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Games im SchulunterrichtSuper Mario als Mathelehrer

Manche Lehrkräfte nutzen Computer- und Videospiele im Unterricht. Das kann Schü­le­r:in­nen das Lernen erleichtern, zeigt ein Berliner Modellprojekt.

„It's-a me, Mario!“ Games können Kinder motivieren, die sonst in der Schule eher passiv sind Foto: Jakub Porzycki/imago

Berlin taz | Super Mario düst mit Vollgas über die Rennstrecke. Der Bananenschale, die ein:e Mit­spie­le­r:in platziert hat, kann er noch ausweichen. Dann aber trifft ihn ein dunkelblauer Schildkrötenpanzer, und die anderen Fah­re­r:in­nen rauschen an ihm vorbei. Seine Führung ist Super Mario los.

In dem Game „Mario Kart Tour“ erhalten Spie­le­r:in­nen Gegenstände wie Bananenschalen, Turbopilze oder eben Schildkrötenpanzer. Die sind mal mehr und mal weniger nützlich. Und diese Gegenstände erscheinen nicht zufällig, sondern nach festen Wahrscheinlichkeiten: Weiter vorne liegende Fah­re­r:in­nen erhalten schlechtere Items als jene weiter hinten im Feld.

Genau diesen Zusammenhang sollten Schü­le­r:in­nen an der Berliner Gesamtschule Campus Efeuweg erkennen und berechnen – in einer regulären Mathestunde. 16 Klassen an zehn Berliner Schulen nahmen Ende 2021 an dem Modellprojekt der Initiative „Games machen Schule“ teil. Geplant und durchgeführt wurde es von der Stiftung Digitale Spielekultur.

Als Luciano Sbaraglia davon hörte, war er begeistert. Der Lehrer meldete sich mit seiner 8. Klasse vom Campus Efeuweg an. Seit vier Jahren arbeitet er an der Brennpunktschule im Berliner Neubaubezirk Gropiusstadt mit etwa 750 Schü­le­r:in­nen. Games begleiten Sbaraglia schon sein ganzes Leben. Als Jugendlicher spielte er das Strategiespiel „Civilization“ und begeistert sich seitdem für Geschichte – so sehr, dass er später promovierte und Historiker wurde.

Keine Widerstände gegen Games aus Kollegium

Nun unterrichtet er als Quereinsteiger die Fächer Geschichte und Mathe. Games sollten Teil des Unterrichts werden, findet Sbaraglia: „Sie sind ein Kulturgut wie Bücher und Filme, werden aber leider noch nicht überall akzeptiert. Als Teil der Lebenswelt von Schülerinnen und Schülern sollte man sie auch im Unterricht abbilden.“ Im Kollegium wurde das Projekt laut Sbaraglia intensiv besprochen, „es gab keine Widerstände dagegen“.

Also setzten Sbaraglia und andere Lehrer für acht Schulstunden Games im Mathe- und Geschichtsunterricht ein. In Geschichte etwa nutzen sie das Strategiespiel „Brass“, das auf einem Brettspiel basiert. Darin schlüpfen Spie­le­r:in­nen in die Rolle eines Unternehmers, der während der industriellen Revolution so viel Geld wie möglich verdienen will. Die grafische Umsetzung faszinierte die Schüler:innen, sagt Sbaraglia. Allerdings setzt das Spiel sehr viel Vorwissen voraus.

„Ich glaube nicht, dass das Game die industrielle Revolution den Schülerinnen und Schülern nachhaltig nähergebracht hat“, resümiert Sbaraglia. „Das ist aber auch ein allgemeines Problem.“ Die Vorauswahl der richtigen Spiele sei wichtig, um einen Lernerfolg zu erzielen. Begeistert hingegen waren die Schü­le­r:in­nen von „Mario Kart Tour“ in Mathe, bei dem sich sonst auch eher passiv auftretende Jugendliche stärker einbrachten, sagt Sbaraglia. „Es war eine sehr gute Lernerfahrung: vor allem der Einfall, Statistik mithilfe von ‚Mario Kart Tour‘ zu vermitteln.“

Datenbank für Lehrkräfte

Entwickelt wurden die Game-Unterrichtseinheiten um Mario und Co. von Jan Boelmann und Lisa König. Der 42-jährige Boel­mann ist Direktor des Freiburger Zentrums für didaktische Computerspielforschung, das er zusammen mit der Literatur- und Mediendidaktikerin Lisa König leitet. Seit 15 Jahren erforscht er, wann und wie der Einsatz von Games im Unterricht sinnvoll ist.

Am Zentrum gibt es Fortbildungen für interessierte Lehrkräfte. Aber auch Ent­wick­le­r:in­nen wenden sich mit ihren pädagogischen Spiel­ideen an Boelmann und König. „Wir kommen mit den Anfragen nicht hinterher“, sagt Boelmann. Für den Unterricht geeignete Games wandern in die Datenbank, die mittlerweile prall gefüllt ist. Sie soll Lehrkräften den Zugang erleichtern.

Mehr als 130 Games sind darin enthalten, dazu gibt es Tipps, für welche Fächer und Jahrgangsstufen die Titel geeignet sind. So würde sich das Action-Adventure „Firewatch“ etwa für Deutsch, Englisch und Ethik eignen. Darin steuern Spie­le­r:in­nen einen einsamen Parkwächter im Yosemite-US-Nationalpark und klären rätselhafte Vorkommnisse auf. „Es geht hier nicht ums bloße Zocken, sondern um konkrete Kompetenzen, die vermittelt werden sollen“, sagt Boelmann.

Auch abseits des Berliner Modellprojekts nutzen Leh­re­r:in­nen Games im Unterricht. An der Staatlichen Gemeinschaftsschule Kulturanum in Jena entdecken Schü­le­r:in­nen das antike Griechenland im Game „Assassin’s Creed Discovery Tour“. Auch Aïsha Hellberg unterrichtet mit Games am Max-Planck-Gymnasium im baden-württembergischen Lahr. Das Adventure-Game „The Stanley Parable“ verwendet sie im Philosophieunterricht im Zusammenhang mit den Themen Willensfreiheit und Existenzialismus. In dem Game steuert man den namensgebenden Stanley durch ein menschenleeres Bürogebäude; die Aktionen des Spielers kommentiert ein Erzähler, der auch immer wieder Einfluss nimmt.

Eine Handreichung für Games im Deutschunterricht

Im August erscheint von Hellberg im Westermann-Verlag eine Handreichung zu Games im Deutschunterricht. „Es handelt sich um drei narrative Computerspiele, die sich besonders für den Literaturunterricht anbieten“, sagt sie. Das Point-and-Click-Adventure „Ceville“, die Coming-of-Age-Geschichte „Life is Strange“ und das bereits erwähnte „The Stanley Parable“. Allen Modulen ist laut Hellberg gemein: „Sie schulen klassische Kompetenzen, Methoden und Schreibformen des Deutschunterrichts mit dem Medium Computerspiel.“

Das Hineinschlüpfen in andere Rollen hält auch Jan Boel­mann für den Unterricht geeignet. Ein Highlight ist für ihn das Strategiespiel „Through the darkest of Times“. Darin steuert man eine Gruppe Widerständler in der Nazi-Diktatur. „Das Game hilft Schü­le­r:in­nen wunderbar dabei, in die Rolle von jemand anderem zu schlüpfen. Und das weniger abstrakt als auf einem Arbeitsblatt“, sagt Boelmann. Im Spiel wird man etwa Zeuge eines Übergriffs von SA-Schergen auf einen Rabbi. Ob man eingreift oder nicht, bleibt den Spie­le­r:in­nen überlassen. „Es zeigt, wie komplex und schwierig der Alltag der Menschen war. Schü­le­r:in­nen können das dann zumindest ansatzweise nacherleben.“

Historische Szenarien sind auch in anderen Games beliebt. Seit 2007 veröffentlicht der französische Hersteller Ubisoft seine „Assassin’s Creed“-Reihe. Darin wandern Spie­le­r:in­nen frei durch nachgebaute historische Landschaften wie das antike Griechenland oder das alte Ägypten. Für den Schulunterricht hat Ubisoft „Discovery Touren“ als eigenständige Ableger entwickelt. Textkästen erläutern, welche Rolle Gegenstände und Artefakte in der antiken Gesellschaft gespielt haben. Kämpfe gibt es in dieser gewaltfreien Version nicht. Laut Ubisoft waren an der Entwicklung auch His­to­ri­ke­r:in­nen beteiligt.

Angela Schwarz von der Universität Siegen begrüßt Ubisofts Initiative. Sie ist Professorin für Neuere und Neueste Geschichte und forscht unter anderem dazu, wie populäre Geschichte in Games umgesetzt und gemacht wird. „So etwas Abstraktes wie Vergangenheit lebendig zu machen ist faszinierend und unterhaltsam“, sagt die Wissenschaftlerin. Skeptisch ist sie, wenn die „Discovery Touren“ als alleiniges Lernmittel für historische Inhalte etwa in der Schule eingesetzt werden. „Man darf nie vergessen, dass ein Spiel die Basis bildet, also eine Inszenierung. Und inszeniert wird darin nicht akademische Geschichte, sondern populäre Geschichte“, sagt Schwarz.

Populärgeschichte zielt auf eine breite Leserschaft ab und legt den Schwerpunkt auf lebendige Details und eine stringente Erzählung im Gegensatz zur Geschichtswissenschaft. Ubisoft hat in Zusammenarbeit mit der McGill-Universität im kanadischen Montreal eigene Unterrichtseinheiten und Leitfäden entwickelt. Dabei gibt es auch Unterrichtsstunden, in denen Schü­le­r:in­nen ohne Betreuung die Welt erkunden können. Angela Schwarz ist skeptisch: „Wenn die ‚Discovery Touren‘ im Unterricht eingesetzt werden, geht es nicht ohne Fachkraft.“

Kein WLAN und alte Rechner an vielen Schulen

Neben der ständigen Betreuung ist auch die technische Ausstattung an deutschen Schulen eine Herausforderung. An fast allen Standorten gibt es einen Sanierungsstau, ein akuter Personalmangel trifft auf veraltete und marode Strukturen, weshalb Lehrkräfte zu einem bundesweiten Protesttag am 23. September aufgerufen haben. Alte Schulrechner sind von modernen Games schnell überfordert und flächendeckendes WLAN gibt es auch in Städten nicht immer. Mit­ar­bei­te­r:in­nen des Modellprojekts mussten sogar eigene WLAN-Router und Tablets mitbringen.

Am Campus Efeuweg sei die digitale Ausstattung hingegen sehr gut, sagt Luciano Sbaraglia. Es gibt Smartboards, Tablets und flächendeckendes WLAN. Ein Problem sei aber auch hier fehlendes IT-Personal. Das Aufspielen und Warten der Games beim Modellprojekt wurde deshalb von den Lehrkräften gestemmt.

„Alles, was man im Unterricht machen will, bleibt als Aufwand am Lehrer kleben, das wird nicht vergütet oder honoriert“, kritisiert Sbaraglia. Ein weiteres Problem: Games sind oft nicht offiziell als Unterrichtsmaterialien anerkannt, weshalb im Zweifel die Schule oder die Leh­re­r:in­nen die Spiele kaufen müssen. Ohne die zusätzlichen Mittel durch das Modellprojekt, glaubt Sbaraglia, hätte er Games zumindest in seiner Klasse nicht einsetzen können.

Aktuell laufen Gespräche über ein Nachfolgeprojekt zwischen der Stiftung Digitale Spielekultur und der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie. Das Projekt sei in Planung, konnte aber noch nicht finanziert werden. Sollte es in die zweite Runde gehen, will Luciano Sbaraglia auf jeden Fall wieder teilnehmen. „Dann würde ich darauf achten, eine noch bessere Auswahl zu treffen, und auf ‚Brass‘ eher verzichten.“ „Mario Kart Tour“ will er aber auf jeden Fall wieder dabeihaben.

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2 Kommentare

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  • Gamification. Yeah. Klingt eher so, als ob die Auseinandersetzung mit dem Individuum immer mehr zur Belastung wird und deshalb auf Games und Selbstbeschäftigung ausgewichen wird.

  • Nett. Aber.



    So drängeln sich Spielemacher in die Schule "ist ja so lehrreich, wenn man Eroberungen prozentual berechnen kann".



    Und so macht es weniger Spass zuhause und es wird einem die Chance genommen, mal selber auf die Zusammenhänge zu kommen.