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Gastgewerbe in der PandemieVerlorene Ausbildungsjahre

Leitungen spülen statt Gäste betreuen: Der Nachwuchs im Gastgewerbe leidet unter dem Lockdown. Auch die Ausbildungszahlen sinken.

Während der Pandemie blieben die meisten Schlüssel am Brett Foto: Jochen Tack/imago

BERLIN taz Die Prämie für Betriebe, die ihre Ausbildungsplätze in der Krise nicht abbauen, wird verdoppelt. Das erklärten Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) am Mittwoch in einem Pressestatement. An der schwierigen Situation der Auszubildenden im Gastgewerbe dürfte sich dennoch vorerst wenig ändern. Die Branche leidet in der Pandemie besonders stark, und mit ihr leidet der Nachwuchs.

So wie Thea Jaklin. Wasserhähne auf- und zudrehen und Toiletten spülen sei derzeit eine ihrer Hauptaufgaben im Hotel, erzählt die 21-Jährige. Durch den langen Stillstand können sich Legionellen bilden, daher müssen die Leitungen in den Zimmern regelmäßig gespült werden. Im September hat Jaklin ihre Ausbildung in einem großen Frankfurter Hotel begonnen. Von den sieben Monaten, die sie dort ist, war das Hotel drei Monate geöffnet.

Seit dem Winter sind die meisten Betriebe geschlossen, eine Öffnungsperspektive fehlt. Wenn das Geschäft nicht läuft, ist auch die Ausbildung des Nachwuchs schwierig, sagt Sandra Warden, Geschäftsführerin beim Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga): „Duale Ausbildung ist ja dadurch gekennzeichnet, dass es ganz viel ums ‚Doing‘ geht. Und das theoretisch und digital zu vermitteln ist wenig praxisnah und auch wahnsinnig aufwändig“.

Besonders schwierig werde es, wenn die Aus­bil­de­r*in­nen in Kurzarbeit sind. Laut Schätzungen des ifo Instituts war im Februar über die Hälfte der Beschäftigten in Hotels und Gaststätten in Kurzarbeit. Auszubildende werden davon zwar meist ausgenommen, das ändert gleichwohl nichts daran, dass vor Ort oft wenig zu tun ist.

„Manchmal heißt es: Versteckt euch mal kurz hinter der Theke, damit der Hotelmanager nicht sieht, dass da vier Leute hinter der Bar rumstehen und nichts zu tun haben“, erzählt Leonie Meighörner, die ihre Ausbildung in einem Hotel am Frankfurter Flughafen macht. Die 19-Jährige ist allerdings in einer vergleichsweise vorteilhaften Position: Ihr Haus beherbergt viele Geschäftsreisende und musste nie geschlossen werden.

Schlechte Prognosen

In Betrieben, die noch ein Restgeschäft mit Außer-Haus-Verkauf von Speisen oder durch Geschäftsreisen machen, würden die Auszubildenden häufig stark eingebunden, sagt Sandra Warden. Das wiederum komme gut bei den jungen Menschen an: „Die sagen: Das finden wir gut, dass wir da mitgenommen werden und uns auch ein bisschen ausprobieren dürfen.“

Unterstützung für Azubis, deren Ausbildungsqualität während Corona leidet, gibt es zudem von den Industrie- und Handelskammern und dem Dehoga, zum Beispiel mit kostenlosen Vorbereitungskursen für die Abschlussprüfungen. „Alle Beteiligen tun was sie können, um diese Auszubildenden vernünftig durch die Ausbildungszeit zu bringen“, sagt Berufsbildungsexpertin Warden, „schließlich sind das unsere Fachkräfte von morgen.“

Die Auswirkungen der Pandemie dürften allerdings nicht mehr aufzuhalten sein. Laut Angaben der Bundesagentur für Berufsbildung sank die Zahl neu abgeschlossener Ausbildungsverträge im Hotel- und Gastgewerbe 2020 im Vergleich zum Vorjahr um 24,7 Prozent. Und in einer Befragung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Bildungsforschung im Dezember 2020 gaben 28 Prozent der ausbil-dungsberechtigten Betriebe im Gastgewerbe an, aufgrund der Corona-Krise auch im kommenden Ausbildungsjahr weniger oder gar keine Ausbildungsplätze besetzen zu wollen.

Die Bundesregierung versucht dieser Entwicklung entgegenzuwirken. Ab 1. Juni sollen auch größere Unternehmen mit bis zu 499 Mit­ar­bei­te­r*in­nen von der Ausbildungsprämie profitieren. Darüber hinaus werden die Prämien verdoppelt. Viele Unternehmen fielen bei den Hilfen durchs Raster, daran ändere die Ausweitung wenig, kritisiert hingegen Dehoga-Geschäftsführerin Warden.

Azubis mit Zukunftsängsten

Fest steht: Auch mit großzügigen Fördergeldern wird sich die Ausbildungssituation im Gastgewerbe so schnell nicht erholen. Darauf deuten die Prognosen für das Ausbildungsjahr 2021/22 hin. Der Dehoga befürchtet, dass dadurch zukünftig rund 11.000 Fachkräfte fehlen könnten. Unter denjenigen, die ihre Ausbildung bereits angefangen haben, ist die Unsicherheit derweil groß. Das bemerkt auch Jürgen Dietrich, Leiter des Oberstufenzentrums Gastgewerbe in Berlin: „Natürlich ist es für die Auszubildenden auch die Frage: Wie gestalten sie ihr Leben, wie kommen sie über die Runden?“ Die Beratungsanfragen an der Schule häuften sich, berichtet Dietrich.

Vor allem in den Abschlussklassen sei die Stimmung gedrückt, erzählt Riccarda Sailer-Burckhardt, Abteilungsleiterin Gastgewerbe an der Frankfurter Bergiusschule. Viele wüssten jetzt schon, dass sie im Sommer nach Abschluss ihrer Ausbildung nicht übernommen werden. Dennoch wolle die Mehrheit der Azubis in der Branche bleiben: „Die meisten passen schon gut hier her. Es sind extrovertierte junge Menschen, die gerne mit dem Gast arbeiten.“

Genau das fällt aber in dieser Pandemie weg. „Warum fängt man eine Ausbildung in der Hotellerie an? Weil man Lust auf den Kontakt mit Menschen hat“, sagt Thea. Die 21-Jährige versucht trotzdem, optimistisch zu bleiben: „Wenn es irgendwann wieder geht, wenn Veranstaltungen und Messen stattfinden dürfen, dann wird die Branche auch wieder boomen. “ Wann das sein wird, ist allerdings mehr als ungewiss.

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1 Kommentar

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  • Danke für diesen Artikel, und dass damit auf die Situation dieser jungen Menschen hingewiesen wird.

    Der Staat meint es bedarf dieser Lockdown Maßnahmen um insbesondere die ältere Bevölkerung vor Corona zu schützen. Auf Kosten unserer Kinder und Enkel, deren Bildungschancen und Biographien geopfert werden.

    Ich halte das für unmoralisch und skrupellos.