Fußballwunder von Dortmund: BVB reich beschenkt
Borussia Dortmund fällt der Einzug ins Halbfinale der Champions League praktisch in den Schoß. Das kann nur bedeuten, dass jetzt alles möglich ist.
Diese letzten Minuten hatten epische Tiefe. Jene Fans, die am Dienstagabend im Stadion waren oder vorm Fernseher saßen, werden die dramatischen Ereignisse weitertragen. Haarklein werden sie davon erzählen, wie himmelhochjauchzend doch dieser überraschende Moment des Sieges war.
Noch immer sind die Dortmunder besoffen von Bier, Adrenalin und Glückshormonen. Die Szenen haben sich nicht nur ins kollektive Gedächtnis der Fangemeinde eingeschrieben, sie könnten auch aus Borussia Dortmund ein neues, noch besseres Team machen.
Zu viel Pathos? Aber nicht doch, der Klub hat am Dienstagabend sein vielleicht schlechtestes Champions-League-Spiel in dieser Saison hingelegt, ist aber dank der späten Tore von Reus und Santana weitergekommen. Ein Wunder? Ja sicher, ein mittelgroßes Fußball-Mirakel war das schon.
Das Schicksal hat es verdammt gut gemeint mit einem an diesem Tag gehemmten, merkwürdig zögerlichem Team. Das kann nur heißen: Irgendeine Instanz hat etwas Größeres mit diesem Klub vor.
Dusel-Dortmund
Der Dusel, bisher ein Dauergast an der Säbener Straße in München, ist übergesiedelt zu den Borussen, die sich jetzt mit Fug und Recht Dusel-Dortmunder nennen dürfen – es ist ein Ehrentitel. Solch ein spektakuläres Finale kann viel verändern in den Köpfen der Spieler. Fußball ist ja nicht nur rational, es gibt viel magisches Beiwerk. Und diese Magie des Moments könnte die BVB-Profis noch über Wochen inspirieren. Jetzt wissen die Dortmunder, dass sie auch ein schwaches Spiel wundersam gewinnen können.
Sie werden wohl nicht wieder den Fehler machen und sich von einer Legionärstruppe aus Malaga, die ihre letzte Chance auf den großen Erfolg witterte und entsprechend schlagkräftig aufs Feld zog, den Spaß am Spiel verderben lassen. Wäre es nicht zu der späten Wende gekommen, alle Welt hätte den jungen Dortmundern wieder einmal die Reife abgesprochen.
Schönspieler, hätte man geschrieben, sicherlich gut genug, um Werder Bremen zu beeindrucken, aber wenn es hart auf hart kommt, werden ihnen die Knie weich. Man hätte konstatiert, dass sie im Vergleich zur vergangenen Saison in der Champions League zwar große Fortschritte erzielt hätten, aber doch wieder an sich selbst gescheitert wären.
Abseits? Was soll's
Die Momentaufnahme, dieser im Fußball alles entscheidende Schnappschuss, zeigt aber nun nicht am Boden zerstörte Borussen, sondern glückstrunkene Kicker, die kaum fassen können, was da passiert ist. Es passt ins Bild, dass das entscheidende Tor wegen Abseitsstellungen doppelt irregulär war, aber was soll‘s: Die Tatsachenentscheidung hat Dortmund ein paar Millionen Euro mehr beschert und zudem das Wissen, es nun ganz weit bringen zu können. Ein offenbar benebelter Linienrichter ist zum Scharfrichter für die Saison der Dortmunder geworden. Malaga greint jetzt, beschuldigt die Referees – und vergisst dabei, dass auch sie ein Abseits-Tor geschossen haben.
Dortmunds Dauerrivale, der FC Bayern München, kennt sich auch aus mit späten Toren, doch damals, im Champions-League-Finale des Jahres 1999, war es der Gegner, der spät obsiegte. Die Bayern haben das schnell verarbeitet. Zwei Jahre später gewannen sie den Pott und waren Europas Beste. Auch nach der epischen Finalniederlage von München im Vorjahr gegen den FC Chelsea steht der Klub von Uli Hoeneß jetzt besser da denn je.
Nicht nur die Süddeutsche Zeitung wähnt den Verein auf dem Weg zur Weltherrschaft. Dortmunds Erfolg wird in naher Zukunft zumindest dafür sorgen, dass sich wenigstens noch ein Team in Deutschland den Bayern entgegen stellt. Warum sollte die Frage nach der Vorherrschaft in Deutschland und Europa nicht am 25. Mai in London gestellt werden, wenn möglicherweise zwei Bundesliga-Klubs um die Krone ringen?
Dortmunds Spieler haben den Rausch genossen, jetzt müssen sie wieder klare Köpfe bekommen. Aber das dürfte ein Klacks werden: Demütig sollten sie betrachten, was ihnen da in den Schoß gefallen ist. Ein Geschenk.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles