Gedichte von Juliane Liebert: Lieber Kippen statt Verzweiflung
Der Rhythmus des Gedichts nimmt den Herzschlag der Mutter auf: Die „lieder an das große nichts“ von Juliane Liebert sind oft große Kunst.
Eines der Gedichte, das etwas weiter hinten versteckt ist in diesem eleganten schmalen Lyrikband, trägt den Titel „christa p.“. Es ist Christa Päffgen alias Nico gewidmet, dem vielleicht ersten (und einzigen) deutschen Pop-Weltstar, dem vielleicht ersten deutschen Goth. „ich habe neun geliebte / (…) über eine spreche ich nie / sie ist mir die liebste / (…) wenn ich müde werde, bringt sie mich in mein zimmer / sie faltet mich zusammen wie ein taschentuch / sie berührt mich wie ein vogel“, heißt es in dem Text.
Die kleine Hommage stammt von der Journalistin und Schriftstellerin Juliane Liebert, die kürzlich diesen Gedichtband bei Suhrkamp veröffentlicht hat. „lieder an das große nichts“ heißt er, und dass eine Figur wie Nico darin gewürdigt wird, ist alles andere als Zufall, steht diese Künstlerin doch so sehr für den Pomp und den Wahnsinn, die Tiefe, die Schwere und die Verzweiflung, die in großer Popmusik stecken kann.
All das findet sich in diesen Gedichten in anderer Form wieder. Nur kommt hier noch der Humor dazu, für das lyrische Ich oft ähnlich überlebenswichtig wie Zigaretten: „die große verzweiflung hat mich, und ich hätte lieber kippen / ich hätte lieber kippen als alles andere auf der welt“, schreibt Liebert im titelgebenden Gedicht.
Den popinteressierten Leser:innen dürfte ihr Name ein Begriff sein. Seit einigen Jahren schreibt die in Halle (Saale) aufgewachsene und in Berlin lebende Autorin scharfe, präzise und unterhaltsame Texte zu Popkultur und Kunst für verschiedene Feuilletons. Dabei frühstückt sie von Justin Bieber über Cyberpunk bis zu Hengameh Yaghoobifarah viele unterschiedliche Themen ab. Im vergangenen Jahr hat Liebert Fotografien zu einem Gedichtband von Franz Dobler beigesteuert, zudem hat sie eine Apologie des Schimpfens vorgelegt („Hurensöhne! Über die Schönheit und Notwendigkeit des Schimpfens“).
Juliane Liebert: „lieder an das große nichts“. Suhrkamp Verlag, Berlin 2021, 88 Seiten, 18 Euro
„lieder an das große nichts“ kommt nun auch wie eine Liebeserklärung an das Format Gedichtband daher. Das Büchlein ist toll und minimalistisch gestaltet; die Prägung auf dem Buchcover, der Satz, in dem manchmal wenige Worte eine Doppelseite füllen, all das ist so sorgfältig gearbeitet wie auch die Gedichte. Man nimmt es gern zur Hand wie eine schicke LP.
„die battlerapper trösten“
Einige dieser Texte sind ganz große Kunst. „na einer muss ja auch die battlerapper trösten“ etwa: „komm lass mich meinen kopf in deinen legen / ich bin der spiele so müde, selbst die messer/ haben das stechen satt und das schneiden / und das steak will wachsen zum tier / und einer muss doch auch die battlerapper trösten / wenn sie in tränen aufgelöst in ihren jaguaren / kauern, und einer muss doch die berge glätten / bis sie flach sind wie hotelbetten gegen drei am nachmittag“. Die Ironie, die Metaphorik, der Subtext, da stimmt alles. Der Tonfall erinnert einen an die journalistische Arbeit Lieberts.
Man könnte die hier versammelten Texte Gelegenheitsgedichte nennen (aber ohne die leicht pejorative Konnotation, mit der dieser Begriff manchmal belegt ist). Manche sind formal Miniaturen („kraken“), manche lyrische Aphorismen („grob gefasst“), andere fallen in die Kategorie Prosagedichte, zum Beispiel das tolle „badamm badamm“. Darin beschreibt die Autorin, wie eine Tochter ihrer Mutter auf der Intensivstation eines Krankenhauses beim Sterben zusehen muss. Der Rhythmus des Gedichts nimmt den Herzschlag der Mutter auf, mit den vielen Kommata, die man klopfen zu hören meint.
Sockendandys und Senfeier, Suizid und Seuche
Die literarischen Referenzen, die einem in den Sinn kommen können, sind zum einen US-amerikanische (Underground-)Lyrik von Bukowski über Ferlinghetti bis zu Patti Smith, aber auch die frühe deutsche Poplyrik eines Rolf Dieter Brinkmann. Namentlich nennt Liebert aber vor allem Künstlerinnen als Inspiration, etwa die Berliner Surrealistin Unica Zürn oder Marianne Faithfull. „auf ihrem bett in paris marianne“ ist eine kleine Verneigung vor der britischen Musikerin, das Gedicht handelt von einem Treffen Lieberts mit ihr vor ein paar Jahren (als sie ein Porträt für den Spiegel schrieb).
Thematisch geht es ansonsten eigentlich um alles, was gedichttauglich ist – also um alles. Ein Lob dem Schamhaar, eine Alternativversion von Rotkäppchen, eine „Blade Runner“-Würdigung kommen vor, Sockendandys und Senfeier, Suizid und Seuche. Auch das Lebensgefühl der 10er Jahre in Berlin (Sockendandys!) findet man in diesen Texten wieder, nicht nur, weil gelegentlich Orte genannt werden.
Einige wenige Beiträge wären vielleicht verzichtbar gewesen, etwa der Dada-Dialog „streitgespräch“, aber das reißen viele andere allemal wieder raus. Und ein Buch, auf dessen Rückseite ein Leitspruch steht, den man gerne groß auf Häuserwände gepinselt sähe, kann eh nur gut sein. „friede den irren, / friede den politikern den popstars / friede den dichtern/ den gefühlsmenschen den maden / im mantel der sensation“, ist da zu lesen.
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