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Gebührenfreier FernverkehrApropos Personalmangel

Es ist anstrengend, ohne Ticket mit dem Zug zu reisen. Mit Geduld und der richtigen Strategie ist es machbar. Ein Selbstversuch.

Gute Reise! Bild: imago/Rüdiger Wolk

Freitagabend, kurz vor Mitternacht, wirkt der Berliner Hauptbahnhof noch kälter und menschenfeindlicher, als er eh schon ist. Durch die unwirtliche Beleuchtung wabern Speckgürtel-Teenies, die sich, obschon bereits jetzt betrunken, ins Berliner Nachtleben stürzen werden. Für unsere kleine Reisegruppe beginnt hier die Fahrt zum Auswärtsspiel des Fußballvereins unserer Herzen nach Freiburg.

Wir steigen in einen roten Doppeldeckerzug Richtung Halle an der Saale. Für ein Wochenendticket, mit dem maximal fünf Personen für 42 Euro einen Tag lang alle Regionalzüge der Deutschen Bahn nutzen können, ist es noch zu früh. Also eben ohne. Einer Diskussion bedarf diese Entscheidung nicht; allesamt sind wir das ticketlose Reisen gewohnt und zelebrieren es fast jedes Wochenende.

Ein Fahrkartenkontrolleur ist auf diesem ersten Streckenabschnitt nicht zu sehen – die Nachtruhe im Kabuff geht wohl vor. Gut für uns. In Halle angekommen, heißt es Zeit totschlagen, denn die Bummelzüge halten Nachtruhe. Wir verbringen die Stunden bis zur Morgendämmerung vor einem Pizza-Lieferservice, der einzigen geöffneten Lokalität im Umkreis des sogenannten Einkaufsbahnhofs Halle. Mit Bier von der gegenüberliegenden Tankstelle rüsten wir uns für die strapaziöse Reise.

Um mit Nahverkehrszügen in den äußersten Südwesten vorzustoßen, braucht man vor allem eines: Geduld. Als wir aus der Saalestadt aufbrechen, liegen noch elf Stunden Fahrtzeit vor uns. Die weiteren Umsteigepunkte: Kassel-Wilhelmshöhe, Frankfurt, Mannheim, Karlsruhe und Offenburg. Bis Freiburg haben wir uns nahezu aller zur Verfügung stehenden Möglichkeiten bedient, um die Schaffner nicht doch zu hektischen Taten zu verführen, die für uns im negativen Fall ein Bußgeld wegen Beförderungserschleichung und einen ungeplanten Halt in irgendeinem Kaff bedeuten würden.

Insbesondere in den frühen Bahnen, mit nur wenigen Reisenden, ist das – nennen wir es ruhig beim Namen – Schwarzfahren aufwendig. In Doppelstockzügen entscheiden wir uns meist für einen Platz, von dem wir erkennen können, auf welcher Ebene der Schaffner im Nachbarabteil zuerst kontrolliert. Dann laufen wir je nachdem unter oder über ihm in den bereits kontrollierten nächsten Waggon. Die besondere Schwierigkeit hierbei ist es, den richtigen Moment abzupassen und beim Wagenwechsel nicht doch die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

Eleganter ist es, andere Fahrgäste nach freien Plätzen auf ihren Wochenend- oder Ländertickets zu fragen, ganz egal, ob bereits auf dem Bahnsteig oder verbotenerweise erst im Zug. Das Trampen mit der Bahn funktioniert deutlich besser als das mühevolle Fahren per Anhalter. Die Erfahrung zeigt: Nicht nur ältere Damen können dem Charme eines jungen Mannes kaum widerstehen, der freundlich bis flehend darum bittet, auf dem bereits bezahlten Ticket eine Weile mitzufahren. Menschen, die mit den günstigen Gruppenkarten unterwegs sind, ohne selbst eine fünfköpfige Gruppe zu sein, finden sich fast immer. Nach einer finanziellen Beteiligung fragen nur wenige. Und natürlich gebietet die Tramperehre, sich darauf niemals einzulassen.

Wer für die freundliche Konversation mit den Mitreisenden nicht gemacht oder aufgrund des steigenden Alkoholpegels nicht mehr geeignet ist, muss die Fahrt mit mehr Chuzpe fortsetzen. Sind die Züge gut gefüllt, und das sind Regionalbahnen in den Tagesstunden meist, kann man bei der Kontrolle seelenruhig auf ein Ticket von vermeintlichen Bekannten verweisen („Drei Jungs, kurze Haare, auch auf dem Weg zum Fußball!“), die irgendwo am anderen Ende des Zuges sitzen. Welcher Schaffner das glauben soll? Die Erfahrung zeigt: die meisten. Und auch die, die es nicht tun, belassen es bei der Belehrung, man möge sich doch in der Nähe seines Tickets aufhalten. Aber wie nur, bei den Menschenmengen? Ähnlich erfolgsversprechend ist es, unerkannt einzusteigen und in Sekundenschnelle so auszusehen, als reise man schon ewig mit jenem Zug.

Der Schuhe entledigt, die Sachen verteilt, eine Zeitung vor der Nase oder ein extrem gelangweilter Blick und niemand erwartet ein „Ja“ auf die Frage, ob es Neuzugestiegene gegeben habe. Funktioniert auch im ICE, für den man für die Strecke Berlin–Freiburg und Retour übrigens 282 Euro löhnen muss.

Für tief in die Tasche greifende Kunden sind wir wohl nur Schmarotzer, unsolidarisch und schuld daran, dass die Preise der Deutschen Bahn Jahr für Jahr steigen. Mag sein. Doch verkörpern wir nicht auch die Utopie eines kostenlosen Fernverkehrs? Ist es nicht gerecht, die bereits bezahlten Plätze auf den Gruppentickets der Mitreisenden auch auszufüllen? Immerhin sind wir dafür bereit, uns Zeit zu nehmen. Nach der gewohnten Auswärtsniederlage geht es also zum Freiburger Bahnhof, 16 Stunden später sind wir zurück in Berlin. Die Bahn hat keinen Cent gesehen.

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3 Kommentare

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  • DO
    DB-nich ok

    Bei den unverschämten Preiserhöhungen , den mir gegenüber oft unfreundlichen Schaffnern , den endlosen Verspätungen uvm. sehe ich es nicht ein der DB noch mehr Geld in den Rachen zu schieben - 280 € Berlin Freiburg un retour? Mit Mitfahrgelegenheiten oder via Bus deutlich günstiger und nicht umbedingt langsamer. Ein guter Grund für die DB ordendlich Preisnachlass zu gewährleisten - ich bin nur sehr sehr ungerne und wirklich nur im Notfall mit der DB unterwegs...

  • Also mir ist ja eine Welt lieber, in der man für eine Leistung bezahlt, weil man sie bewusst nutzt und nicht deshalb, weil man kontrolliert wird. Das wär´s.

  • B
    Beförderungserschleichermitbezahler

    Selbstironie kann die taz schon super - direkt unter dem Artikel:

     

    "taz.zahl ich - Unser Artikel hat Ihnen gefallen? Sie können dafür bezahlen!"

     

    Och, nö. Und wenn eine Bezahlschranke eingerichtet wird, klaue ich mir meine taz einfach am Kiosk. So als "Verkörperung der Utopie" einer kostenlosen Zeitung.