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Gauland will nicht jede Meinung duldenAfD-Spitze in NRW zerfällt

Höckes rechtsnationaler „Flügel“ ruft in Thüringen zum Widerstand auf. Und plötzlich treten neun von zwölf AfD-Vorständen in NRW zurück.

Bringt der „Flügel“ etwa selbst AfD-Chef Alexander Gauland zur Verzweiflung? Foto: reuters

Leinefelde/Warburg dpa | Der Richtungsstreit in der AfD hat den Vorstand der Partei in Nordrhein-Westfalen gesprengt. Auf einem Parteitag in Warburg trat der als gemäßigt geltende Co-Vorsitzende Helmut Seifen am Samstag gemeinsam mit einem Großteil des zwölfköpfigen Landesvorstandes zurück.

Der gleichberechtigte Landeschef Thomas Röckemann und zwei weitere Vorstandsmitglieder bleiben vorerst im Amt. Mehrere Anträge auf ihre Abwahl erreichten bei dem vorgezogenen Parteitag der Rechtspopulisten nicht die notwendige Zweidrittelmehrheit der Delegierten.

Röckemann gilt als Sympathisant des Rechtsaußen-„Flügels“ der AfD um den Thüringer Landesparteichef Björn Höcke. Seifen warf den Anhängern des „Flügels“ vor, die Partei in NRW und bundesweit zu unterwandern und zu spalten. In entscheidenden politischen Fragen handelten Höckes „willfährige Werkzeuge“ nicht im Interesse des Landesverbandes, sagte er. „Ihre Loyalität gilt in erster Linie dem ‚Flügel‘.“

Das Bundesamt für Verfassungsschutz stuft den „Flügel“ und die Nachwuchsorganisation Junge Alternative beide als Verdachtsfälle im Bereich des Rechtsextremismus ein. Höcke sagte am Samstag beim jährlichen „Kyffhäusertreffen“ des „Flügels“ im thüringischen Leinefelde: „Eine wirkliche Demokratie ist Deutschland heute für mich nicht mehr. Deutschland ist für mich heute eine Maulkorb-Demokratie, die leider auf dem besten Weg ist, zu einer Wohlfühl-Diktatur zu werden.“

Angeblich darf man selbst bei der AfD nicht alles sagen

Brandenburgs AfD-Landeschef Andreas Kalbitz rief: „Widerstand tut not in diesem Land, sonst werden wir dieses Land verlieren.“ Der „Flügel“ sei für die AfD ein „Korrektiv“ und Bewahrer der Gründungsideale der Partei.

Der Co-Vorsitzende Alexander Gauland bat die rund 800 Teilnehmer der Veranstaltung, vorsichtig zu sein. Er sagte, die AfD besitze zwar „Mut zur Wahrheit“, sie sei aber nicht gegründet worden, um „einen Raum zu schaffen, in dem jeder alles sagen kann“.

Als Beispiel nannte er den Rauswurf von Lars Steinke. Ein Schiedsgericht hatte den früheren niedersächsischen Landeschef der Nachwuchsorganisation Junge Alternative aus der AfD ausgeschlossen. Er hatte in einem nicht öffentlich einsehbaren Facebook-Eintrag Claus Schenk Graf von Stauffenberg – der am 20. Juli 1944 vergeblich versucht hatte, den Diktator Adolf Hitler zu töten – als Verräter bezeichnet.

Wie die „Welt am Sonntag“ berichtete, sieht das Schiedsgericht der bayerischen AfD den „Flügel“ inzwischen in einem „Konkurrenzverhältnis zur AfD“. Die Zeitung berief sich dabei auf eine einstweilige Anordnung der Parteirichter zu einer Ordnungsmaßnahme.

AfD hätte damit rechnen müssen

Die AfD-Parteispitze treibt die Sorge um, die Partei könne von Rechtsextremisten „unterwandert“ werden. Das geht aus einem Schreiben des Parteivorstands an das AfD-Bundesschiedsgericht hervor, das der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.

In dem Berufungsantrag zum Parteiausschlussverfahren gegen die schleswig-holsteinische Landesvorsitzende Doris von Sayn-Wittgenstein heißt es: „Die besondere Gefahr, der die Partei Alternative für Deutschland ausgesetzt ist, nämlich von Rechtsextremisten unterwandert zu werden und in Folge dessen politisch zu „implodieren“, war allgemein und damit auch der Antragsgegnerin bekannt, als sie ihren Aufnahmeantrag im Jahr 2016 stellte.“

Gauland unterstellte dem sächsischen Landeswahlausschuss, er wolle die AfD bei der Wahl am 1. September mit formalen Tricksereien bewusst kleinhalten. „Die Oppositionspartei, die in Sachsen stärkste Partei werden soll, soll mit Tricks sozusagen von ihrem Wahlsieg entmachtet werden.“

Vor den Teilnehmern des „Flügel“-Treffens sagte er: „Dagegen werden wir aufstehen.“ Die AfD kann zur Landtagswahl in Sachsen wegen formaler Mängel bei der Aufstellung nur mit den ersten 18 ihrer insgesamt 61 Listen-Kandidaten antreten.

In NRW steht der nächste reguläre AfD-Landesparteitag Ende des Jahres an. Dann muss der gesamte Vorstand neu gewählt werden. Der Co-Vorsitzende Röckemann lehnte in Warburg einen Rücktritt ab: „Ich für meinen Teil habe die Eier, das, was ich angefangen habe, auch durchzuziehen“, sagte er. Nach stundenlanger Debatte steuerte der Landesparteitag auf den Show-down zu, als nacheinander neun Vorstandsmitglieder unter Applaus und Buh-Rufen ihre Rücktritte erklärten. Seifen wurde dabei von Delegierten fast niedergeschrien.

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15 Kommentare

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  • Warum überläßt eine demokratische 3/4-Mehrheit im Vorstand den Rechtsextremen das Ruder durch freiwilligen Rücktritt?

    Ich fasse es nicht.

  • "See fürchtet sich vor Verschmutzung durch Wasser".

    Naja, die Witze schreiben sich förmlich selbst. Aber ernsthaft, natürlich wird die AfD eine Spaltung um fast jeden Preis verhindern wollen, denn eine offen strunzdoof rechtsextreme Partei hat kaum eine Chance (oder wird gleich verboten) und noch eine Partei zwischen CSU und FDP fehlt auch niemandem.

    Die aktuelle Positionierung als Protestpartei, die je nach Bedarf und Gelegenheit immer weit nach rechts oder konservativ oder neoliberal herumtorkelt, immer mit einem schiefen Grinsen im Gesicht, ist die einzige Garantie für relevante Stimmenanteile, die die AfD hat.

    Die werden sich schon einig und notfalls frißt der eine oder die andere dafür auch ein wenig Kreide. Um den inzwischen ausgeschlossenen Holger Arppe zu zitieren: „Wir müssen ganz friedlich und überlegt vorgehen, uns ggf. anpassen und dem Gegner Honig ums Maul schmieren aber wenn wir endlich soweit sind, dann stellen wir sie alle an die Wand. … Grube ausheben, alle rein und Löschkalk oben rauf.“

    Sowas darf man in der AfD denken und auch tun wollen, aber sagen sollte man es vorerst nicht. Das ist es, was Gauland meint und er weiß ganz genau warum.

  • Btw., auf eine rechts-konservative Partei "warte" ich ganz sicher nicht!



    Alle eine Frage der Kommunikation – und ja: raus aus dem hirnlosen Rechts-Links-Grün-Schema.



    Es gibt gute und schlechte Politik – und fast nichts dazwischen. Wir sollten uns inzwischen (als "Krone" der Schöpfung) an klaren Worten und Zielen FÜR die ·M e h r h e i t· der Menschen orientieren (können) – und nicht für die paar Hanseln "über" uns, die aus offensichtlichen Gründen Null Interesse an einer gerechteren Politik haben.

  • Die AfD zeigt, was sie sein wird und vor allem längst ist: eine rechtsextreme Partei, die (wieder) Faschismus in Deutschland installieren will, nur aussprechen darf diese Bodenlosigkeit niemand – schon gar nicht in den eigenen Reihen der AfD, damit der Schafspelz nicht aus Versehen "verrutscht".



    Erbärmlich, aber weiterhin brandgefährlich.



    So lange alle (und besonders die Mainstream-Medien) über die AfD "fabulieren", OB sie faschistisch sei und OB sie "beobachtet" werden muss, wird es keine Möglichkeit geben, eine echte Partei FÜR die Menschen in Deutschland zu gründen und auch zu etablieren.



    Es gibt keinen einzigen sog. Sachzwang, der es geböte, das bestehende System aufrecht zu erhalten – aber genau das wird behauptet – auch mit "Geschichtchen" über beobachtungs"würdige" Parteien.



    Jetzt ist auch noch die EU durch vdL dabei zu implodieren, und wird ganz unverhohlen den Reichen auf "undemokratische" Weise "durch Weisung" für bestimmte Kandidat*innen geopfert. Goldman-Sachs hat gewonnen.



    Am aller-ober-erbärmlichsten.



    Als Aller-Erstes müssten wir m. E. den Verfassungsschutz ersatzlos loswerden, damit die größte institutionelle Unterstützung und|oder Gründungsorganisation der Faschisten endlich dauerhaft wegfiele. Zeitgleich damit ist m. E. eine Zerschlagung des bestehenden Bankensystems unumgänglich.



    Worauf wollen wir denn noch warten?

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Da hier gerade der richtige Zeitpunkt für Offenbarungen aller Art zu sein scheint: ich begrüße ebenfalls die Existenz einer rechts-konservativen Partei im politischen Spektrum. Einer Partei, mit der sich auf kraftvolle Weise inhaltlich auseinandergesetzt wird.

    Den Bodensatz an Rest-Braunen wird eine gefestigte Demokratie, die diesen Namen verdient, verkraften. Notfalls müssten ab dem 13. August 2021 neue Arbeits-Beschaffungs-Massnahmen für das Baugewerbe aufgelegt werden.

    Im Übrigen kann der VS mal zeigen, dass er auch im 21. Jahrhundert jenseits des "Wir waren schon immer da" eine wirkliche Funktion und Notwendigkeit außerhalb seiner selbst besitzt.

  • SACHMAH



    schreibt, dass es schade ist, das es keine echte Rechtskonservative Partei mehr gibt, die Rechts und Konservativ neben der Union steht und hat damit einen Nagel auf den Kopf getroffen, wenn man weiterhin in den Kategorien Rechts, Links, Mitte denkt!

    Was wir in diesem Land brauchen, ist eine Partei, die es schafft, diese Kategorie Denken zu überwinden und sich für die Bürger des Landes stark macht, denn die lassen sich nicht wie die Klientel der jetzigen Parteien einfach so einsortieren!



    Es gibt Bürger, welche auf Grund ihres Einkommens zufrieden sind und kaum an großen Veränderungen interessiert sind, während es Leute gibt, aus eben genau dieser Kategorie, welche trotz ihres guten Einkommens aber jederzeit mit einem Absturz rechnen müssen, da sie an einen Kurzzeitvertrag gebunden sind!

    Dann sind da die Menschen, die 2 - 3 Jobs haben müssen, um in ihrem Niedriglohnsektor überhaupt Lebensfähig zu sein, gleich neben Jenen, die nur einen prekären Job haben und sich komplett für Unterstützung nackig machen müssen, um durch Hartz IV aufstocken zu können, damit sie ihre Familien ernähren können!

    Auch die Menschen, die komplett auf das sklavenhalterische Hartz IV angewiesen sind, so wie die Rentner, die trotz voller Beitragsjahre, eine so niedrige Rente beziehen, dass sie sich ihren Lebensunterhalt noch dazu verdienen müssen, brauchen den Zuspruch einer Partei, die nicht in den Kategorien denkt!

    Es nutzt niemanden, wenn eine Partei, (Rechts) Konservativ an der Macht ist und ihr Klientel, hauptsächlich die Wirtschaft bedient oder eine Linke Partei, die versucht, durch ständige Anpassung der Sozialgesetzgebung, eine augenscheinliche Umverteilung vorzunehmen!



    Eine Partei der Mitte versucht, wie es der Name schon sagt, einen Mittelweg zu finden, die Gerechtigkeit im Einkommen herzustellen, schafft es aber nicht, da sich in Deutschland eine Hegemonie der Lobbyisten etabliert hat, die sehr stark ist! Also bleiben die schwächsten außen vor!

    Eine Bürgerpartei muss her!

  • In der Libération erschien kürzlich ein Artikel über die Obzession der Deutschen für ihren Intestinaltrakt und die nationale Besonderheit, dass die deutschen Toiletten eine Keramikstufe besäßen, auf den der besorgte Bürger seine Exkremente studieren könnte, bevor sie für immer in die Tiefen der Kanalisation hinweggespült werden. Man hat das Gefühl, dass die AfD momentan auf einem ebensolchen Tisch liegt, schon braun und übel riechend, aber noch nicht von der Geschichte hinweggespült.

    • @hedele:

      Frz. Toiletten der 50er bis 70er Jahre haben ebenfalls diese "Keramikstufe", die im übrigen durchaus diagnostische Möglichkeiten bietet - keineswegs eine deutsche Besonderheit.

      Sie ist in den USA hingegen nicht zu finden, dort stehen stattdessen alle Türen einen cm pro Seite offen, auch "interessant".

  • es geht ja nicht darum das eine rechtsextremistische Partei von Rechtsextremisten unterwandert wird, sondern das einige der Rechtsextremisten sich verweigern Kreide zu fressen...

  • Jetzt starten die neuen Nazis so langsam ihr eigenes, parlamentarisches Ding. Da sage mal noch irgendwer, Geschichte würde sich nicht wiederholen. Vielleicht und ich habe pessimistische, berechtigte Zweifel daran, wird man ihnen diesmal den Weg versperren.

  • > Er sagte, die AfD besitze zwar „Mut zur Wahrheit“, sie sei aber nicht gegründet worden, um „einen Raum zu schaffen, in dem jeder alles sagen kann“.

    Das Zitat wird immer interessanter je länger man es sich auf der Zunge zergehen lässt. Ein interessantes Eingeständnis und ein tiefer Einblick in das was Deutschland drohen würde wenn diese Hansels eine signifikante Machtposition einnehmen würden.

  • Ergänzend - AfD folgt Rechtsextremen Weg / Hartliner übernehmen Parteiführung : www.faz.net/aktuel...rung-16272412.html

  • Die AfD von Rechtsextremisten unterwandert? Und demnächst vielleicht noch die SPD von Sozialisten?! Gauland und Meuthen schützen die Nazis in der AfD doch wo sie nur können, weil sie wissen, dass die AfD nur gewählt wird, solange sie als Anti-Systempartei wahrgenommen wird. Der bürgerliche Habitus ist nur ein Deckmäntelchen, dass bei Fernsehinterviews u.ä. zum Einsatz kommt.

    • @hessebub:

      Ja, aber man darf beim Unterwandern das Deckmäntelchen nicht zu früh abwerfen.

    • @hessebub:

      Ja und nein. Die AfD ist kein Naziklub, aber massiv vom dem Flügel unterwandert. Ich erinnere daran, wie die FDP mal unterwandert und gesprengt wurde … so ähnlich, nur dass der Flügel die Partei zu übernehmen versucht.



      Ich finde das sehr bedauerlich. Nicht falsch verstehen, ich bin kein AfD-Anhänger irgendeiner Ausrichtung. Nur finde ich durchaus wichtig, eine rechtskonservative Partei im Spektrum zu haben da es eben auch rechtskonservative Bürger gibt. Denen die CDU zu "links" ist - wobei ich die CDU nicht links, sondern wischiwaschi finde genau wie die SPD, die nicht rechts oder links ist. Die Lucke-AfD kam dafür genau recht. Jetzt ist sie teilweise gekapert von Leuten, die 1:1 auf identitärer Linie sind. Das tut mir leid, denn automatisch unterstützt jeder, der aus Protest die "einzige Opposition" wählt aber nicht Antidemokrat ist, eine Hardcore-Truppe. Die Linke hat sich an der Stelle ein Stücl weit verbraucht, da sie für die vor allem ostdeutsche Wählerschaft, die sich benachteiligt fühlt, vlt etwas zu akademisch und abstrakt reden.