Gebetsräume an Universitäten: Bitte in den Keller gehen

Wo sollen muslimische Studierende beten? In einem neutralen Raum der Stille, sagen viele Hochschulen. Nutzbar auch für Yoga.

Raum der Stille in Köln

Für Muslime, Christen, Nichtgläubige, Yoga-Fans: Der Raum der Stille in der Uni Köln. Foto: Sandra Stein

KÖLN taz | In Dortmund hat es nicht funktioniert. Die Technische Universität (TU) hat den Raum im dritten Stock geschlossen. Grund: Verstöße gegen die Nutzungsordnung. Was haben die Studierenden da veranstaltet? Orgien, Drogenexzesse, Sektentreff, ein Feuerwerk?

Nein, Geschlechterdiskriminierung, sagt die Hochschule. Muslimische Studierende hatten den Raum in zwei Bereiche aufgeteilt: Frauen – alle Frauen, egal welchen Glaubens – sollten nur noch den kleineren Teil nutzen dürfen. Außerdem fand man Gebetsteppiche und einen Koran, obwohl religiöse Symbole im Raum der Stille verboten waren.

Alle Religionen und Nicht-Religionen unter einem Dach zu beherbergen ist keine leichte Aufgabe – selbst wenn das Haus groß ist. Aber in nur einem Raum? Schaut man auf die Weltgeschichte, dann scheint, was sich die Universitäten vorgenommen haben, nicht weniger zu sein als ein Wunder. Trotzdem versuchen es immer mehr. Ob Hamburg, Dresden, Trier oder Köln: Der Raum der Stille ist ein deutschlandweiter Trend.

Ausgelöst hat ihn die Debatte um die Frage, ob säkulare Hochschulen muslimischen Studierenden einen Gebetsraum zur Verfügung stellen sollten. Gläubige MuslimInnen beten fünfmal am Tag; wer nur eine halbe Stunde Pause zwischen Vorlesungen hat, kann nicht 15 Minuten bis zur nächsten Moschee wandern. So das Argument – und in der Vergangenheit haben viele Universitäten ihren Studierenden unkompliziert einen Raum überlassen.

Der Verweis auf Neutralität

Doch vor zwei Jahren begann eine Schließungswelle: Die TU Berlin beispielsweise schloss über Nacht den muslimischen Gebetsraum und begründete das mit ihrer Neutralitätsverpflichtung. Die Universität Duisburg-Essen ihrerseits schloss ihre seit Jahren bestehenden muslimischen Gebetsräume und ließ ausrichten, in der Nähe gebe es Moscheen. Heute lautet die Linie: Wer MuslimInnen einen Raum zur Verfügung stellt, muss das auch für Christen und Juden tun.

Deshalb bieten Unis, die ihren Studierenden entgegenkommen wollen, häufig einen Raum der Stille an. Aber ein Raum für alle, kann das gut gehen? Und – was hat Religion an Universitäten überhaupt verloren?

Eine Hochschule ist eine säkulare Einrichtung. Stellt sie einen Raum zur Verfügung, ist das eine freiwillige Leistung. Allerdings stehen die Universitäten auch unter einem gewissen Druck: Wer beten will, der betet. Haben Studierende keinen Rückzugsort, dann beten sie eben in der Bibliothek, im Treppenhaus oder auf der Wiese. Als die TU Berlin ihren Gebetsraum 2016 schloss, beteten die MuslimInnen auch auf dem Rasen hinter dem Hauptgebäude – sehr zum Missfallen der Hochschulleitung. Ohne Rückzugsort geraten sich Gläubige und Nicht-Gläubige eher in die Quere.

Die meisten muslimischen Studierenden könnten sich allerdings eh nicht überwinden, öffentlich zu beten, sagt Meriem Hammami. Die 25-Jährige studiert Französisch und Geografie im Bachelor an der Universität Köln; ihre Eltern sind Anfang der 90er Jahre aus Tunesien nach Deutschland gekommen. „Ich glaube, viele Muslime haben ein Problem damit, öffentlich zu beten, weil sie sich schämen“, sagt sie.

„Sie wissen, dass das hier nicht üblich ist. Man möchte möglichst wenig Aufruhr verursachen und niemandem im Weg sein.“ Als Vorstandsmitglied der Islamischen Hochschulvereinigung Köln (IHV) setzt sich Hammami für ein Miteinander im Raum der Stille ein. Den Raum gibt es in Köln erst seit letztem November. Hier soll es anders laufen als in Dortmund.

Strenge Nutzungsordnung

Der Kölner Raum der Stille liegt im Keller. Weiße Wände, helles Laminat; in einer angrenzenden Kammer gibt es Stühle, Kissen und Matten. Die Nutzungsordnung verbietet Essen, Trinken, Schlafen und elektronische Geräte, das Hinzufügen sowie Entfernen von Gegenständen und Gruppenveranstaltungen. „Es gelten Restriktionen, um die Neutralität des Raumes zu wahren“, sagt Hammami.

„Der Universität ist es wichtig, einen wertungsfreien Rückzugsort zu schaffen, in dem jeder die Möglichkeit hat, sich spirituell zu entfalten.“ Die Grenzen sind anders, als es im Islam bei Gebetsräumen üblich ist. „Sich mit diesen Restriktionen wohlzufühlen, ist schwieriger“, sagt Hammami. „Aber es ist möglich. Und es ist praktikabel.“

Praktikabilität ist ein Stichwort. Ebenso: Kompromiss. Die Hochschule Bochum hatte auch mal einen Gebetsraum im Keller. Da gab es Probleme. Der Raum wurde von Salafisten genutzt, auch von dem als mutmaßlicher Leibwächter von Osama bin Laden bekannt gewordenen Sami A. Das konnte die Hochschule nicht dulden. Also hat sie einen Balkon umfunktioniert – in der Mensa. Jetzt betet man hier nicht mehr im Keller: Man betet hoch oben über den Hungrigen, abgetrennt durch einen weißen Vorhang. Still ist es nicht, und es riecht nach Essen. Aber ein Kompromiss ist eben ein Kompromiss.

Ein bisschen Pragmatismus

„Es zeichnet eine Universität aus, wenn sie sich da offen gibt“, sagt Mathias Rohe, Islamwissenschaftler und Jurist an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Dass Essensgerüche stören würden, habe er bisher noch nicht gehört. „Ich bin ein großer Freund pragmatischer Lösungen. Die meisten Musliminnen und Muslime, die ich kenne, sehen die Sache entspannt. Sie hätten halt gerne ein abgetrenntes Plätzchen für diese ja auch sehr kurzen Gebete.“

Ein Gebet dauert fünf bis zehn Minuten; für diese Zeit bräuchte man einen geschützten Ort. “Das heißt: geschützt in alle Richtungen. Die Leute können ihr Gebet privat verrichten und die anderen sind in ihren Tätigkeiten nicht beeinträchtigt.“ An das Gefühl, im Raum der Stille zu beten, wo jederzeit jemand zum Yoga reinkommen könne, müsse man sich erst gewöhnen.

Nicht überall hat so ein Kompromiss geklappt: Die TU Dortmund hat ihren Raum der Stille vor zwei Jahren geschlossen. Einen neuen soll es nicht geben; die Universität begründet das mit Platznot. Stattdessen hat sie eine Lounge eingerichtet, mit Sofas und Strandkörben. „Wir verhalten uns neutral und stellen keiner einzigen Religionsgruppe Räume zur Verfügung“, sagt die Sprecherin Eva Prost.

Die Verantwortung, Gebetsräume einzurichten, sehe man nicht bei der Universität, sondern bei den Religionsgemeinschaften. „Wir stellen Räume für Forschung und Lehre, und platzen sowieso schon aus allen Nähten.“

Beten, ruhen, Yoga

An der Fakultät für Evangelische Theologie der Uni Köln sieht man die Sache entspannt. „Ich finde es gut und wichtig, dass wir den Raum der Stille haben“, sagt Heike Lindner, Professorin für Religionspädagogik. „Es geht ja nicht nur um den religiösen Faktor, sondern darum, einzelne Studierende anzusprechen, die sich in einen Ruhebereich begeben wollen, um Stress abzubauen.

Deshalb heißt er auch ‚Raum der Stille‘: Man kann hier beten, meditieren oder auch Yoga machen.“ Von den christlichen Studierenden, die man fragt, weiß aber niemand, dass der Raum der Stille existiert. Vielleicht liegt es daran, dass sie ihn nicht brauchen: Die evangelische und katholische Kirche stellen campusnah eigene Räume.

Das ist ein wichtiger Punkt in der Diskussion über Gebetsräume, die so oft ins Grundsätzliche abrutscht: über die Rolle von Religion an Universitäten. Denn der Wettbewerb ist nicht fair. Das Christentum ist mit den säkularen Universitäten verflochten. Es gibt Semestereröffnungs- und Weihnachtsgottesdienste, theologische Studiengänge müssen von der Kirche genehmigt werden und wer ReligionslehrerIn werden möchte, muss Mitglied der Kirche sein – und auch bleiben. Tritt man aus, während des Studiums oder danach, ist die kirchliche Lehrerlaubnis dahin, sagt Lindner.

„Selbst wenn man schon verbeamtet ist, darf man dieses Fach dann nicht mehr unterrichten.“ Diese Regel gilt in allen Bundesländern, in denen konfessioneller Religionsunterricht stattfindet; Basis dafür ist das Grundgesetz. Anders ist es in Bremen, Berlin und Brandenburg: Für diese drei Länder gilt die sogenannte Bremer Klausel: dort ist der Staat alleine für die Inhalte des Religionsunterrichtes zuständig.

Oder doch die Maximalforderung?

Für jene, die Religion komplett aus den Hochschulen raushalten wollen, ist diese Verflechtung ein Missstand – und die Bitte, Gebetsräume einzurichten, eine Provokation obendrauf. Andere stellen Maximalforderungen auf, wie die, dass jede Religionsgemeinschaft eigene Räume bekommen sollte.

„Ich mag Fanatiker beider Seiten nicht“, sagt Islamwissenschaftler Rohe. „Es gibt religiöse Menschen, die unangenehm auftreten, nach dem Motto: Demut vor Gott, aber Hochmut gegenüber allen Andersdenkenden. Ebenso wenig freut mich die Haltung mancher Atheisten, die meinen, Religion und Vernunft, das schließe sich aus, und sie hätten die Vernunft gepachtet.“

An der Universität Köln scheint man diese Spannungen gerne aushalten zu wollen. Zum Raum der Stille sagt Universitätssprecher Jürgen Rees: „Wir haben da überhaupt keinen Stress. Es läuft alles, wie es laufen soll.“ Hammami sieht es ähnlich. „Es gibt einen Spruch: ‚Die schönste Schönheit ist das Benehmen‘“, sagt die Studentin.

„In einem Streit kann man auf asoziale und unwürdige Weise miteinander diskutieren. Oder man erinnert sich daran, dass wir alle Menschen sind, und bemüht sich, das Gegenüber zu verstehen.“ Wer im Raum der Stille meditieren will, kann das tun. Wer einfach nur da­liegen und die Stille genießen will, kann es tun. Wer Yoga machen will, macht Yoga. Und wer beten will, betet eben.

An diesem Freitag jedoch bleibt der Kölner Raum der Stille leer. Schließlich sind gerade Semesterferien. Wer will da schon im Keller sein.

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