Angst um sein Leben einstellen. Migrant*innen, mit denen die taz sprach, vermuten hinter der Räumung ein simples Geschäft der Milizenführer – einer von ihnen ist Mohammed al-Khoja. Sie berichten: Für umgerechnet 400 bis 500 Euro würden die Wächter die Verhafteten wieder freilassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Demokratieförderung nach Ende der Ampel
Die Lage ist dramatisch