Gedanken zum Einweck-Trend: Deine Mudda fermentiert
Es war ein Fortschritt für die Frau, nichts mehr einwecken zu müssen. Heute muss sie wieder. Denn „Fermentieren“ ist auf einmal angesagt.
Meine Großmutter mütterlicherseits wollte keinen Grabstein. Meine Eltern sollten sich von dem Geld lieber eine Waschmaschine kaufen. Sie wollte ihre Tochter, Mutter von immerhin drei Kindern, von der Hausarbeit entlasten. Fermentiert, gesalzen und sonst wie eingemacht hat meine Großmutter höchstens nach Kriegsende, um etwas für den Hungerwinter zu haben.
Später, sehr viel später konnten sich meine Eltern dann sogar eine Spülmaschine leisten. Die gewonnene Zeit nutzte meine Mutter, um im Garten Romane zu lesen – nie wäre sie auf die Idee gekommen, stattdessen Kohl zu schnibbeln und Sauerkraut daraus zu machen. Warum auch? Die Firma Kühne lieferte stets „Weinsauerkraut“ an die in den Siebzigern ins Kraut schießenden Supermärkte.
Bei der Nachbarsfrau, Jahrgang 1900, sah es hingegen im Keller aus wie im Medizinhistorischen Museum der Charité: Hinter Glaswänden lagerten tote, blasse Früchte in trübem Gewässer, auch klein geschnittenes Gemüse und Bohnen und Gott weiß was alles. In ihrem Garten hätte die Frau, die immer Kittelschürze trug, niemals Romane lesen können, dort war alles voll mit Gemüsebeeten und Obststräuchern.
Heute nun sind wieder ganze Abiturjahrgänge damit beschäftigt, Lebensmittel haltbar zu machen. Der Zeitgeist will es so – mit harmloser Marmelade hat das alles angefangen.
Eine Lösung für drängende Probleme wie Klimawandel und Überbevölkerung findet man allerdings nicht, wenn man sich die ganze Zeit mit Schraubdeckelgläsern und Dichtungsgummis beschäftigt. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass es natürlich meist Frauen sind, die am Herd stehen und einkochen, einwecken und einsalzen und vom Pflaumen- und Kirschenentsteinen am Ende verfärbte Finger bekommen. Außer natürlich, es handelt sich um prominente männliche Sterneköche.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Entkommen kann dem Einmachglas aber niemand mehr, gleich welchen Geschlechts. In der Fermentierszene nahestehenden gastronomischen Einrichtungen (und das sind in Großstädten sehr viele) muss man seine naturgequetschte Zitronenlimo aus einem solchen trinken, während man auf der grob gezimmerten Holzbank sitzt und verzweifelt versucht, die auf der Schiefertafel handgeschriebene Speisekarte zu entziffern: Kimchi-Spätzle, Pulled Eisbein und Vegan-Donauwelle (im Einweckglas).
Ob das meiner Oma geschmeckt hätte, weiß ich nicht. Ich weiß aber, dass sie gerne eine Tiefkühltruhe gehabt hätte.
Leser*innenkommentare
Moritz Arndt
Meine Güte, was ein durcheinander. Was ein Quatsch.
Erstens werden hier Sachen vermischt die nicht zusammen gehören. Auch bei Kleinigkeiten sollte man richtig recherchieren.
Zweitens frage ich mich wann Sie, Herr Reichert das letzte Mal die Stadt verlassen haben. In der rückständigen Provinz macht das nämlich noch durchaus Sinn seine Erträge aus Garten und Fallobstwiese zu konservieren. Nicht alles kann man den Nachbarn in die Mäuler stopfen.
Tiefkühltruhen sind hier nur ein Teil der Lösung. Stellen sie sich vor, man hat am Ende mehr als 3 Äpfel und 7 Kirschen über. Da wird es schnell ganz schön eng in einer einzigen Truhe. 3-4 will ich mir aber (vor allem auch aus Energie- und Kostengründen) nicht in den Keller stellen.
Drittens ist es auch für hippe Städter nicht schlecht sich mal mit ihren Lebensmitteln zu beschäftigen und zu schauen wie man so etwas selbst haltbar machen kann. Kontakt und Umgang mit Lebensmitteln (kochen, konservieren, etc.) sind keine Zeitverschwendung. Man darf nicht vergessen, egal wie viel Technik wir haben, egal wie viel uns Geräte, Maschinen und Roboter abnehmen können. Wir bleiben Säugetiere und sollten als solche wissen und lernen von und mit was wir uns ernähren, was unser System braucht und verträgt. Klar kann man das auch lesen, aber Erfahrung hat noch keinem Menschen geschadet.
DiMa
Einmachgläsersind zum fermentieren vollkommen ungeeignet. Am besten funktioniert es in einem Rumtopf, damit die Luft entweichen kann. Seit einem Koreabesuch fermentiere ich wo ich nur kann. Auch schwedischer Surstömming oder Schokolade werden durch Fermentierung gewonnen. Mit Überbevölkerung, Klimawandel oder Trends hat das allerdings nix zu tun.
81331 (Profil gelöscht)
Gast
..."Einweck-Trend" und "Deine Mutter fermentiert"?! Sorry, aber das passt hinten und vorne nicht zusammen.
Frau von Boedfeldt
Was fuer ein einfaeltiger Artikel.
Beim Einwecken, Einkochen, selbst kochen geht es darum wieder einen Zugang zu den Lebensmitteln zu bekommen. U.a. wo sie herkommen, wie aufwendig es ist sie zu produziern, wie wertvoll sie sind... Nebebei macht es auch noch Spass und schmeckt. Weckglaeser kann man wieder verwenden. Zudem kann Leitungswasser genutzt werden und es muss nicht in Glaesern transportiert werden. Warum werfen sie hier so ein grosses Wort wie Klimawandel in den Raum wenn sie selbst nichts zur Loesung anzubieten haben? Machen sie ihre weisse Bluse doch mal schmutzig beim Einkochen. Vielleicht macht es ihnen sogar Spass. Oder haengen Sie sich eine Kittelschuerzel um...
mowgli
Zitat: "Eine Lösung für drängende Probleme wie Klimawandel und Überbevölkerung findet man allerdings nicht, wenn man sich die ganze Zeit mit Schraubdeckelgläsern und Dichtungsgummis beschäftigt."
Wieso so grundsätzlich? Ich fürchte fast, das kommt wieder drauf an. Vom (Arzt-)Romane lesen, jedenfalls, geht der Klimawandel auch nicht weg. (Höchtens die Überbevölkerung, aber das ist wieder eine andere Geschichte.) Zumindest wäre es ein großes Wunder, wenn der Klimawandel vom Romane lesen wegginge. Vor allem, wenn das Lesen nur dazu dient, die Angst vorm Klimawandel möglichst lange zu verdrängen.
Kein Trend fällt vom Himmel. Der aktuelle hat z. B. damit zu tun, dass großen Firmen, die industriell und unter Erzielung von Spitzenrenditen Lebensmittel produzieren, nicht mehr so sehr vertraut wird wie noch in den 1950-ern. Dank massenmedialer Berichterstattung kümmert man sich lieber selbst. Nicht aus Angst vor dem Verhungern, sondern aus Angst vor dem Vergiftetwerden.
Es ist, scheint mir, auch die Frage nach der Gummidichtung eine nach der Eigenverantwortung. Vertrauen kann ent- aber auch belasten, ja nach Erfahrung. Kontrolle macht halt Arbeit – bildet dabei aber ungemein. Die Oma hätte gerne eine Tiefkühltruhe gehabt. Die Jugend von heute hat die schon. Die Jugend von heute hätte gerne eine Zukunft. Und die könnte sie durchaus kriegen, wenn sie fermentiert. Sie müsste lediglich reflektieren, warum sie tut, was sie so tut. Dann nämlich hätte sie ne echte Wahl: Lesen oder einwecken?
Leider sehe ich pechrabenschwarz, so lange das Zauberwort noch Trend heißt und nicht Vernunft. Und zwar selbst noch im trendigsten Einweckglas, das auf einem aus fair gehandeltem Holz handgezimmerten Tisch in einer hippen Großstadt-Location steht.
Der Herrgott mag denen vergeben, die nicht wissen, was sie tun. Mutter Erde tut das aber nicht.
Karl Bauer15
Stifter
Lieber Herr Reichert,
heute vor 150 Jahren ist Adalbert Stifter gestorben. Nehmen Sie das einfach mal zum Anlass, um wieder mal den "Nachsommer" zu lesen. Das beruhigt ungemein.
Lowandorder
Ja - das walte Hanne!;) Basta!
&
Mit all dess von Kindesbeinen an bis in die Ehen fermentiert - meine Lieblingstante hatte unterm Hof - so eine Medizinhistorische Charité über
2 - in Worten zwei - Stockwerken.
Herrlich. Obzwar Tochter im Haus -
&. ~>
Anstelliger Ehemann! Ja dann.
&
Hab dennoch doch so herzelich gelacht!
Welche Dressur der Zeitgeist möglich macht.
kurz - Um die Flucht aus der Welt -
Ist's hie wie da&dorten - doch doch!
Gleich gutschlecht bestellt.
Schmunzelnd sag ich mal - Normal.
Nu. Sorry. Sattel ab den alten Zossen.
Mach deins - Sei aber dafür nicht - öh
Zeitgeistbesoffen.
Hanne
So ein sorry - blöder - niedergeschriebener Sonnstagsgedanke. Selbstverständlich haben Sie recht, dass viele große Haushaltsmaschinen das Leben - vor allem der Frauen - erleichtern und das ist auch gut so. Diese Errungenschaft nun aber mit dem neuen Aufkommen des Fermentierens, aber auch mit vielen anderen handwerklichen Herstellungsverfahren von Nahrungsmitteln, in direkte Verbindung zu bringen, ist einfach falsch. Das ist genauso falsch, wie einem Briefmarkensammler zu sagen, dass die Vorfahren froh waren, als sie nicht mehr tagelang unterwegs sein mussten, um eine Nachricht zu überbringen. Das eine ist Hobby und Freizeitgestaltung, das andere ist ein Muss des Alltags und den Gegebenheiten der Zeit.
Um wieder zur Ernährung zu kommen: Ist Ihre Mutter auch täglich mit ihren Kindern zu McDoof gefahren, damit sie nicht mehr kochen musste und noch mehr Romane lesen konnte? Satt scheint ja gleich satt zu sein, egal, was drin ist (oder auch nicht).
Es hat sich einfach im Laufe der Jahre - sogar wissenschaftlich - herausgestellt, dass unsere noch recht "moderne" westliche Ernährung seit den 50er Jahren für den Menschen nicht das beste ist, denn satt und einfach zubereitet ist nicht gleich gesund. Und die aufgrund von Kühlschränken und Tiefkühltruhen und ganzjährig verfügbaren Lebensmitteln nicht mehr notwendige Haltbarmachung von saisonalem Obst und Gemüse hat einfach auch was zur negatives Folge. Und zwar fehlen uns u.a. ein paar Bakterien, die uns und unserem Immunsystem gut tun (mehr siehe bitte Fachliteratur). Und das Sauerkraut aus dem Glas kann das nicht ersetzen, denn es ist in der Regel so erhitzt und noch besser supermarkttauglich hergestellt, dass genau diese "guten" Bakterien nicht mehr drin sind. Kohl ist nicht gleich Kohl :-)
Schönen Sonntag mit Tiefkühltruhe, Mikrowelle und Roman (oder jetzt Netflix)!
Hanne
Ach ja: Einwecken ist nicht gleich Fermentieren! Obst EINKOCHEN und Marmelade selbst machen können Sie aus gesundheitlichen Gründen getrost sein lassen. Marmelade ist so oder so ein gekochter Zuckeraufstrich mit ein paar dann nicht mehr frischen Früchten - auch wenn sie aus dem eigenen Garten kommen.
Beim Fermentieren geht es um die (uralte) mikrobiologische Haltbarmachung mittels Milchsäurebakterien und Zeit.
Und: Keine*r muss, jede*r kann es ganz einfach machen.
Cededa Trpimirović
Man muss überhaupt nichts.