Geflüchtete in Europa: Corona stoppt Abschiebungen
Italien setzt wegen der Epidemie das Dublin-Abkommen außer Kraft. Asylbewerber dürfen nun auf ein Verfahren in Deutschland hoffen.
Die Dublin-Verordnung sieht vor, dass Asylbewerber in dem europäischen Staat ihr Asylverfahren absolvieren müssen, in dem sie auf ihrem Weg nach Europa zum ersten Mal registriert wurden. Auch Italien selbst schickt keine Asylbewerber mehr zurück, beispielsweise nach Griechenland. Das bestätigte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) am Donnerstag vor der Bundespressekonferenz.
Die Fristen für die Überstellung von Flüchtlingen in andere EU-Staaten betragen in der Regel sechs, in Ausnahmefällen 18 Monate. Nach Fristablauf sind Rückführungen im Rahmen der Dublin-Verordnung nicht mehr möglich. Für einige Flüchtlinge in Deutschland bedeutet der Schritt der italienischen Regierung darum, dass sie ihr Asylverfahren in Deutschland absolvieren dürfen.
Weil Flüchtlinge in Italien oft obdachlos werden und sie dort weder arbeiten dürfen noch Sozialleistungen erhalten, wandern zahlreiche von ihnen weiter nach Österreich, Deutschland und Schweden. Wie die taz aus Behördenkreisen erfuhr, könnte das Bundesinnenministerium allerdings auch mit Rom verhandeln, die Fristen für die Überstellung von Flüchtlingen wegen des Coronavirus zu verlängern. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums sagte auf taz-Anfrage, man sei mit der Regierung in Rom im Gespräch. Über den Inhalt der Gespräche gab er keine Auskunft.
Aus Abschiebehaft entlassen
Das Amtsgericht Hannover hat bereits auf die Entscheidung in Rom reagiert und einen Asylbewerber aus dem Sudan mit sofortiger Wirkung aus der Abschiebehaft entlassen. Der Mann sollte eigentlich nach Italien zurückgeschickt werden. Seine sechsmonatige Überstellungsfrist endet am 6. März.
Wird Deutschland aber weiterhin Menschen in die von dem Coronavirus besonders stark betroffenen Staaten China, Iran und Südkorea abschieben? Darüber entschieden die Bundesländer selbst, so das Bundesinnenministerium gegenüber der taz.
Innenminister Seehofer erklärte vor der Bundespressekonferenz, er hätte die Bundesländer gebeten, bei neu eingereisten Asylbewerbern Untersuchungen und geeignete Tests durchzuführen, um eine mögliche Coronainfektion frühzeitig zu erkennen. Denn ein Teil der Neuankömmlinge käme über Länder, „die man als vorbelastet bezeichnen muss“, so Seehofer. Bei Verdachtsfällen solle darauf verzichtet werden, die Menschen in ein anderes Bundesland zu schicken.
Tests in einzelnen Bundesländern
Einzelne Bundesländer wie Berlin oder Bayern testen neu eingereiste Asylbewerber bereits seit dieser Woche. Hier besteht allerdings ein hausgemachtes Problem: Um Deutschland für neu ankommende Asylbewerber unattraktiv zu machen, hat der Gesetzgeber unter anderem die medizinischen Leistungen in den ersten 15 Monaten nach Ankunft erheblich eingeschränkt. Darum müssen jetzt Regelungen her, wer die Tests überhaupt bezahlt und ob die Kosten auch übernommen werden, wenn ein Asylbewerber nicht neu eingereist ist, aber Symptome aufweist.
Die Entscheidung aus Rom könnte auch bedeuten, dass sich etliche Menschen aus dem Kirchenasysl wagen können. Denn viele Menschen harren nur deshalb im Kirchenasyl aus, weil die Bundesrepublik sie in einen anderen EU-Staat zurückschicken will, in welchen sie aber auf gar keinen Fall wollen.
„Das ist ein sehr sensibler Umgang von Italien mit dem Thema Corona“, sagte Bernhard Fricke von „Asyl in der Kirche“, gegenüber der taz. Man wolle sich nun einen Überblick verschaffen, wie viele Kirchenasyle von der Entscheidung betroffen sein könnten.
Rettungsschiffe unter Quarantäne
Das Virus hat auch Auswirkungen auf die Seerotrettung. Das private Rettungsschiff „Sea Watch 3“ mit 194 Flüchtlingen muss im sizilianischen Hafen von Messina eine zweiwöchige Quarantäne absolvieren, sagte ein Sprecher der Organisation. Die Flüchtlinge dürfen dabei an Land gehen. Auch die Crew muss in Quarantäne, bleibt allerdings an Bord.
Auch ein weiteres Seenotrettungsboot, die „Ocean Viking“, muss 14 Tage im Hafen von Pozzallo in Quarantäne ausharren. Die Besatzung hatte 274 Menschen gerettet und sie am Montag in den sizilianischen Hafen gebracht. Die Betreiber des Schiffes, die Organisationen Ärzte ohne Grenzen und SOS Méditerranée, fürchten jedoch, dass der Ausbruch des Coronavirus in Italien als Vorwand dient, die privaten Seenotretter an neuen Einsätzen zu hindern. Die Krankheit dürfe zu keiner ungerechtfertigten Abwehrhaltung gegenüber Flüchtlingen führen, forderten die Helfer.
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