piwik no script img

Fußballclub Hertha BSC BerlinFleißbiene vor Abflug nach Europa

Vor zwei Jahren war Hertha Abstiegskandidat in der Bundesliga, jetzt ist die Qualifikation für die Europa League greifbar. Wie hat das Team das geschafft?

Jubeln können sie: Herthas Per Skjelbred nach dem Sieg gegen Wolfsburg Foto: dpa

Wer den Begriff „Schneckenrennen um Europa“ googelt, kann sich aktuell seitenlang durchklicken. Es gibt Karikaturen, in denen sich Bundesligisten mit Schneckenhaus schwitzend in Richtung Europa-League-Qualifikation schieben. Und Prognosen, wer von all den mittelmäßigen Kriechern dann doch das Rennen machen könnte.

Und es ist ja auch etwas Wahres dran: Den Wettbewerb um die Europa- League-Plätze trägt dieses Jahr die spielerisch limitierte, mittlere Unterschicht der Liga aus, das niedrige Niveau kann eigentlich niemanden verwundern. Bei Hertha ist die Stimmung trotzdem gut. Oder eigentlich: deswegen.

Denn Hertha ist – vor zwei Jahren noch Abstiegskandidat, mittlerweile Europa-Aspirant – eine halbwegs Konstante, ein Arbeitstier, eine Hartnäckige, und momentan auf Platz fünf. Das wäre die sichere Euro-League-Qualifikation.

Europa ist realistisch

Die Rückrunde lief zwar nicht wirklich toll, die Berliner holperten mühsam von einem Punktgewinn zum nächsten, und stellten zwischendurch einen Vereinsrekord an Auswärtsniederlagen auf. Aber weil alle Konkurrenten noch mehr auf der Stelle kleben, heißt es für die alte Dame kurz vor Saisonschluss: Europa ist realistisch. Der Traum von der internationalen Rückkehr könnte sich erfüllen – und damit auch eine alte Sehnsucht nach Etablierung.

Die Ansprüche des „Wieder“-Bundesligisten haben sich rapide geändert: Vor zwei Jahren noch war der Klassenerhalt oberstes Ziel, jetzt hat Pál Dárdai in der Winterpause die Parole „Europa League“ ausgegeben. Nicht viele Trainer korrigieren mitten in der Saison das Ziel, erst recht nicht nach oben.

Dárdai ging das Risiko ein – und stolperte beinahe darüber. Hertha, im Winter von einem Champions League-Platz gestartet, wirkte in der Rückrunde nervös: Wie in der Vorsaison konnten die Berliner ihr Niveau nicht halten. Würde nur die Rückrunde zählen, wäre Hertha Zehnter.

Die Rückrunde lief zwar nicht wirklich toll, die Berliner holperten mühsam von einem Punktgewinn zum nächsten.

Ein Kopfproblem, das Trainer Pál Dárdai schon vorsichtshalber angekündigt hatte. „Du kannst gar nicht verhindern, dass sich meine Jungs damit beschäftigen“, sagte er in einem Tagesspiegel-Interview. Er sagte auch, dass ihn der Druck nicht interessiere. „Ich konnte nur deshalb so lange in Deutschland erfolgreich sein, weil ich mich nicht manipulieren lasse.“

Herthas Fans sind gut drauf Foto: dpa

Dárdai wählt gern den schwierigen Weg. Die Hertha-Sehnsucht nach Größe hat er in seiner DNA. Er schützt seine Mannschaft, mauert auch nach außen. Bei kritischen Fragen teilt er schon mal in Richtung Presse aus, wie zuletzt nach der Niederlage in Mainz, wo er einen Reporter anblaffte, nachdem der gefragt hatte, ob Hertha bei dieser Auswärtsschwäche gut genug für die Euro League sei. Eine legitime Frage. Aber ungelegen.

Hertha, die Schwankende, hat mit Dárdai einen neuen Fixpunkt: Stabilität. Und der Klub scheint es zum ersten Mal seit Langem zu schaffen, Ansprüche und Wirklichkeit zu versöhnen. Dárdai lässt keinen grandiosen Kombinationsfußball spielen, dafür ist er Realist genug: Hertha lebt von knappen Ergebnissen, den schmutzigen 1:0-Siegen.

Und oft genug sieht man dabei, wie zuletzt gegen Wolfsburg, keinen großen Klassenunterschied zwischen dem Euro-League-Kandidaten und dem Team im Abstiegskampf. Aber Berlin macht die Tore. Unter den Arbeitern der Bundesliga hat sich Hertha BSC eine Vormachtstellung erkämpft. Fleißig, solide, ambitioniert. Und erfolgreich.

Zwei Siege will Dárdai noch aus den letzten vier Spielen holen. Die Partie am Samstag gegen Bremen ist von den wichtigen vier Partien möglicherweise die Wichtigste: Werder – zweitbeste Mannschaft der Rückrunde und damit gewissermaßen die Antithese zu Hertha – stürmt gerade in Richtung Europa League, und ist der ernsthafteste Konkurrent um Platz fünf. Eine Niederlage könnte die Reise nach Europa in Gefahr bringen; ein Sieg brächte die Berliner einen großen Schritt in Richtung internationales Geschäft.

Nachdem man im vergangenen Jahr, in der Überraschungssaison, so knapp scheiterte, wäre die Euro League das ersehnte Signal: „Wir sind wieder wer!“ Es wäre ein enormer Erfolg und wohl das Maximum, das sich mit der aktuellen finanziellen Situation herausholen lässt. Langfristig – daraus macht der Klub keinen Hehl – soll es mehr werden. Hertha träumt laut von einem chinesischen Investor, zuletzt waren Michael Preetz und Finanzchef Ingo Schiller in Schanghai.

Das Thema Stadionbau

Und dann ist da noch das Thema Stadionbau. Auch das hat viel mit dem Wunsch nach Etablierung zu tun. Ein neues, eigenes Hertha-Stadion fußt auf der Hoffnung, demnächst regelmäßig Euro League zu spielen. Man baut nicht für den Abstiegskampf.

Träumen die Berliner zu groß? Dárdai spuckt große Töne, aber er liefert auch. In Sachen Stadionbau könnte Hertha an der SPD scheitern, die sich zuletzt nicht begeistert zeigte, den Buhmann zu spielen und den lukrativen Mieter aus dem Olympiastadion ziehen zu lassen. Aber der Alternativvorschlag der Sozialdemokraten – ein teurer, komplizierter Umbau des Olympiastadions – hat viele Gegner und ist noch lange nicht durch.

Die Hoffnung auf eine neue Heimat lebt. 2017, das Jahr eins nach der Überraschung, soll das Jahr des Aufbruchs sein. Im Sommer feiert der Klub 125-jähriges Jubiläum. Am liebsten würde man das mit der Qualifikation für Europa tun.

Der Begriff Schnecke ist angesichts dieser Entwicklung nicht ganz passend. In den vergangenen zwei Jahren hat sich viel bewegt bei den Berlinern. An guten Tagen kann die Mannschaft, die aus der zweiten Liga kam, den großen FC Bayern zum Stolpern bringen. Aber es gibt auch die schlechten Tage, vor allem gegen die anderen kleinen Kläffer der Liga, die aus Mainz oder Wolfsburg, gegen die Hertha das Spiel machen muss.

Immerhin: Viele gute Tage braucht die Mannschaft in dieser Saison nicht mehr. Ein Sieg gegen Bremen würde fast reichen für Europa.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!