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Gastkommentar Kosten des TiefbahnhofsSalamitaktik „Stuttgart 21“

Kommentar von Hannes Rockenbauch

Das Bahnprojekt in Stuttgart war nie wirtschaftlich oder leistungsfähig. Der Ausstieg lohnt sich immer noch mehr als das Weiterwursteln.

Sehen von oben fast aus wie ein Zug: Salamis Foto: imago/chromorange

D ie Salami-Taktik bei Stuttgart 21 geht weiter: Im Jahr 2012 hieß die Sollbruchstelle 4,5 Milliarden Euro, nur fünf Monate später wurden die Baukosten für den neuen Tiefbahnhof auf 6,5 Milliarden taxiert. Jetzt sollen es also 7,6 Milliarden sein. Dass diese jetzt das Kosten­ende für das Projekt sein soll, glaubt kein Mensch mehr.

Schon im September 2016 hat der unabhängige Bundesrechnungshof für das Prestigeprojekt 9 bis 10 Milliarden Euro kalkuliert. Der eigentliche Skandal ist nicht, dass die Bahn seit Jahren die Kosten schönrechnet, sondern die Gleichgültigkeit der verantwortlichen Politik. Von Beginn an zählten bei Stuttgart 21 weder Wirtschaftlichkeit noch Leistungsfähigkeit.

Die Entscheidungsträger in Bund, Land und Stadt nehmen Kostensteigerungen hin wie den täglichen Wetterbericht: mit Schulterzucken und bestenfalls einem leichten Seufzer. Dabei ist nicht nur klar, dass dieses Projekt auf allen Ebenen krankt: Leistungsrückbau, eine unzulässig starke Gleisneigung, der Brandschutz ist in weiten Teilen vollkommen ungeklärt, eine verheerende Klimabilanz bei Bau und Betrieb – die Liste ließe sich fast beliebig fortsetzen. Außerdem steht eben auch fest: S21 ist längst nicht mehr wirtschaftlich.

Das Weiterwursteln begründen die Verantwortlichen seit 2012 stets mit steigenden Ausstiegskosten. Zugegeben wird nur, was man auf der anderen Seite mit angeblichen steigenden Ausstiegskosten gegenrechnen kann. Eine Sollbruchstelle gibt es nicht mehr. Die Salami-Taktik wird zum Durchsetzungsinstrument.

Hannes Rockenbauch

ist Stadtplaner und Vorsitzender der SÖS-LINKE-PluS-Fraktion im Stuttgarter Gemeinderat. Seit langem engagiert er sich im Kampf gegen das Infrastrukturprojekt S21.

Tatsache ist aber: Ein Ausstieg aus Projekten, die schlechter sind als der Status quo, lohnt immer. Schon heute kann der bestehende Bahnhof mehr Züge in besserer Qualität abfertigen als der geplante Tunnelwahnsinn. Den Aktiven und Unerschrockenen, die am 15. Januar 2018 zum 400. Mal montags in Stuttgart demonstrieren, ist es zu verdanken, dass es inzwischen ein ausgearbeitetes Umstiegskonzept gibt.

Der Umstieg auf leistungsfähige und kostengünstige Alternativen ist möglich und nötig – jetzt erst recht.

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16 Kommentare

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  • Über die Lernunfähigkeit der Verantwortlichen muss man sich nicht wirklich wundern.

    Was mich bei all den Kommentaren jedoch wundert ist, dass sich kein Mensch an das Jahr 2011 zu erinnern scheint. Denn da reiste doch Frau Merkel persönlich nach Stuttgart um ihren kleinen Haudrauf, Mappus" beim Landtagswahlkampf zu unterstützen; was ja bekanntlich nicht geklappt hat.

    Aber bei dieser Gelegenheit hat Frau Merkel dieses unsinnige Bahnprojekt so nebenbei zur "Chefsache", also zu einem hochgradigen Politikum gemacht. Und mittlerweile weiß ich zumindest, dass es dann fast immer schiefgeht.

  • Was ich nicht verstehe - das ist eine ernst gemeinte Frage an Polizisten, falls das hier jemand liest - ist, warum die Polizei bei solchen Projekten immer die Mafia deckt, wenn die Politik versagt?

     

    Es gibt inzwischen eine lange Geschichte in Deutschland dazu: Von Projekten, die politisch gescheitert sind, aber die von der Politik aus undurchsichtigen Gründen weiter vorangetrieben werden und die dann via Polizei mit Schlagstock und Pfefferspray durchgesetzt werden. Und die Polizei ist sich dabei dann noch dazu nicht zu blöde für Feindbilder. Verdammt, wo bleibt da das Selbstbewusstsein?

     

    Es müsste doch Linie sein zu sagen: "Machen wir nicht. So viel Widerstand? Ist ein politisches Problem! Sind wir nicht für zuständig. Wir sind z.B. für Mafiabekämpfung zuständig."

     

    Bei Stuttgart21 hab ich schon vor Baubeginn den Eindruck gehabt dass hier mit sehr viel Steuergeld (4,7 Milliarden damals) neben der notorischen Betonförderung vor allem ein paar Grundstücke in der Stuttgarter Innenstadt locker gemacht werden sollen. Damit da die paar üblich verdächtigen Firmen ein bisserl was (Millionen) verdienen können. Was zur Hölle ist das eigentlich für ein mieses Kosten-Nutzen-Verhältnis? Wo bleibt da die Effizienz?

  • Stuttgart 21 hat heute schon gewonnen...

     

    denn er wird den Berliner Flughafen um Längen schlagen - was Kostensteigerung und Verzögerung angeht. Auch in Sachen krimineller Ernergie sieht der Berliner Flughafen alt aus - das bisschen Schlamperei. Unser Stuttgarter Projekt wurde dagegen mit Polizeigewalt durchgeprügelt, Augen mit Wasserwerfern ausgeschossen, Schulkinder von Polizisten gejagt, um ihnen einen Eindruck gelebter Demokratie zu vermitteln... mit Billigung und auf Anweisung eines CDU Politikers namens Mappus... das kurz zur Kommunalpolitik - obwohl, zahlen müssen letztendlich alle, besonders die Bahnkunden denen immer mehr Siff in den Bundesbahnzügen zugemutet wird.

     

    Heute weiß man schon, daß dieser Tiefbahnhoft so nie fertig wird - Brandschutz in einer Tunnelröhre ist eben etwas komplizierter als die Sprinkleranlage eines oberirdischens Flughafens, wenn man sich vorstellt, daß ein voll besetzter ICE innerhalb von 8 Minten evakuieren werden müsste, bevor die Röhre vollständig verraucht ist.

     

    Eine letzte Chance für den BER, die absolute Nummer Eins politsicher Unfähigkeit zu repräsentieren, bestünde aber noch - macht aus dem BER einen Tiefflughafen, es wäre der erste unterirdische Flughafen weltweit - und der Brandschutz wäre auch gegessen - einfach fluten.

    Warum die Bahn drauf noch nicht gekommen ist ?

    Also nicht wundern, wenn im ICE plötzlich Schwimmwesten unter den Sitzen liegen.

  • Als im Großraum Stuttgart lebender freut es mich, dass ein paar tausend Milliönchen hier in der Region verbaut werden. Uns geht's hier eh relativ schlechtes rein wirtschaftlich und gegen staatliche unterstützte Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen kann ich daher schlecht was haben.

     

    Gleiches Projekt im Osten Deutschlands hingegen wäre natürlich nicht zu unterstützen, da ja dann hier im Süden weitere Arbeitsplätze fehlten.

    Also von mir gibt's 10 Daumen Richtung Orbit.

    Und mit jeder Kostensteigerung bleibt mehr Geld hier hängen.... good guys aber auch, I love you all.

    • @Tom Farmer:

      Da können Sie dann ganz beruhigt sein.

       

      Da aus unerfindlichen Gründen DB Station&Service mit der DB Netz in einem Unternehmen zusammengefasst sind, werden die Kosten, die die DB selber zusätzlich in S21 stecken muss, eben durch Stilllegung irgendwelcher kleinerer Strecken gegenfinanziert. Und da bietet sich der immer leerer werdende Osten geradezu an, dort etwas den Bahnverkehr noch weiter einzuschränken.

  • 8G
    80336 (Profil gelöscht)

    Chapeau!

     

    Erfreut zu lesen, dass jene Spezies, die noch mit spitzem Bleistft Nutzwertanalysen sachgerecht durchführen kann, auch in DE noch nicht ausgestorben ist.

  • 8G
    81331 (Profil gelöscht)

    ...die Frage ist doch, wer zahlt alles für diesen Bahnhof? Nur die Steuerzahler in BaWü oder ganz Deutschland?

    • @81331 (Profil gelöscht):

      Wenn die Landesregierung Wort hält, zahlt BaWü keinen Cent mehr als die von Anfang an zugesagten 780 Millionen. Dagegen wird die Bahn aber möglicherweise klagen.

      Den Rest zahlt in erster Linie der Bahnkunde und in zweiter Linie der gesamtdeutsche Steuerzahler, weil die Bahn schließlich zu 100% dem Bund gehört.

  • Ja, die Kosten. War von Anfang an klar, dass es teurer wird. Nur ist der alte Bahnhof nicht die Alternative. Dies wäre K21. Und da glaubt doch auch keiner (na ja, die S21 Gegner wahrscheinlich schon) , dass die veranschlagten Kosten eingehalten werden. Der wird auch teurer. Und ein Bahnhof ist sinnvoller als eine Philharmonie.

    • 8G
      81331 (Profil gelöscht)
      @Strolch:

      ...fährt doch eh keiner mit der Bahn, also, für was braucht's einen neuen Bahnhof?!

      • @81331 (Profil gelöscht):

        Ein schlagendes Argument.

        • 8G
          81331 (Profil gelöscht)
          @Strolch:

          ...genauso gut wie "der Diesel ist unverzichtbar als Übergangstechnologie".

  • 8G
    80198 (Profil gelöscht)

    Yep. Die Schwaben fahren eh Auto und wollen lieber Stau

  • Kretschmann hats doch auf den Punkt gebracht: Die Wähler in BaWü haben sich trotz Kenntnis der Rechenhofrechnungen daFÜR entschieden. Selbst Schuld!

    • @benevolens:

      Ja, es gab eine deutliche Mehrheit für das Projekt bzw. gegen den Ausstieg des Landes, aber die Badener, die mit „Nein“ gestimmt haben (die also für S21 waren), taten dies, weil sie den Stuttgartern eins auswischen wollten.

    • @benevolens:

      Ja, die Aussage von Kretschmann ist richtig. Aber zahlen tun es nicht die Schwaben allein, sondern v.a. auch der Bund. Das ist die Taktik die Berlin schon lange fährt. Wir machen tolle Projekte, sind chronisch unterfinanziert und richten tut es der Länderfinanzausgleich. Langsam lernen die Schwaben eben von der arm, aber sexy Stadt...