Gefangene als Geiseln in Russland: Nächste Runde des zynischen Spiels
Einem US-Amerikaner drohen in Russland mehrere Jahre Haft. Eine Landsfrau von ihm wurde kürzlich zu 12 Jahren Straflager verurteilt.
Kara-Mursa war 2023 wegen Landesverrats zu 25 Jahren Straflager verurteilt und am 1. August 2024 im Rahmen des historischen Gefangenenaustauschs freigelassen worden. Er könnte nicht der letzte „besondere“ Gast im Weißen Haus gewesen sein. Derzeit häufen sich die Fälle, in denen ausländische Staatsbürger*innen in Russland unter abstrusen Anschuldigungen in windigen Prozessen zu hohen Haftstrafen verurteilt werden.
Am Donnerstag dieser Woche verurteilte ein Gericht in Jekaterinburg die 33-jährige Ballerina Ksenia Chawana (Karelina) wegen Landesverrats zu 12 Jahren Straflager. Ihr Vergehen: Sie hatte im Februar 2022 einer ukrainischen Stiftung eine Spende in Höhe von 51 Dollar überwiesen. Chawana besitzt die russische und US-amerikanische Staatsbürgerschaft.
Landesverrat ist neben „Extremismus“ ein Straftatbestand, mit dem russische Oppositionelle und Kritiker*innen des Ukraine-Kriegs häufig kaltgestellt werden. 2023 hatte sich die Zahl der Fälle wegen Landesverrats im Vergleich zum Vorjahr fast verdoppelt und über einen Zeitraum von 10 Jahren fast verzehnfacht.
Im Januar 2024 war Chawana wegen angeblichen Fluchens mit 14 Tagen Administrativhaft belegt worden, daraus wurden anschließend zwei Monate. Während dieser Zeit mutierte der Vorwurf „geringfügiges Rowdytum“ zu Landesverrat.
US-Amerikaner vor Gericht
Demselben Drehbuch folgt der Fall von Joseph Tater. Eine verbale Auseinandersetzung in einem Moskauer Hotel wegen fehlerhafter Dokumente endete für den US-Amerikaner auf einer Polizeiwache. Dort soll Tater eine Polizeibeamtin geschlagen haben. Zunächst wurde er zu einer 15-tägigen Administrativhaft verurteilt.
Am vergangenen Donnerstag gab ein Moskauer Bezirksgericht dem Antrag eines Ermittlers statt, Tater bis zum 14. Oktober in Untersuchungshaft zu nehmen. Jetzt geht es plötzlich um ein Strafverfahren wegen angeblicher Gewaltanwendung gegen einen Regierungsbeamten. Im Falle einer Verurteilung drohen Tater bis zu 5 Jahre Haft.
Das US-Außenministerium teilte am Mittwoch mit, Kenntnis von dem Fall Tater zu haben. Man arbeite daran, so viele Informationen wie möglich zu erhalten, sich über die konsularische Situation Klarheit zu verschaffen und zu prüfen, ob ein konsularischer Zugang möglich sei, sagte ein Sprecher.
Im Knast wegen medizinischem Marihuana
Die beiden jüngsten Fälle sind nicht die einzigen. Seit über drei Jahren sitzt der US-amerikanische Geschichtslehrer Marc Fogel in einem russischen Straflager ein. Eine geringe Menge medizinischen Marihuanas, die bei seiner Einreise nach Russland im Koffer gefunden wurde, hatten für Fogel eine Verurteilung wegen Drogenschmuggels und 14 Jahre Haft zur Folge.
Verurteilungen wegen Drogenbesitzes oder -handels werden in Russland häufig genutzt, um unbequemen Personen etwas anzuhängen. Drogen beziehungsweise ein angeblich schwunghafter Handel damit brachten dem US-Musiker Michael Travis Leake eine Verurteilung zu 13 Jahren Haft ein.
Es scheint, als wappne sich der Kreml für die nächste Runde seines zynischen Spiels, das da lautet: Gefangene als Geiseln nehmen, um sie dann – so erforderlich – gegen eigene Leute, die in westlichen Gefängnissen sitzen, auszutauschen. Im Falle des sogenannten Tiergartenmörders ist die Rechnung aufgegangen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen