Fußballnacht von Sevilla 1982: Spiel mit Langzeitwirkung
Dem WM-Halbfinalsieg der DFB-Elf in Sevilla vor fast 40 Jahren gegen Frankreich ist ein Buch gewidmet. Es war weit mehr als nur ein Fußballspiel.
Als Erstes eine knifflige Quizfrage aus dem Bereich der Fußball-Weltmeisterschaften: Welcher Spieler war 1982 Kapitän der deutschen Nationalmannschaft im Halbfinale der WM in Spanien gegen Frankreich? Karl-Heinz Rummenigge damals bester Stürmer Europas? Falsch, er war verletzt und wurde erst in der 97. Minute eingewechselt, nachdem er seinen lädierten Oberschenkel so lange mit Eis bearbeitet hatte, bis er nicht mehr schmerzte. Wer aber trug die Kapitänsbinde im Team von Bundestrainer Jupp Derwall? Richtig, es war Mister Bananenflanke Manfred Kaltz.
Er und zwölf weitere deutsche Spieler erlebten in einer andalusischen Julinacht ein Fußballdrama, das die deutsche Mannschaft, die in der Verlängerung schon mit 1:3 zurückgelegen hatte, schließlich mit 5:4 im Elfmeterschießen gewann.
Dieser einen WM-Begegnung hat Stephan Klemm, Sportredakteur beim Kölner Stadt-Anzeiger, ein 192 Seiten starkes Buch mit dem Titel „Die Nacht von Sevilla“ gewidmet, das im Oktober erschienen ist. Im Grunde neun Monate zu früh, denn das 40-jährige Jubiläum der Partie steht erst am 8. Juli 2022 an. Aber warum nicht früher sein als alle anderen?
Es ist ein Buch mit einem hohen Anspruch an sich selbst. Klemm, studierter Historiker und Germanist, hat mit wissenschaftlicher Akribie und viel Fleiß gearbeitet. Mit allen 13 deutschen Spielern, die in Sevilla im Estadio Sánchez Pizjuán auf dem Platz standen, hat er Interviews geführt, von Rummenigge, der nach seiner Einwechslung zum 2:3 traf, über Pierre Littbarski, Horst Hrubesch, der den entscheidenden Elfmeter verwandelte, den Förster-Brüdern bis zu Klaus Fischer, dem in Sevilla in der Verlängerung mit einem seiner berühmten Fallrückzieher das 3:3 gelang.
Stephan Klemm: „Die Nacht von Sevilla ’82: Ein deutsch-französisches Fußballdrama“, 192 S., Verlag Eriks Buchregal, 24,90 Euro
Klemm ist quer durch Deutschland gereist – und im Hochsommer ins heiße Sevilla, um sich besser vorstellen zu können, wie hitzig es damals zuging. Auch die wichtigsten Präliminarien des Halbfinals werden thematisiert, unter anderem die sogenannte „Schande von Gijón“, der legendär-peinliche deutsch-österreichische Nichtangriffspakt im letzten Gruppenspiel, der beiden Mannschaften das Weiterkommen ermöglichte. Und natürlich auch das Nachspiel: Die Chancenlosigkeit der erschöpften deutschen Profis, die das Endspiel gegen Italien mit 1:3 verloren.
Zudem sprach der Autor mit französischen Akteuren und mit Historikern. Klemm stellt heraus, dass dieses Halbfinale mehr als ein Fußballspiel war und besonders in Frankreich bis heute Spuren hinterlassen hat. „Sie verzweifeln weiterhin daran, trotz ihrer Fußballkunst doch noch verloren zu haben. Gegen die Kraft der Deutschen“, heißt es in der Einleitung.
Und hier ist man sofort bei Harald „Toni“ Schumacher, Patrick Battiston und dem Bild des hässlichen Deutschen, das durch die Aktion des Kölner Torhüters in der 57. Minute gefüttert wurde, als er den französischen Verteidiger brutal niedermähte, wobei der Vorderzähne verlor und bewusstlos mit Gehirnerschütterung und einem Haarriss im Halswirbel vom Platz getragen werden musste. Schumachers Reuelosigkeit („Ich zahl ihm die Jackettkronen“), die Tatenlosigkeit des niederländischen Schiedsrichters Charles Corver, sodass Schumacher später zwei Elfmeter parieren konnte – die Ungerechtigkeiten hätten fast eine politische Krise ausgelöst.
Im Kapitel „Das Monster von Sevilla“ analysiert Klemm ausführlich die Implikationen der Affäre. Und natürlich ist auch die heutige Sichtweise der längst geläuterten Schumacher ein großes Thema.
Die „Nacht von Sevilla“, schön aufgemacht mit vielen historischen Fotos, ist ein Buch, das detailverliebte Fußball-Liebhaber begeistern wird. Diejenigen, die das Halbfinale am Fernseher verfolgten, werden sich an vieles erinnern und einiges dazulernen. Wer noch nicht lebte oder zu jung war, um das Spiel zu sehen, wird sich fast so fühlen, als habe er damals mitgefiebert.
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