Gedenkstreit in der Hamburger Hafencity: Wohnen, wo die Schlächter losfuhren
In Hamburgs Hafencity entstehen Wohnungen – da, wo einst Truppen nach „Deutsch-Südwest“ verschifft wurden. Historiker fordern daran zu erinnern.
Einspruch eingelegt hat dagegen die Forschungsstelle „Hamburgs (post-)koloniales Erbe“ an der Universität Hamburg. Der Grund: „Dieser historische Ort ist eng mit dem Völkermord an den Herero und Nama verbunden, der in Deutsch-Südwestafrika zwischen 1904 und 1908 verübt wurde“, sagt Kim Todzi, Historiker an der Forschungsstelle. Mit der Bebauung des Hafenbeckens westlich der Elbbrücken vertue man die Möglichkeit, hier einen Gedenkort zu errichten.
Während des Völkermords im heutigen Namibia ermordeten deutsche Kolonialtruppen bis zu 100.000 Menschen. Bei der Schlacht auf dem Waterberg im August 1904 versuchten die Kolonialtruppen rund 60.000 Herero einzukesseln, die sich auf dem Plateau versammelten. Die Herero konnten sich in die Omaheke-Wüste fliehen, die Deutschen riegelten diese aber mit einem 250 Kilometer langen Absperrgürtel ab. Systematisch und mit Waffengewalt hielten die deutschen Soldaten die in der Wüste Umzingelten von den Wasserstellen fern.
Lothar von Trotha, Kommandeur der Kolonialtruppen und maßgeblich für den Völkermord verantwortlich, erließ den sogenannten „Vernichtungsbefehl“: „Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber und keine Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volke zurück oder lasse auch auf sie schießen.“ Die meisten Herero verdursteten oder verhungerten in der Wüste. Überlebende wurden in Lagern inhaftiert, wo sie an den Folgen der Zwangsarbeit und der schlechten Lebensbedingungen starben.
Truppen wurden gefeiert
Mehr als 90 Prozent der am Völkermord beteiligten deutschen Truppen reisten über den Ort, an dem jetzt die neuen Gebäude entstehen sollen, in das Kolonialgebiet. Mehr als 18.000 Soldaten und 11.000 Pferde wurden über den Petersenkai im Hamburger Baakenhafen verschifft. Die Bevölkerung zelebrierte die An- und Abfahrten der Truppen, teilweise kamen tausende Zuschauer*innen in den Hafen. Regierungsvertreter reisten an, die Soldaten bekamen „Liebesgaben“ mit auf die Reise: Das waren meist Postkarten oder Zigarettentäschchen, die der Senat extra anfertigen ließ.
Nach der Niederschlagung des antikolonialen Aufstands wurde von Trotha 1905 bei seiner Ankunft in Hamburg von Bürgermeister Johann Heinrich Burchard persönlich und mit einer Feier im Namen des Senats begrüßt. Noch bis 1999 war der Baakenhafen der Knotenpunkt für den Hamburger Handel mit afrikanischen Ländern. Dann begann der Bau der Hafencity.
„Der Baakenhafen ist ein authentischer Ort des Kolonialismus“, sagt Todzi. „Einer der wenigen, die explizit auf die deutsche Gewaltgeschichte außerhalb Europas verweisen.“ Allerdings fehle bisher jegliche öffentliche Erinnerung. Die Forschungsstelle publiziert seit 2019 zum Hafen und hat seine Kolonialgeschichte erstmals umfangreich aufgearbeitet. „Ich sehe die Gefahr, dass mit der Bebauung Fakten geschaffen werden, die nicht mehr rückgängig gemacht werden können“, sagt Todzi. „Das sollte nicht widerspruchsfrei hingenommen werden.“
Drei neue Wohntürme sollen ins Wasser gebaut werden, Stege verbinden sie mit dem Ufer. 230 Wohneinheiten sollen so in den knapp 60 Meter hohen Türmen entstehen. Im ursprünglichen Wettbewerbsverfahren 2012 waren noch drei Zwillingsbauten mit insgesamt sechs eng beieinander stehenden Häusern vorgesehen. Laut Hamburgs Oberbaudirektor Franz-Josef Höing hat sich dieser Ansatz im Laufe der Zeit als unsinnig herausgestellt. 2021 wurde daher gemeinsam mit den drei Hamburger Bauherren ein erneutes Wettbewerbsverfahren durchgeführt, bei dem sich dann drei unterschiedliche Architekturbüros durchsetzten.
Ruf nach Dokumentationszentrum
Die Forschungsstelle fordert, „die historische Bedeutung des Baakenhafens angemessen zu berücksichtigen“: Man sei gar nicht grundsätzlich gegen eine Bebauung, schlägt aber vor, dort ein Dokumentationszentrum für die Geschichte des kolonialen Völkermordes und die Rolle des Hamburger Hafens zu errichten.
Immerhin hatte nur einige Tage nach Auslegen des Bebauungsplans, am 21. Mai, Kultursenator Carsten Brosda (SPD) ein neues stadtweites Erinnerungskonzept „Hamburg dekolonisieren!“ präsentiert, das die Schaffung „würdiger Formen und Orte des Erinnerns“ vorsieht. Dabei gehe es auch darum „unsere eigenen blinden Flecken in der Aufarbeitungsgeschichte zu erkennen“, so Brosda. Ein solcher blinder Fleck ist der Baakenhafen.
Eine „koloniale Amnesie“ bescheinigt gar Jürgen Zimmerer, Leiter der Forschungsstelle, der hamburgischen und überhaupt der deutschen Erinnerungskultur. „Die gesamte Grausamkeit und Brutalität des deutschen Kolonialismus ist nicht im öffentlichen Bewusstsein verankert“, sagt er der taz. Der Baakenhafen könne zu einem erneuten Beispiel dieses Vergessens, wenn nicht gar eines bewussten Verdrängens werden.
Die Gleichzeitigkeit der Veröffentlichung des Bebauungsplans und des Erinnerungskonzepts passt für ihn nicht zusammen. „Vielleicht weiß in Hamburg die eine Behörde nicht, was die andere tut. Das Erinnerungskonzept soll eigentlich ganz bewusst behördenübergreifend sein“, sagt der Kolonialhistoriker. Er kritisiert auch, dass die Stadt die wissenschaftliche Forschung nicht genug berücksichtigt: „Das Wissen über die Kolonialgeschichte des Baakenhafens ist noch kein Allgemeinwissen. Bei Projekten wie dem in der Hafencity braucht es deshalb wissenschaftlicher Grundlagenforschung, ja einen wissenschaftlichen Beirat, der auf ein derartiges Problem aufmerksam machen kann.“
Von Seiten der Behörde für Stadtentwicklung und Bauen heißt es, dass eine Bebauung des Hafenbeckens einen Gedenkort nicht ausschließe. Dieser könne auch später noch entstehen. Einen informatorischen Austausch mit der dafür zuständigen Kulturbehörde habe es bisher jedoch nicht gegeben. Sprecher Enno Isermann versichert der taz, dass am Baakenhafen noch ein Gedenkort entstehen solle. „Der Baakenhafen ist Teil des Erinnerungskonzepts. Natürlich wäre ein schnelleres Vorgehen wünschenswert“, sagt er, „aber das wäre Erinnerung von oben. Wir wollen die Zivilgesellschaft in den Prozess mit einbeziehen.“
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