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Gastgeberin bei CouchsurfingFremde auf dem Klappbett

Das Prinzip von Couchsurfing: Reisende, die man nicht kennt, bei sich zu Hause übernachten lassen. Warum tut man das? Ein Erfahrungsbericht.

Trotz kleinem WG-Zimmer: rechts das Klappbett für Courchsurfing-Gäste Foto: Klaudia Lagozinski

Uppsala taz | „Caner hat einen Aufenthalt bei dir angefragt.“ Ich erhalte eine Push-Nachricht auf mein Smartphone. Caner, 31, aus der Türkei und sein Freund Ivo, 24, aus den Niederlanden möchten bei mir couchsurfen, für eine Nacht, von Samstag auf Sonntag. Sie wohnen in Stockholm, ich für ein Austauschsemester in Uppsala. Ich checke meinen Kalender und sage zu.

Wenn ich Freun­d*in­nen erzähle, dass ich mit Menschen, die ich nicht kenne, mein acht Quadratmeter großes WG-Zimmer teile und sie auf einer Gäste-Klappmatratze übernachten lasse, werde ich meist mit zwei Reaktionen konfrontiert: Die einen, die selbst viel reisen, nicken es ab, stellen Fragen zu meinen Gästen. Die anderen wundern sich, ob das nicht gefährlich sei und fragen sich, wieso ich das mache.

Leben an sich ist gefährlich, entgegne ich meist. In den meisten Fällen läuft alles glatt. Doch es gibt auch Horror-Geschichten wie beispielsweise die eines Mannes aus München, der Couchsurferinnen betäubt und vergewaltigt hat und dafür zu acht Jahren Haft verurteilt wurde.

Um das Reisen mit Couchsurfing sicherer zu machen, basiert die Plattform ähnlich wie BlaBlaCar auf einem Referenz-System. Nach dem Couchsurfen schreiben sich Gast und Gast­ge­be­r*in eine Bewertung. Außerdem haben Nut­ze­r*in­nen die Möglichkeit, ihrem Profil ein Foto und eine Beschreibung hinzuzufügen, mit Charakterzügen, Hobbies, bereisten Ländern. Außerdem ist Couchsurfing ein Geben und Nehmen. Die Erfahrung basiert auf gegenseitigem Vertrauen. Viele Gäste kochen für ihre „Hosts“, andere bringen ein Gastgeschenk mit.

Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit, das eigene Profil verifizieren zu lassen. Ob ich jemanden bei mir übernachten lasse, hängt von den Referenzen und den Infos im Profil ab. Dann entscheidet das Bauchgefühl und der freie Raum in meinem Kalender. Bisher hatte ich als Gastgeberin keine schlechte Erfahrungen, sondern bin respektvollen, weltoffenen Menschen begegnet.

Seit 2020 müssen Nut­ze­r*in­nen zahlen

Die Idee für die Plattform hatte der US-Amerikaner Casey Fenton, nachdem er Ende der 1990er-Jahre nach Island reiste und nach einer Alternative zum Hostel suchte. Er hackte sich in die Datenbank der University of Iceland, kam so an die Mails von rund 1.500 Studierenden. Dann fragte er sie per Mail, ob er bei ihnen übernachten könnte und erhielt mehr als 50 Einladungen – die Idee von Couchsurfing war geboren.

2003 ging die erste Version von Couchsurfing online. Fenton verwaltete sie zunächst mit anderen Freiwilligen. 2005 waren 45.000 Menschen teil der Couchsurfing-Community. Ab 2011 änderte sich die Website und ließ nun auch Werbung schalten, um Einnahmen zu generieren. Ein Grund? Die Community wuchs, Mitarbeiter mussten eingestellt werden. 2018 waren auf Couchsurfing nach eigenen Angaben 12 Millionen Nut­ze­r*in­nen angemeldet. Jedoch ist nicht jedes Profil auch noch aktiv.

Im Pandemiejahr 2020 hatte die Plattform finanzielle Schwierigkeiten und stieg auf ein Pay-to-Use-Modell um. Seitdem müssen Nut­ze­r*in­nen 2,39 Euro monatlich zahlen, um die Seite zu nutzen. Couch­sur­fe­r*in­nen aus Entwicklungsländern müssen nicht zahlen. Dennoch wurde der Schritt von der Community kritisiert – zum einen, weil diese nicht in den Entscheidungsprozess eingebunden wurde und zum anderen, weil mehr als zwei Euro pauschal für Ge­ring­ver­die­ne­r*in­nen in einem Land mit niedrigen Lohnniveau einen anderen Wert haben als für eine Person, die beispielsweise in Deutschland oder Skandinavien lebt.

Gemeinsame Erfahrungen schweißen zusammen

Doch zurück zum eigentlichen Couchsurfen: Einige Tage später treffe ich Caner und Ivo. Mit meinem Van fahren wir in das Naturreservat Norra Lunsen außerhalb von Uppsala. Wir wandern, rutschen nacheinander auf den vereisten Wanderwegen aus, knipsen Selfies, verpassen es, nach Sonnenuntergang wieder aus dem Wald raus zu sein, nehmen eine andere Route und trampen zu dem Parkplatz zurück, auf dem ich meinen Van geparkt habe. Als wir diesen erreichen, sind wir erleichtert. Spätestens jetzt fühlen sich die zwei Fremden nicht mehr fremd an, sondern wie Freunde. Die zehn Kilometer und mehr als zehn Stürze auf glattteisbedeckten Wegen haben uns zusammengeschweißt.

Auf der Rückfahrt zu meiner WG fragt Ivo aus den Niederlanden, was an meinem Radio kaputt ist. „Weiß nicht“, antworte ich und, dass ich es irgendwann reparieren muss. Ivo, der Urban Development studiert und in seiner Freizeit elektrische Geräte vom Schrott rettet, repariert und wieder verkauft, schaut sich am Tag drauf mein Radio an und repariert es – etwas, das ich Monate vor mir hergeschoben habe.

Caner, Ivo und ich tauschen uns übers Reisen aus, erzählen einander von unseren Familien, teilen Spotify-Playlists. Sie tauchen in meinen Alltag ein und dieser mischt sich mit ihren Erfahrungen und mit neuen Erinnerungen, die wir in diesem Moment schaffen. Wenn man sein Zuhause für Unbekannte öffnet, die Küche teilt, morgens verschlafen gemeinsam Kaffee trinkt, dann gibt es wenig Raum, um sich zu verstellen.

Treffen außerhalb der eigenen Bubble

Mit Jonny aus Dresden, der einige Tage vorher auf meinem Gästebett übernachtet hat und seine Stelle als Kundenberater in einer Bank nach mehreren Jahren vor Kurzem gekündigt hat, philosophierte ich über über den Sinn von 9-to-5-Jobs. Er erzählte, dass er eigentlich nach dem Studium reisen wollte. „Doch irgendwie bin ich direkt ins Arbeitsleben gerutscht“, sagt er. Obwohl der ehemalige Banker nur einige Jahre älter ist als ich, wäre ich ihm in meinem Alltag wahrscheinlich nicht begegnet. Er hat letztes Jahr geheiratet und fast sein ganzes Leben im selben Bundesland verbracht, ich hingegen zog von Baden-Württemberg nach Berlin und lebte einige Male im Ausland.

Als Couchsurfing-Gastgeberin lernt man Menschen außerhalb seiner Bubble kennen. Als ich in Berlin wohnte und studierte, umgab ich mich mit Personen, deren Lebensrealitäten meinen eigenen sehr nahe waren: Student*in, interessiert an Umwelt- und Gleichberechtigungsfragen, in einer WG wohnend, am Wochenende entweder im Theater oder im Club.

Klare Kommunikation ist unabdingbar

Jedoch ist auch Couchsurfing an sich eine Art Bubble. Es gibt typische Gespräche: Welche Länder hast du schon bereist? Wie waren deine anderen Couchsurfing-Erfahrungen? Wohin geht es als nächstes? Wie bist du auf die Idee gekommen, die Plattform zu nutzen? Besonders der Austausch von Reiseerfahrungen schafft ein Gefühl, als würde man selbst reisen.

Was beim Couchsurfen unabdingbar ist? Klare Kommunikation. Für mich bedeutet es, dass ich kommuniziere, wie viel Zeit ich habe, ob ich arbeiten muss und dass mein eigenes Frühstück in der Regel aus Kaffee und Kippe besteht. Frühstück kann ich meinen Gästen deswegen nicht versprechen – denn auch ich möchte mich nicht verstellen, betreibe kein Hotel, sondern lasse Reisende an meinem Leben teilhaben. Nehme sie zu meinen Freunden zum Vorglühen oder zum Karaoke mit. Manchmal spiele ich auch Tourguide, zeige ihnen mein Lieblingscafé. Andere Male gebe ich lediglich Tipps und wende mich meinem Laptop zu.

Am Sonntagabend verabschieden sich Caner und Ivo, laden mich nach Stockholm ein. Jeder geht in sein Leben außerhalb der Couchsurfing-Experience zurück. Zurück bleiben Fotos, Erfahrungen und ein repariertes Autoradio.

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7 Kommentare

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  • "Das waren noch Zeiten", als ich mit einer Freundin in den 70ern durch die USA gereist bin und einfach durch Gespräche mit Einheimischen Angebote bekam, bei Ihnen zu übernachten (ohne, dass ich danach gefragt hätte), ohne Hintergedanken. Das gibt es wohl auch dort nicht mehr.

  • Couchsurfing wäre so ziemlich das Erste, was Amis erfunden haben. Kommerzialisiert haben sie es doch. Genauso wie die Wohnungs- und Zimmeranzeigen aus den 2hand Blättchen, ich hab den Namen vergessen, in denen auch die MfGs annonciert wurden. Das gab es alles seit den 70ern, ich kann ein Lied davon singen, wie oft bei mir Leute, die über mehrere Ecken jemand kannten, die/der mich kannte, in der Tür standen (alles nette Leute, außer zwei Verwandten), und fragten ob sie wohl auf dem Tramptrip, damals war das die angesagteste Art des Roadtrips, nach Bella Italia bei mir übernachten könnten.



    Was es damals nicht gab, war, nachdem man jemand aufgenommen, verpflegt einschließlich Wein etc. (all inclusive, 3 x mal amTag) und ihnen sein Bett geräumt hatte, weil Pärchen, diese dann in der Bewertung meinten, einen Verriss schreiben zu müssen. Ich hab dann nach amerikanischem Vorbild nur noch auf die Schadensersatzforderung (s.Foam-Becher) gewartet und mich in der Zwischenzeit dort wieder abgemeldet.

  • Als langjähriger Nutzer von Couchsurfing und anderen Portalen finde Ich diese Story auch viel zu dünn.

    Diese Website, die von Handlungen ihrer Community lebt und über die Zeit deren Vertrauen verspielt hat und jetzt größenteils aus toten Profilen besteht hätte guten Stoff geboten.

    ein paar Interessante Einsichten gibt es z.B. hier



    brenontheroad.com/...d-of-couchsurfing/

  • Wie kann man nur einen Artikel über Couchsurfing hier so naiv und unpolitisch halten???

    Die Kommerzialisierung von Couchsurfing wird als Unfall aufgrund von Corona dargestellt. Dabei hatte Fenton von Anfang an ein kommerzielles Projekt geplant. Das zeigen frühere Schritte in Richtung Kommerzialisierung, wie die Wahl einer anderen Rechtsform (früher non-profit) und die Nutzung mancher Features nur für zahlende Mitglieder. Vor allem zeigen dies aber veröffentlichte Mails aus der Korrespondenz mit dem Gründer einer alternativen, kostenfreien Plattforn Hospitalityclub.

    Von diesen Plänen wussten natürlich nicht all die freiwilligen Helfer, die nichtkommerziell gearbeitet haben - z.B. zahlreiche Programmierer:innen. Diese haben den Schritt nicht nur "kritisiert", sondern fühlten sich betrogen.

    Man hätte hier so eine spannende Story draus machen können - über nichtkommerzielle Projekte, dass bestimmte Projekte nur realisiert werden können, weil sie im nichtkommerziellen Sektor arbeiten - und vor allem: dem notwendigen Aufwand, diese Projekte in nichtkommerziellen Strukuren zu erhalten.

    • @Wolkengrün:

      Die Autorin hat das Thema Couchsurfing aus der Perspektive ihrer ganz persönlichen Erfahrung beleuchtet und das Politikum der mies bis überhaupt nicht kommunizierten Monetarisierung der Platform nur am Rande erwähnt. Ihr gutes Recht, den Artikel so zu schreiben wie sie möchte ohne belehrt zu werden.



      Ich bin selbst seit Jahren Couchsurfer und fand den Shift hin zur Kommerzialisierung auch -aus verschiedenen Aspekten- frustrierend und problematisch. Ist aber ein anderes Thema. Und bietet genügend Stoff für einen weiteren Artikel- eben mit diesem anderen Schwerpunkt.

    • @Wolkengrün:

      Hääte Hääte, Hätte man auch lassen können.....denn unterm Strich ist Couchsurfing eine schöne Erfahrung, die ich auch schon machen durfte und die Erfahrungen sind die lächerlich geringe Summe, die man im Monat bezahlen muss definitiv Wert, sowohl wenn man selbst auf Reisen ist, als auch wenn man Gäste bei sich übernachten lässt....irgendwie muss sich dieser Dienst ja finanzieren

    • @Wolkengrün:

      Für mich hat sich der Artikel angenehm gelesen und mich an eigene Couchsurfing-Erfahrungen erinnert. Die von Ihnen genannten Punkte klingen sehr interessant, jedoch hatte sie die Autorin vielleicht nicht "auf dem Zettel". Dadurch wird aber doch nicht ausgeschlossen, dass ein TAZ-Autor einen Artikel veröffentlicht, der über die von Ihnen genannten Schattenseiten informiert. Einen solchen würde ich auch gerne lesen.