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GENUSS Sternekoch Vincent Klink über Gudrun Ensslins Leichenschmaus und die Nouvelle Cuisine„Das Essen lief völlig aus dem Ruder“

Beerdigung der RAF-Terroristen 1977 auf dem Stuttgarter Dornhaldenfriedhof. Vorne zu sehen: Gudrun Ensslins Vater Helmut Foto: Angela Neuke

Interview Jörn Kabisch

taz.am wochenende: Herr Klink, Stuttgart 1977 …

Vincent Klink: … war eigentlich das Epizentrum des Deutschen Herbstes. Es ist heute kaum noch zu verstehen, welche Hysterie in der Stadt herrschte.

Und das merkte man sogar als Gastronom?

Hallo, aber wie. Kennen Sie die Geschichte von Eugen Maier?

Nein.

Wir waren Freunde. Er hat den Leichenschmaus für Gudrun Ensslin ausgerichtet und darüber seine ganze konservative Kundschaft verloren.

Das müssen Sie mir genauer erzählen.

Eugen Maier hat im „Fässle“ in Degerloch gekocht und in Marseille gelernt. Ich glaube sogar, er war Halbfranzose. Bei ihm gab es lauter französisches Zeug, das damals in Mode war: Navarin d’agneau, ein Lammeintopf, und Moules Marinierès, Miesmuscheln in Weißwein zum Beispiel. Dann tauchte aber das Problem auf, dass nach dem Tod der Stammheim-Häftlinge kein Restaurant in Stuttgart den Leichenschmaus für Gudrun Enss­lin ausrichten wollte. Das war ein Politikum. Sogar der damalige Oberbürgermeister Rommel setzte sich dafür ein, dass man da was findet. Aber alle Wirte lehnten ab. Nur Eugen Maier sagte zu.

Und was glauben Sie, warum hat ausgerechnet er für Enss­lin gekocht?

Weil er das einfach nur anständig fand. Er war sozial engagiert, sicher kein Kommunist, eher ein SPDler. In Heslach hat er die Fußballjugendmannschaften trainiert. Maier hat immer nur nach seinen Überzeugungen gehandelt. Er hatte Rückgrat, auch der Kundschaft zu sagen, was ihm an ihr nicht passt.

Das Essen fand dann am 27. Oktober 1977 statt …

… und lief völlig aus dem Ruder. Eigentlich war nur ein kleiner Trauerkreis angesagt und ein Nebenzimmer im Restaurant reserviert. Aber die Leute drängten sich auf einmal in das Lokal, vor der Tür standen Gaffer. Es soll sogar ein Polizeihubschrauber über das Restaurant geflogen sein. Den Stammgästen wurde das zu bunt. Sie gingen empört. Es war ein Eklat, der es bis zu einer kleinen Geschichte im Spiegel schaffte. Und Eugen Maier hatte erst einmal ein leeres Lokal.

So sensibel war die Kundschaft in dieser Zeit?

Sie dürfen die Atmosphäre damals nicht vergessen. Als 1969 Willy Brandt an die Regierung kam, sagte mein Vater: „Jetzt kommt der Vaterlandsverräter. Und jetzt werden wir alle enteignet.“ Das beschreibt für mich immer noch gut die Stimmung, die sich in den nächsten Jahren entwickelte. Und mein Vater war kein Nazi, sondern ein treuer Schwabe, CDU-Wähler, Tierarzt, gut gesettelt. Es gab eine komplett unreflektierte Panik bei den Konservativen. Diese Adenauer-Betonierung zog sich die 70er hindurch. Auch ich bekam als Gastwirt mit einem Hang zu linken Gästen schwer auf den Deckel.

Sie haben sich 1974 in Schwäbisch Gmünd mit 24 Jahren selbstständig gemacht mit dem „Postillon“.

Und der Stern hat mich damals interviewt. Ich sagte, dass ich schon sehr sozial eingestellt bin und mir wichtig ist, dass die Gäste nicht einfach nur das Essen zahlen, sondern auch die Leute, die es kochen müssen. Das ist ja heute noch ein Problem. Damals war ich damit für die Schwäbisch Gmünder auf einmal ein Sozialist. Ich war sofort die ganze Kundschaft los. Es hat aber nicht lange gedauert, sie haben nichts Besseres gefunden.

Waren Sie auch ein 68er?

Gedanklich schon. Aber ich hatte überhaupt keine Zeit. Als Koch musste man schuften. Sich irgendwie zu beteiligen oder auch auf eine Demo zu gehen, daran war gar nicht zu denken. Was in der Welt passiert, habe ich vorwiegend von den Gästen erfahren. Ich hatte von Anfang an viele junge Künstler und Intellektuelle im Lokal, und da ging dann schon bald ein Riss durch die Familie und das Lokal, weil meine Frau und ich ganz anders gedacht haben als mein Elternhaus.

Wie waren die 68er als Gäste? Sie gelten bis heute ja nicht unbedingt als besonders genussfreudig.

Sie haben recht. Hans Wollschläger, der später den „Ulysses“ von James Joyce übersetzt hat, war so einer. Der stand dem Essen richtig feindlich gegenüber. Der sagte zu mir: Ich habe mir noch nie mehr leisten können als eine rote Wurst. Und dabei bleibt’s auch (lacht). Da musste man schon Aufbauarbeit leisten. Ich habe mir damals zum Ziel gemacht, die Intellektuellen und die schreibenden Künstler ans Essen heranzuführen. Die bildenden Künstler waren etwas lockerer.

Auch kulinarisch waren die 70er eine Aufbruchzeit.

Es war die Zeit der Nouvelle Cuisine. In Frankreich begann das 1972, in Deutschland setzte das etwas später ein, und da war ich auch dabei.

Foto: dpa
Vincent Klink

Kochen: 1978 eröffnete er sein erstes Restaurant „Das Postillon“ im väterlichen Gasthaus in Schwäbisch Gmünd. Vier Jahre später bekam der heute 68-Jährige den ersten Michelin-Stern. Seit 1991 betreibt Vincent Klink in Stuttgart-Degerloch das Restaurant Wielandshöhe. Für die „taz muss sein“-Kampagne 2001 entwarf er die legendäre „tagessuppe“.

Privat: Klink ist mit seiner Frau Elisabeth verheiratet. Sie haben zwei Kinder.

Die Küche, die immer noch mit dem Namen Paul Bocuse verbunden ist.

Der aber diese neue Küche nicht erfand, aber propagierte. Er sagte: Wir kochen genauso weiter wie früher, aber ein bisschen frischer und mit einer saisonalen Auswahl der Produkte. Das war damals eine Revolution. 1974, als ich mein Geschäft aufgemacht habe, war Tiefkühlkost Fortschritt und modern. Das war die Zeit, als man noch vom Staat Atombunker gesponsert bekam. Da brauchte man auch Tiefkühlgerichte und einen Notstromaggregat, damit man jahrelang im Bunker hätte überleben können.

Und wie haben die Gäste auf die neue Küche reagiert? Waren sie zufrieden?

Die mussten in Deutschland sicher mehr dazulernen als in Frankreich. Zum Beispiel die Menüfolge aus Vorspeise, Hauptspeise und Nachtisch. Diese Tradition war im Krieg verloren gegangen. In den Restaurants wurden nur Teller mit Riesenportionen drauf serviert. Zum Teil haben es die Köche mit der Nouvelle Cuisine übertrieben. Die Küche war extrem. Die Bohnen damals waren knallhart, das hat im Maul einfach nur geknirscht. Für die traditionelle Kundschaft war das ungenießbar. Oft einfach auch nur das, was schon die Großmutter gemacht hat. Was soll der Scheiß, haben die gesagt.

Was stand in dieser Zeit zum Beispiel auf der Karte?

Damals wurde das Sorbet erfunden und vor dem Hauptgang serviert, so wie die Franzosen das gemacht haben. Ich weiß noch, beim Silvestermenü 1978 habe ich ein Tomatensorbet gemacht, was heute bei den Gästen nur noch ein müdes Grinsen auslösen würde. Da haben die Leute randaliert. Ob ich völlig verrückt sei, das kann man nicht essen.

Und was ist aus Eugen Maier geworden?

Er hat sich eine neue Kundschaft aufbauen können. Es kamen Schauspieler, Künstler, die auch mal mit einem Gemälde bezahlt haben. Auch RAF-Anwälte habe ich dort öfter gesehen. Aus dem „Fässle“ wurde ein reines Künstlerrestaurant. Der Maier ist viel zu früh, schon 1987, verstorben.

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