Gastkommentar Koalitionsgespräche: Jamaika im Konklave verhandeln
Die Parteien sollten hinter verschlossenen Türen verhandeln, professionell moderiert – warum nicht auch mit einem Bürgerbeirat?
A n den Koalitionsverhandlungen missfällt das höfische Zeremoniell, wir erleben lächerliche Balkonauftritte, Themensalat in Talkshows, ein zwischen Kumpanei und Rosenkrieg schwankendes Schaulaufen. Und das Schweigen der Kanzlerin, von deren Richtlinienkompetenz und Führungswilligkeit doch so viel abhängt, um eine soziologisch nahestehende, aber weltanschaulich heterogene Konstellation zu formen.
Zu wünschen wäre da zunächst eine professionelle Moderation, die neutral in den Positionen, aber fest in der Zielsetzung ist. Politiker halten dergleichen leider für Pipifax, ihre Eitelkeit verbietet es ihnen, sich dem „Art of Hosting“ zu unterziehen, um nur eine Methode zu nennen, die in Unternehmen und anderen Organisationen bei sehr viel weniger gravierenden Einigungsprozessen eingesetzt wird – zum allseitigen Nutzen. Im Vergleich zu solchen Routinen verhalten sich politische Führungskräfte beratungsresistent.
Sodann wäre ein Pressemoratorium fällig, statt jedes hingehaltene Mikrophon zu bedienen. Das Koalitionskonklave soll sich erklären, wenn es sagen kann: „habemus coalitionem“. Hinter geschlossenen Türen zu verhandeln, steigert die Chance zum Kompromiss, der als Lebenselixier und Schmiermittel demokratischer Politik zu würdigen ist.
Und der Spielraum weitet sich, wenn das Spielfeld arbeitsteilig beackert und das Spiel durch eine Kanzlerin mit Überblick bestimmt wird – und nicht durch einen eifersüchtigen Wächterrat namens Koalitionsausschuss.
ist Professor für Politikwissenschaft und mit Patrizia Nanz Autor des Buches „Die Konsultative. Mehr Demokratie durch Bürgerbeteiligung“(2016).
Um das demokratische Element zu stärken, sollte bei Koalitionsverhandlungen ein parallel tagender Bürgerrat einberufen werden. In ihm sitzen rund 20 Personen, zusammengesetzt aus zehn Parteigängern und zehn Parteilosen, die ihre eigene Agenda setzen und einen Koalitionsvertrag präsentieren.
Klingt das utopisch oder naiv? Mag sein, aber es könnte allemal zielführender sein als der Prozess, dem wir zum allgemeinen Politikverdruss gerade beiwohnen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Doku über deutsche Entertainer-Ikone
Das deutsche Trauma weggelacht
Paragraf 218 im Rechtsausschuss
CDU gegen Selbstbestimmung von Frauen
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Syrische Geflüchtete in Deutschland
Asylrecht und Ordnungsrufe
Sednaya Gefängnis in Syrien
Sednaya, Syriens schlimmste Folterstätte
Schwarz-Grün als Option nach der Wahl
Söder, sei still!