Gedenken an Srebrenica: 409 Opfer beerdigt
In der ehemaligen UN-Enklave wird der Ermordung von 8.000 Bosniaken gedacht. Opfer, deren Identität jetzt geklärt ist, werden endlich bestattet.
SARAJEVO taz | Am 18. Jahrestag des Genozids von Srebrenica haben sich Zehntausende an der Gedenkstätte von Potocari versammelt. Sie beerdigten 409 Opfer, deren Identität erst jetzt festgestellt werden konnte. Im Juli 1995 waren mehr als 8.000 Menschen, vor allem bosnisch-muslimische Männer und Jungen, in Srebrenica von serbischen Soldaten ermordet worden.
Bislang waren 5.137 Opfer identifiziert worden. Beigesetzt werden nur diejenigen, deren Identität nach forensischen Analysen eindeutig festgestellt ist. Die 409 jetzt beerdigten Opfer wurden im vergangenen Jahr aus über 70 Massengräbern geborgen. Unter ihnen waren 44 Jugendliche im Alter zwischen 14 und 18 Jahren.
Dass jetzt ein wenige Stunden altes Baby beerdigt werden musste, hat sogar Menschen wie Amor Masovic, der seit über zwei Jahrzehnten die Ausgrabungen von Massengräbern leitet, erschüttert. „Ich dachte, es gibt nichts Schlimmeres als das, was ich bisher gesehen hatte: Kinder, Zivilisten, Menschen mit verbundenen Augen, mit Handschellen. Menschen in Steinbrüchen, in Brunnen, Körper an Bäume gebunden und angezündet. Dann war ich direkt dabei, als man das Baby gefunden hat, das bei seinem Tod erst wenige Stunden alt war. Ich habe persönlich die sterblichen Überreste des Babys eingesammelt, dessen Knochen dünn wie Nadeln waren. Wir haben es in einer Plastiktüte gefunden. Schrecklich, die Füßchen und Händchen waren nur wenige Zentimeter lang“, berichtete er gegenüber der Zeitung Dnevni Avaz.
Auch viele Ausländer in Srebrenica
Dieses Jahr nahm der Hohe Repräsentant Valentin Inzko an dem tagelang währenden Trauermarsch nach Srebrenica teil. In den vergangenen Jahren mischten sich nicht nur Bosniaken aus Bosnien unter die betroffenen Familienangehörigen, sondern auch zunehmend Ausländer aus aller Welt, die ihren Aufenthalt in Bosnien zu einer Stippvisite nach Srebrenica nutzen.
Auch Serben kommen am 11. Juli nach nach Srebrenica. Dabei handelt es sich zumeist um zivilgesellschaftlich engagierte Personen. In der serbischen Gesellschaft insgesamt wird der Genozid in Srebrenica jedoch verharmlost. Die serbische Bevölkerung in der Region Srebrenica – die Gemeinde gehört seit dem Friedensschluss 1995 zur serbischen Teilrepublik – bleibt indifferent.
Viele aus der Region waren vermutlich an dem Genozid unmittelbar und mittelbar beteiligt. Schätzungen der internationalen Gemeinschaft gehen von etwa 20.000 Tätern aus, doch nur etwa ein Dutzend wurde bisher vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag abgeurteilt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste