Gas aus Afrika für Europa: Alternative zu Russland
Begehrlich schaut Europa auf Gasvorkommen im Senegal. Vor Ort schürt das Hoffnung auf Arbeitsplätze, aber auch den Widerstand von Klimaaktivisten.
„Es ist allerdings höchst bedauerlich, dass man in Zeiten des Klimawandels auf fossile Energieträger schaut“, sagt Sarr, der in der Hauptstadt Dakar im Rahmen von Fridays for Future Proteste organisiert. „Es kann doch nicht sein, dass man in Europa erneuerbare Energien fördert und von uns fordert, Öl und Gas zu liefern“, sagt er im Gespräch mit der taz. Denn vor der Küste Senegals und Mauretaniens ist das Megaprojekt Grande Tortue Ahmeyim (GTA) geplant.
Entstehen soll bis Ende 2023 ein Terminal für Flüssiggas, der eine Laufzeit von 20 Jahren hat. Nach Schätzungen der Deutschen Umwelthilfe haben die Gasfelder ein Produktionspotenzial von 425 Milliarden Kubikmetern. Mitunter werden die Reserven auf bis zu 1.400 Milliarden Kubikmeter geschätzt. Betreiber und Hauptinvestor BP geht von einer jährlichen Produktion von rund 2,5 Millionen Tonnen Flüssiggas aus. Entdeckt wurde das Vorkommen 2015.
Während seiner ersten Afrikareise hatte Bundeskanzler Olaf Scholz Ende Mai in Dakar gesagt, man habe begonnen, sich über eine Zusammenarbeit bei der Förderung von Flüssiggas auszutauschen. Es sei sinnvoll, solche Kooperationen „intensiv zu verfolgen“. Das liegt auch daran, dass Senegal in einer Region, die in den vergangenen zwei Jahren vier Staatsstreiche erlebt habt, als politisch stabiles Land und verlässlicher Partner gilt, auch wenn Präsident Sall den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine nicht verurteilt hat.
Nationalparks, Riffe und Vogelrastplätze in der Nähe
Das Flüssiggas-Terminal soll 10 Kilometer von der Küste entfernt in Höhe der Stadt Saint Louis entstehen, deren Kern zum Unesco-Weltkulturerbe gehört und ein beliebter Ausflugsort ist. Die Region ist jährlich Zwischenstopp für Millionen von Zugvögeln zwischen Afrika und Europa. In der Nähe befinden sich die Nationalparks Langue de Barbarie und Djoudj sowie das Reservat Guembuel.
Die Gasreserven liegen in einer Tiefe von rund 2.800 Metern. Die Deutsche Umwelthilfe befürchtet durch ihre Erschließung eine Schädigung des größten Kaltwasserkorallenriffs der Welt. Das 580 Kilometer lange Riff liege rund 500 Meter unterhalb der Atlantikoberfläche vor den Küsten Senegals und hauptsächlich Mauretaniens. Die durch Pipelines aufgewirbelten Sedimente könnten die Korallen zerstören. Auch Aktivist Sarr betont: Ein solches Projekt birgt ein großes Risiko für das Meer. „Sind Systeme erst zerstört, gibt es keine Alternativen mehr.“
Unklar ist auch, welche Auswirkungen Grande Tortue Ahmeyim auf die Fischerei hat, die bis heute Haupteinnahmequelle vieler Senegales*innen ist. Schon jetzt leiden viele unter der Überfischung der Meere sowie internationalen Fischereiabkommen. Sie haben von den Deals, die Investitionen im Land versprochen haben, nicht profitiert, im Gegenteil.
Kein Widerspruch zum Klimaschutz
Generell bringen Großprojekte nur selten die erhofften Arbeitsplätze für die Bewohner*innen vor Ort. Das hat in der 50.000 Einwohner:innen zählenden Stadt Bargny in der Nähe von Dakar das Kohlekraftwerk gezeigt. In ganz Westafrika finden sich weitere Beispiele. Am bekanntesten ist die Ölförderung im Nigerdelta im Südosten Nigerias, unter der viele Menschen leiden, anstatt zu profitieren.
Deutschland ist nicht das einzige Land, das mehr Gas vom afrikanischen Kontinent importieren möchte. Ende August bestätigte das französische Energieministerium Gespräche zwischen dem algerischen Unternehmen Sonatrach und dem französischen Konzern Engie – kurz nachdem Präsident Emmanuel Macron Algerien besucht hatte. Die Rede ist von einer Erhöhung der Gasimporte um 50 Prozent. Schon jetzt ist Algerien Europas drittgrößter Gaslieferant. Italien hatte bereits im April Verträge mit Angola, Ägypten, Kongo und Kongo-Brazzaville unterzeichnet.
Die Europäische Union interessiert sich derweil für Nigeria, Afrikas größten Ölexporteur. Ende Juli nannte Matthew Baldwin, stellvertretender Direktor der Energieabteilung der Europäischen Kommission, bei einem Besuch in der Hauptstadt Abuja Gas als „wichtige Übergangsenergie“. In einem Interview mit der Onlinezeitung Premium Times wird er deutlich: „Wir brauchen mehr Gas aus Nigeria als Ergebnis des schrecklichen Angriffskriegs, den Russland gegen die Ukraine führt.“ Für ihn sei es kein Widerspruch, nigerianische Bemühungen für die bessere Nutzung erneuerbarer Energien zu fördern und gleichzeitig mehr Gas zu beziehen.
Gerade in Senegal steht die Rückkehr zu Gas und Co im Widerspruch zur eigenen Energiepolitik. Es gibt eine eigene Behörde für erneuerbare Energien, die betont: „Langfristig steigen die Preise für Kohle, Erdgas und Öl, und die Ressourcen werden erschöpft sein. Die Sonne ist hingegen eine nahezu unerschöpfliche Energiequelle.“ Bis 2025 soll 30 Prozent des Bedarfs durch erneuerbare Energien gedeckt werden. In der Gemeinde Taïba Ndiaye, gut 100 Kilometer nordöstlich von Dakar, ist 2020 einer der größten Windparks des Kontinents eingeweiht worden. Gern wird von einer senegalesischen Erfolgsgeschichte gesprochen.
Yero Sarr sagt jedoch: „Es gibt keine klare Klimapolitik. Wir müssen uns fragen, welche Linie wir verfolgen und welche Positionen wir vertreten.“ Zu einer Debatte in der Bevölkerung führe die geplante Gasförderung aber nicht. Gerade an der Küste ist der Klimawandel zwar allgegenwärtig, weil die Strände immer schmaler werden. Häufig, sagt Sarr, fehle es aber an Informationen und an Interesse. Viele Menschen sind vor allem damit beschäftigt, wie sie bei steigenden Lebenshaltungskosten ihren Alltag bewältigen.
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