G20-Gipfel unter Indiens Vorsitz: Putin sucht die große Bühne
Kriege drohen die Weltgemeinschaft zu zerreiben: Nun rückt der Gaza-Krieg in den Fokus der G20. Russlands Präsident Putin ist wieder dabei.
Die Präsidentschaft Indiens fiel mit dem weiter andauernden russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine in keine leichte Zeit. Die Gräben zwischen westlichen Ländern und Russland vertieften sich wieder. Es schien fast, dass sie unüberwindbar geworden sind. Daraus folglich wäre das G20-Forum der Wirtschaftsnationen obsolet geworden. Wenn Gespräche nicht mehr möglich sind, was können dann Gipfel ausrichten? Doch es gelang die Überraschung, dass sich am Ende auch China und Russland zu Zugeständnissen bereit zeigten: Am 9. September wurde die „Erklärung von Neu-Delhi“ veröffentlicht.
Abstriche gab es von vielen Seiten – gerade hinsichtlich der Klimaziele, die so wichtig gewesen wären. Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz Robert Habeck musste schon beim Treffen der Energieminister:innen in Goa um Worte ringen, um das Positive hervorzuheben. Denn der große Verstoß blieb aus. Zur Einigung führte, dass am Ende die führenden Industrienationen die russische Aggression nicht mehr so deutlich verurteilten wie im Vorjahr. Es wurde auf Resolutionen der Vereinten Nationen (UN) verwiesen, die das taten.
Putin bezeichnet den Ukraine-Krieg als „Tragödie“
Ferngeblieben waren der Veranstaltung in Delhi der chinesische Präsident Xi Jinping sowie Russlands Präsident Wladimir Putin. Gegen ihn wurde im März 2023 vom Internationalen Strafgerichtshof Haftbefehl erlassen. Virtuell schaltete sich Putin jedoch am Mittwoch zu. Zum Beginn der Rede Modis fehlten dagegen die Regierungschef:innen aus Deutschland, Italien und den USA. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron kam verspätet dazu.
Bei Putins Redebeitrag waren nicht alle Länder zugeschaltet. Er teilte seine Sicht auf die „zutiefst instabile Weltlage“ und bezeichnete die russische Invasion als „Tragödie“. Russland habe niemals Friedensgespräche mit Kyjiw abgelehnt, so Putin, der auch die Tötung von Zivilisten in Gaza thematisierte. Zum offiziellen Ende von Indiens Vorsitz überschattete der Krieg in Gaza das Treffen. „Wir alle verurteilen Terrorismus und Gewalt aufs Schärfste“, sagte Modi.
Die Einigung über die Freilassung israelischer Geiseln im Austausch gegen palästinensische Gefangene begrüßten Regierungen von Deutschland über die USA bis zu Indien. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan kritisierte, dass in Gaza Kriegsverbrechen begangen würden, und forderte „eine Initiative zur Verwirklichung einer Zweistaatenlösung“. Wie schon beim Krieg in der Ukraine steht Indien zwischen den Stühlen. Die Regierung Modi pflegt enge Verbindungen nach Tel Aviv beziehungsweise zum Kabinett Netanjahu. Doch Indien erkannte Palästina 1988 auch als eines der ersten Länder als Staat an. Das stellte Modi am Mittwoch nicht infrage, er ergänzte, dass humanitäre Hilfe für Gaza so schnell, wirksam und sicher wie möglich geleistet werden solle. „Diplomatie und Dialog sind der einzige Weg, um geopolitische Spannungen zu lösen“, war sein Fazit.
Am Dienstag beim virtuellen Brics-Treffen wichtiger Schwellenländer (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) wurde bereits eine sofortige und dauerhafte humanitäre Waffenruhe gefordert, was Indien, vertreten durch Außenminister Subrahmanyam Jaishankar, unterstrich. Für Indien war es trotz des wachsenden Konflikts mit China ein erfolgreiches Jahr, das seltenen Besuch ins Land brachte.
Brasilien übernimmt den G20-Vorsitz
Dementsprechend hoch waren im Jahr vor den anstehenden Parlamentswahlen die Erwartungen an den G20-Vorsitz, eine neue Weltordnungspolitik zu prägen, in der Indien eine stärkere Rolle innehat, und das multilaterale System wiederzubeleben. Die G20, die mit der Afrikanischen Union 21 feste Mitglieder hat, ist seit 2009 das zentrale Forum für internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit.
Ob es das in Zeiten polarisierender Kriege bleiben kann, muss sich nun in Brasilien zeigen. Den offiziellen G20-Präsidentschaftshammer hat Brasiliens Präsident Lula da Silva bereits erhalten. Er hoffe, dass ein Waffenstillstand in Gaza der „Weg“ zur Beendigung des Krieges sein könne, so da Silva. Ein leichteres Jahr wird es wohl für den neuen Vorsitz nicht. Ein Ende des Krieges kann nur allen recht sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Verfassungsrechtler für AfD-Verbot
„Den Staat vor Unterminierung schützen“
Koalitionsvertrag in Brandenburg steht
Denkbar knappste Mehrheit