Gaza-Tagebuch: Freude und Hoffnung auf Trümmern
In Gaza freuen sich viele über den Sturz von Assad. Mit syrischen Freundinnen hofft unser Autor auf eine Zeit, in der sie gemeinsam feiern können.
M ein Gesicht hat viele Kämpfe erlebt, es hat die anderer gesehen und einige mit sich selbst ausgefochten. Früher war es mir peinlich, wenn sich meine Gesichtszüge veränderten, wenn die Menschen den Beweis für meine Belastungen sahen. Heute nicht mehr. Heute schaue ich mir meine Gesichtszüge lange und genau an, damit ich diese Tage nicht vergesse, an denen ich stundenlang geweint habe.
Wenn der Schmerz mich quält, sehe ich mich nach denen um, die noch mehr leiden. Ich sehe, dass ich doch im Himmel bin.
Aber ich vermisse die Freiheit, den Geruch frischer Luft kurz vor der Morgendämmerung, ich vermisse einen friedlichen Schlaf ohne Angst, ein sauberes Bett ohne Insekten. Ich vermisse die Straßen, auf denen ich im nördlichen Gazastreifen spazieren ging, bevor die Besatzung uns aus unseren Häusern vertrieb. Ich habe eine so große Sehnsucht nach meinem Zuhause, nach diesem Land in Freiheit.
Süßigkeiten zum Sturz Assads auch in Gaza
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Und so nehmen wir teil an der Freude unserer syrischen Freunde. Sie konnten sich von dem Monster der Ungerechtigkeit befreien. Die Menschen hier in Gaza sind sehr glücklich über das, was in Syrien geschieht. Im Gazastreifen haben sie Süßigkeiten an die Passanten verteilt, als sie davon hörten. Ich habe es in ein paar Videos gesehen.
Es waren keine Jubelfeiern, wie die Welt sie sonst kennt. Die Menschen standen vor Häusertrümmern, auf dem, was von den Straßen noch übrig geblieben ist, schüttelten Hände, und wünschten sich Frieden.
So wie viele meiner Freunde. Sie hoffen, dass auch Gaza befreit wird, von der Besatzung. „Syrien wurde befreit und die Gefangenen werden aus den Gefängnissen der Ungerechtigkeit entlassen“, sagte mein Freund Ahmed und hatte Tränen in den Augen.
Er hatte die Videos der syrischen Gefangen gesehen, die befreit wurden. Als wir sprachen, spiegelte sich in seinen Augen ihr Schmerz, der Schmerz, den er in ihren Gesichtern und auf ihren Körpern gesehen hat. Aber in seinen Augen lag auch Hoffnung. Denn die Menschen im Gazastreifen träumen von einer Freiheit wie dieser.
„Irgendwann werden wir gemeinsam feiern“
Meine Freundin Mariana ist Syrerin und lebt in Berlin. Ich habe vor ein paar Tagen mit ihr über die Ereignisse in Syrien gesprochen. Ich schrieb ihr zwei Tage, nachdem sich die Nachricht verbreitete, wegen der Szenen, die wir sahen. Ich gratulierte ihr zur Befreiung des Landes.
Sie sagte mir damals, dass die Revolutionäre ihre Stadt in wenigen Stunden erreichen würden. Mariana sprach von Damaskus, und ihre Seele, so schien es mir, hing daran wie ein kleines Mädchen, das sein Spielzeug fest in der Hand hält und Angst hat, es könnte verloren gehen.
Sie wolle die Stadt nicht wieder verlieren, sagte sie, denn sie hatte sie nicht freiwillig verlassen. Sie ist vor der Kriegsmaschinerie geflohen. Auch meine Freundin, die syrische Schriftstellerin Ni'mah Khaled, schrieb mir spontan. Sie wartet jetzt auf den Moment, in dem sie ihre Koffer packen und zurückkehren kann. Mariana, Ni'mah und ich haben gemeinsame Wünsche: Dass Syrien in Zukunft sicher und frei sein möge – wie der Gazastreifen. Und ich hoffe, eines Tages werden wie zusammen eine neue Freiheit feiern, sie bei mir in Gaza, ich bei ihnen in Damaskus.
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