GameStop-Anleger über Aktiencoup: „Wir wollen neue Standards setzen“
Kleinanleger wetten gegen mächtige Hedgefonds – und bringen eine tot geglaubte Aktie in schwindelnde Höhen zurück. Interview mit einem, der dabei war.
taz: Herr Frankenberg, Sie haben bei der Wette um die Aktie von GameStop, einer Einzelhandelskette für Videospiele, mitgemacht. Die Aktie hat durch einen überraschenden Coup junger Kleinanleger massiv an Wert gewonnen. Darf man Ihnen zu einem sensationellen Gewinn gratulieren?
Robert Frankenberg: Ich bin leider zu früh ausgestiegen. Andere, die bis zum Peak dringeblieben sind, konnten Millionen rausholen.
Der Peak war Ende Januar, als die einstige 4-Dollar-Aktie 350 Dollar wert war. Wie viel haben Sie rausgeholt?
Ungefähr 4.000 Dollar. Aber ich habe schon recht früh in die Aktie investiert, als an den Coup noch gar nicht zu denken war.
Wie viel haben Sie reingesteckt?
Etwa 2.000 Dollar.
Halten Sie noch GameStop-Aktien?
Damals habe ich alles verkauft.
(Pseudonym) 19, Jurastudent in Leipzig
Ärgern Sie sich darüber?
Ein bisschen. Aber damit halte ich mich nicht auf. Auf dem Aktienmarkt wird man verrückt, wenn man sich lange ärgert. Dann kommt man beim Investieren nicht weiter.
Sie möchten dieses Interview nicht unter Ihrem richtigen Namen veröffentlichen. Warum?
Bei der Börse geht es immer um Geld, in der Regel um viel Geld. Und wenn ein junger Mensch wie ich da mitmacht, könnten manche Leute falsche Rückschlüsse auf meine Person ziehen.
Wie sind Sie auf die GameStop-Aktie gestoßen?
Ich bin – so wie alle Börsenanleger – in dem Subreddit „Wallstreetbets“ …
… einer Onlinecommunity, die sich über Aktien austauscht.
Dort erfährt man, welche Aktien sehr beliebt sind. Mitte Januar war es eben GameStop. Vor Kurzem war die Tesla-Aktie recht gefragt.
Der Aktienmarkt basiert stark auf Technologieerwartungen. Bei Tesla rechnet man damit, dass das Unternehmen mit seinen E-Autos irgendwann der führende Autokonzern der Welt ist.
Bei GameStop ist es aber komplett andersherum: Wer kauft heute noch Videospiele? Heute wird vor allem im Netz gestreamt.
Genau so haben die Hedgefonds gedacht, deswegen haben sie die Aktie ja auch geshortet …
… also auf den Verlust gewettet.
Das haben viele andere, in dem Fall die jungen Anleger, erkannt, sich mit den Aktien eingedeckt und so den Aktienwert massiv in die Höhe getrieben.
So weit, dass Aktienhändler wie Robinhood und Trade Republic die Aktie zwischenzeitlich geschlossen haben. Am Ende werden insbesondere die Kleinanleger verlieren und nicht die Hegdefonds.
Der Name Robinhood, der für Umverteilung steht, ist irreführend. Es gibt enge Verbindungen zwischen diesem Broker und einem Hedgefonds, dabei geht es natürlich um Verlustbegrenzung für den Hedgefonds und nicht für die Kleinanleger. Unabhängig davon aber konnte als Kleinanleger gewinnen, wer früh genug ein- und wieder ausgestiegen ist.
Was ist das für ein Gefühl, Teil einer Gruppe zu sein, die riesige Hedgefonds crasht?
Ich habe mich vor allem für diejenigen gefreut, die die GameStop-Aktie sehr lange gehalten und damit ein großes Vermögen gemacht haben. Ein Typ hat 50.000 Dollar eingesetzt, zu einer Zeit, als die Aktie 5 Dollar gekostet hat. Zwischenzeitlich war er 50-facher Millionär.
Haben Sie eine Broker-App auf Ihrem Handy?
Natürlich. Als ich anfing, mit Aktien zu handeln, habe ich sie mir runtergeladen.
Wann war das?
Sofort, als ich mit 18 meine erste Kreditkarte erhalten habe, bin ich beim Aktienhandel eingestiegen. Meine erste Aktie, eine Kryptowährung, habe ich von meinem Erspartem gekauft. Wenn ich gedurft hätte, wäre ich schon mit 14 in den Aktienmarkt eingestiegen. Das fanden meine Eltern fragwürdig, sie kommen aus dem linken Milieu und halten Aktienhandel für zu spekulativ.
Sie nicht?
Man kann damit leicht Geld verdienen.
Muss man dazu nicht das Börsensystem verstanden haben?
Das Wissen ist frei im Internet verfügbar, jeder kann sich das anlesen, dazu muss man kein Wirtschaftsexperte sein. Ich beschäftige mich jeden Tag nur eine Stunde damit.
Viele junge Menschen wollen das Klima retten. Sie wollen Geld verdienen?
Ich will auch das Klima retten, ich bin Vegetarier und Minimalist. Die Tesla-Aktie ist in meiner Generation so beliebt, weil sie Nachhaltigkeit verspricht.
Es geht also um sozial verträgliche und ökologische Standards, die Sie mit dem Aktienhandel setzen wollen?
Sagen wir mal so: Wir wollen andere Standards setzen. Beim Handel mit Bitcoins – in meiner Generation sind Kryptowährungen recht beliebt – geht es darum, Handel außerhalb von Zentralbanken zu betreiben. Bei den GameStop-Wetten spielte auch die Motivation mit, einen Hedgefonds in die Schranken zu weisen, der GameStop, ein Unternehmen mit über 40.000 Arbeitsplätzen, shortet und damit die Existenz der Mitarbeiter aufs Spiel setzt.
Das klingt nach einer aufgeklärten Jugend.
Meine Generation, die sogenannten Millennials, wird zu stark vereinheitlicht. Die meisten Jungen interessieren sich nicht fürs Klima und gehen nicht für Antiglobalisierung auf die Straße. Und so gibt es an der Börse junge Menschen, die einfach nur leicht und schnell viel Geld machen wollen. Und zur Wahrheit dazu gehört, dass es unglaublichen Spaß macht, mitzuzocken und mit Freunden darüber zu reden: Was hast du so gewonnen, was verloren. Manche verlieren an einem Tag 40.000 Dollar und posten das mit einem Lachtränensmiley.
Die frustriert der Verlust nicht?
Sie leben nach dem Prinzip: Was ich heute verlieren kann, kann ich morgen wieder gewinnen – und umgekehrt. Manche zelebrieren diese kollektive Erfahrung halt öffentlich.
Warum tun sie das?
Die Millennials sind in dem Bewusstsein aufgewachsen, durch die Finanzkrise 2008 geringere ökonomische Chancen und kaum ökonomische Sicherheit zu haben. Also begeben sie sich auf ein Terrain, das einerseits alles verspricht, aber auch risikobehaftet ist.
Das Risiko auszuspielen, heißt aber auch, sich selbst keine Sicherheiten aufbauen zu können.
Ihre Generation, die der Sparbücher, konnte es sich leisten, Geld sicher anzulegen, weil sie über feste Jobs und regelmäßige Einkommen verfügt. Das trifft auf meine Generation nicht mehr zu.
Zurück zu GameStop: Die jungen Anleger haben mit ihrer Aktion das globale Finanzsystem zwar öffentlich bloßgestellt. Aber unterstützen sie es nicht auch, indem sie sich seiner bedienen?
Darin liegt ein gewisser Widerspruch, ja. Aber es war vor allem Kritik am globalen Finanzkapitalismus, den eine soziale Marktwirtschaft, die noch immer das bessere System ist, überhaupt nicht braucht.
Der GameStop-Coup war vor allem etwas für junge Männer, richtig?
Im Subreddit „Wallstreetbets“ gibt es kaum Frauen.
Warum?
Mein Eindruck ist, dass sie sich seltener dafür interessieren und weniger risikoaffin sind.
Was ist sexier: ein GameStop-Aktivist oder ein Wallstreet-Anleger zu sein?
In linken Milieus kommt wahrscheinlich der Aktivist eher an, in liberalen vermutlich der Anleger.
Zu welcher Gruppe zählen Sie sich?
Zu keiner direkt, das ist fluid. Für mich ist das Zocken alles Mögliche: Spaß, Sport und Politik. Und eben auch Geldverdienen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind