Gefährdete Ateliers in Berlin: Was einmal weg ist, ist weg
Ohne Räume kann keine Kunst entstehen. In Berlin ist fast jedes dritte geförderte Atelier gefährdet. Fatal ist das nicht nur für die Künstler:innen.
Leicht könnte man das weiße Porzellanschild übersehen. Es hängt außen an der Fassade eines Gründerzeitbaus am Kurfürstendamm in Berlin-Charlottenburg über und neben solchen, die auf Anwaltskanzleien und Real-Estate-Firmen hinweisen. Die Berliner Gedenktafel erinnert an das, was in dem Gebäude der Hausnummer 29 vor sich ging, lange bevor jene Büros eröffneten: „Hier – im IV. Stock des Hinterhauses lebte und arbeitete in ihrem Atelier von 1919 bis 1976 die Malerin und Grafikerin Jeanne Mammen“, ist darauf zu lesen.
Eingezogen ist Mammen damals zunächst gemeinsam mit ihrer ebenfalls künstlerisch arbeitenden Schwester Mimi: „Der Wirt hat gedacht, Künstler brauchen nix. Die leben von Luft und Wasser“, erinnerte sie sich Jahre später an die erste Zeit. Vieles blieb spartanisch. Bis zum Schluss wurde kein Bad eingebaut, das WC befindet sich noch immer auf halber Treppe außerhalb des Ateliers.
Wie sich die Malerin mit den Jahren ihren Wohn- und Arbeitsraum einrichtete, kann man heute besichtigen. Freund:innen Mammens hatten sich nach deren Tod entschlossen, diesen zu bewahren, mittlerweile kümmert sich das Stadtmuseum Berlin darum. Auch online kann man sich durch die Räume bewegen. Sie wirken, als wäre die Künstlerin gerade noch dagewesen. In ihrer „Zauberbude“. So bezeichnete Mammen selbst ihr Atelier.
Dass es sich bei Ateliers um ebensolche, um magische Orte handelt, wusste man schon in der Renaissancezeit, nachzulesen in Giorgio Vasaris „Vite“ über die großen Künstler seiner Zeit. Je nach Praxis gleichen manche auch Hexenküchen oder wissenschaftlichen Labors – deren Ähnlichkeit hat die Berliner Fotografin Stefanie Bürkle vor ein paar Jahren mit der Kamera untersucht. Ihr hübscher Bildband „Atelier + Labor. Werkstätten des Wissens“ ist 2019 bei Hatje Cantz erschienen.
Nicht nur Arbeits-, sondern auch Denkräume, Keimzellen kreativem Schaffens und Spiegel des künstlerischen Selbstverständnisses sind sie immer. Keinesfalls vergleichbar mit einer Werkstatt, auch wenn mitunter ähnliche Techniken Anwendung finden. Unersetzbar sind sie. Betonen muss man das, weil der Berliner Senat das nicht zu wissen scheint. So wie es aktuell aussieht, könnte Berlin, wo die große Mehrheit aller in Deutschland lebenden Künstler*innen zu Hause ist, fast ein Drittel seiner geförderten Ateliers verlieren.
Künstler:innen haben es auf dem Mietmarkt schwerer als andere Berufsgruppen. Wer Kunst macht, geht zunächst in Vorleistung, Geld fließt – wenn überhaupt – erst viel später, nachdem die Arbeiten ausgestellt wurden. Verdient wird ohnehin meist wenig. Ein Atelier ist notwendig, verursacht aber auch Kosten. Das Atelierprogramm des Senats entstand in den 1990ern, als kurz nach der Wende die Mietpreise explodierten. Dass sich die Situation weiter verschärft hat, ist kein Geheimnis.
Als verheerend bezeichnet Julia Brodauf, Atelierbeauftragte für Berlin und Co-Leiterin des Atelierbüros im Kulturwerk des bbk berlin, die Einkommenssituation der Künstler:innen. Für das Gros von ihnen seien die Quadratmeterpreise auf dem freien Markt unbezahlbar. 18 bis 36 Euro koste der Quadratmeter im Durchschnitt, je nachdem, wo in der Stadt. Im Atelierprogramm zahlen die Künstler:innen stattdessen einen Festpreis, je nach Einkommen 4,90 Euro oder 6,50 Euro pro Quadratmeter. Die Differenz übernimmt das Land Berlin.
Noch. Für die Jahre 2024 und 2025 wurden die Mittel für die Atelierförderung drastisch gekürzt: Die Gelder für den Ausbau von Arbeitsräumen sanken um fast 85 Prozent von 21,35 Millionen auf 3,225 Millionen Euro. Eine Akquise neuer Räume macht das quasi unmöglich. Für die Bestandssicherung wurden 5,4 Millionen Euro von 24,173 Millionen Euro gestrichen. Im Dezember wird der Doppelhaushalt 2026/2027 beschlossen, für die Kultur sollen dabei jährlich 110 Millionen Euro eingespart werden. Weitere Kürzungen im Bereich der Arbeitsräume sind zu erwarten.
Sogenannte Verpflichtungsermächtigungen
Dass gleich eine Reihe bestehender Atelierhäuser akut gefährdet sind, liegt noch an etwas anderem: Gelder liegen wegen geplanter und ausstehender Kürzungen auf Eis. Um Mietverträge mit privaten Eigentümer:innen zu verlängern, müssten sogenannte Verpflichtungsermächtigungen entsperrt werden, um eine Anmietung über die Haushaltsjahre hinaus zu ermöglichen. „Verwaltungsvorgänge, die ohnehin sehr langwierig und komplex sind, werden einfach unterbrochen“, erklärt Brodauf. Und als Mietpartner mache sich das Arbeitsraum-Programm gegenüber Vermietern unseriös. Die ersten Mietverträge laufen Ende des Jahres aus. Insgesamt enden sie für 368 von 1.020 Ateliers bis Ende 2027.
Eher würde sie ihre Wohnung aufgeben als ihr Atelier, sagt Hannah Sophie Dunkelberg. Sie steht inmitten ihres Studios in Berlin Tempelhof. In dem Gebäude in der Teilestraße produzierte Sarotti 90 Jahre lang, bis zum Jahr 2003 Schokolade, bis zu 300.000 Tafeln täglich. Danach stand es eine Weile leer, seit 2020 ist die dritte Etage mit 36 Ateliers und 4 Projekträumen belegt. 44 professionell arbeitende Künstler:innen sind dort tätig. Es ist der größte Standort unter den gefährdeten.
Dunkelberg hat 124 Quadratmeter angemietet und die braucht sie auch. Für die Lagerung von Materialien, von Metallen, Kunststoffen, Holz, Farben und Lacken, von ihrer Schweißmaschine, großem und kleinem Werkzeug, für fertige Werke und für die Arbeit an neuen, zum experimentieren. „Genau das ist ja das Gute an einem Atelier“, sagt sie: „Ich kann Sachen einfach stehen lassen und dann wieder rangehen. Anderes rauskramen, ganzheitlich nachdenken.“
Dunkelberg ist Bildhauerin, aktuell ist sie in einer Gruppenausstellung im Casino Luxembourg vertreten. Eine der größten Arbeiten, die in ihrem Atelier entstanden sind, begrüßt einen, wenn man hereinkommt, von links: eine monumentale, lebensgroße Pferdeskulptur, gefertigt aber nicht aus Metall oder Stein, sondern aus sprödem Styropor. Sie gibt sich heroisch, ist aber ziemlich fragil. Solche Gegensätze sind typisch für Dunkelbergs Kunst.
In der Teilestraße arbeiten viele, die wie sie viel Platz benötigen. Das Künstlerinnenduo Fort zum Beispiel, das in diesem Jahr seine oft raumeinnehmenden Installationen in der Weserburg in Bremen gezeigt hat. Oder Malte Bartsch, der sich wie Dunkelberg gezielt für das Haus in der Teilestraße beworben hat, weil er, der bildhauerisch, installativ und mit Video arbeitet, auf genau so ein Angebot gewartet hatte. Nicht nur mit ausreichend Fläche, sondern „einer großen doppelten Flügeltür und einem Fahrstuhl, bei dem man Europaletten und auch mal ein bisschen mehr Zement auf einmal hochfahren kann“.
Bittersüße Ausstellung
Im August erst hatten die Künstler:innen aus der Teilestraße davon gehört, dass ihre Ateliers gefährdet sind. Ende August 2027 läuft der Hauptmietvertrag aus. Weit entfernt hört es sich noch an, doch die Entscheidung, ob es weitergeht oder nicht, wird jetzt getroffen. Die Künstler:innen hängen in der Luft. In der vergangenen Woche habe sie eine Ausstellung organisiert, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen. „Bitter Sweet“ lautete ihr Titel. Bittersüß nicht nur wie die Schokolade, die einmal in der Teilestraße hergestellt wurde. Passend zum Thema, dem gar nicht mal so lieben Geld, hat Malte Bartsch dort eine Installation aufgebaut, die aussieht wie die Leuchtbox eines EC-Automaten.
Farkhondeh Shahroudi wird, wenn sich nichts mehr ändern sollte, noch vor Dunkelberg und Bartsch ihre Sachen zusammenpacken müssen. Sie arbeitet in einem Atelierhaus in der Tromsöer Straße in Berlin-Gesundbrunnen. 2017 ist sie dort eingezogen. Erst in den zweiten Stock, dann in den dritten. Ihr aktuelles Atelier umfasst rund 40 Quadratmeter.
Der Mietvertrag des Hauses läuft am 28. Februar aus. Eigentlich wollte Shahroudi dann gerade erst aus Paris wiederkommen, wo sie momentan ein Residenzprogramm absolviert. Aber: „Wie soll das gehen?“ Große Sorgen mache sie sich. „Ich habe das Geld nicht, auf dem Markt ein Atelier zu mieten. Das kann ich nicht finanzieren.“ Allein ein Umzug verursacht Kosten oder die Einlagerung von Material und Kunstwerken.
Farkhondeh Shahroudi, geboren 1962 in Teheran, lebt seit 2001 in Berlin. Auch sie arbeitet oft großformatig. Stoffe, Teppiche, Haare verwebt und verbaut sie zu Skulpturen und Installationen, verbunden mit Poesie. 2022 wurde sie mit dem Hannah-Höch-Förderpreis ausgezeichnet.
Langfristig trifft es ganz Berlin ökonomisch
„Arbeiten“, sagt sie, „ist für mich existenziell. Ein Leben ohne Atelier kann ich mir nicht vorstellen.“ Für sie selbst sei das keine Option, von Jüngeren habe sie aber gehört, dass diese überlegten, die Stadt zu verlassen. Fatal ist das nicht nur für die Künstler:innen. Langfristig trifft es ganz Berlin ökonomisch, ist es doch gerade die noch reiche Kunst- und Kulturlandschaft, die Besucher:innen anzieht.
Am 14. November treffen sich die Künstler:innen der Atelierhäuser vor dem Abgeordnetenhaus, wo dann die zweite Lesung des Kulturhaushalts im Hauptausschuss stattfindet. Als Symbol für ihre Kundgebung haben sie sich für eine Schere entschieden: „Cut the Cuts“ – „Kürzt die Kürzungen“ lautet die Forderung.
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