Gefangener kommt nicht zu Beinamputation: Freiheitsfonds rettet Mann in Notsituation
Ein Gefangener in NRW kam zu einer notwendigen Operation nicht ins Krankenhaus – wegen Personalmangels im Knast. Der Freiheitsfonds konnte ihn freikaufen.

Die von Semsrott im Jahr 2021 gegründete Initiative Freiheitsfonds zahlt die Geldstrafen für Menschen, die wegen Fahrens ohne Fahrschein im Gefängnis sitzen, sodass sie wieder auf freien Fuß kommen. So auch in diesem Fall: Die Initiative hat 120 Euro gezahlt.
„Wir sind von einem Sozialarbeiter kontaktiert worden“, berichtet Semsrott der taz am Telefon. Ein Mann müsse dringend ins Krankenhaus, es gebe aber kein Personal, das ihn begleiten könne. Alternativ hätte er Haftunterbrechung beantragen können, es hätte aber zu lange gedauert, bis der genehmigt worden sei. Der Freiheitsfonds war die schnellste Lösung.
Es kommt häufiger vor, dass das Team vom Freiheitsfonds aus Gefängnissen heraus kontaktiert wird, um Menschen, die eine sogenannte Ersatzfreiheitsstrafe absitzen, freizukaufen. Das sind häufig sogenannte Schwarzfahrer, die statt einer Geldstrafe für wiederholtes Fahren ohne Ticket eine Gefängnisstrafe erhalten. Dieser Fall war dennoch ungewöhnlich. „Das war schon ein besonders krasser Fall eines medizinischen Notfalls“, sagt Semsrott der taz. Allerdings: Unter den Menschen, die wegen wiederholten Fahrens ohne Fahrschein ins Gefängnis kämen, gebe es einige in Ausnahmezuständen.
„Da kommen Menschen in psychischen Ausnahmezuständen ins Gefängnis, die drehen verständlicherweise durch – dafür sind die Beschäftigten nicht ausgebildet und schnell überfordert. Die Person kommt dann in einen besonders gesicherten Haftraum, beruhigt sich nicht, und dann werden wir angerufen, um sie rauszuholen“, sagt Semsrott. Meist seien die Anrufer Beschäftigte aus den sozialen Diensten, wie in diesem Fall der Sozialarbeiter.
Im Knast wegen Fahrens ohne Fahrschein
Wer mehrfach wegen Fahrens ohne Fahrschein erwischt wird, kann wegen „Erschleichens von Leistungen“ angeklagt werden und bis zu einem Jahr ins Gefängnis kommen. Das regelt der Paragraf 265a des Strafgesetzbuchs. Die Nazis hatten ihn 1935 eingeführt.
Die Initiative Freiheitsfonds fordert, das Fahren ohne Fahrschein zu entkriminalisieren und den ÖPNV kostenlos nutzbar zu machen. Am 1. September ruft sie zum 14. Mal zu einem sogenannten Freedom Day auf. „Dieser Tag ist historisch: Denn vor genau 90 Jahren – am 1. September 1935 – wurde jenes Gesetz eingeführt, das bis heute Menschen wegen fehlender Tickets in Bus und Bahn ins Gefängnis bringt“, heißt es auf der Homepage der Initiative. Deshalb soll es an dem Tag die „größte Gefangenenbefreiung der bundesdeutschen Geschichte“ geben. Laut Semsrott will die Initiative 100 Menschen freikaufen.
„Tausende Menschen landen jedes Jahr im Gefängnis, weil sie sich kein Ticket für den öffentlichen Nahverkehr leisten konnten“, heißt es auf der Homepage weiter. Die Betroffenen seien überwiegend arbeitslos (87 Prozent), ohne festen Wohnsitz (15 Prozent) oder suizidgefährdet (15 Prozent).
Seit Gründung hat die Initiative nach eigenen Angaben 1396 Menschen freigekauft und dafür insgesamt etwa 1,2 Millionen Euro gezahlt. Bezahlt wird das durch Spenden. „Weil jeder aufgelöste Hafttag den Steuerzahler*innen rund 200 Euro kostet, sparen wir dem Staat sogar noch etwas“, schreibt die Initiative auf ihrer Homepage.
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