Fußball in der Ukraine: Anti-Putin-Lieder auf den Rängen
Bei der Partie zwischen Kiew und Odessa in der ukrainischen Hauptstadt feuern die Heimfans auch die Spieler der gegnerischen Mannschaft an.
KIEW taz | Die Kiewer hatten Angst vor dem 7. Mai. Grund dafür war das geplante Fußballspiel des Kiewer Vereins Dinamo gegen Odessa Tschornomorez. Wegen der jüngsten blutigen Ereignisse in Odessa, fanden sich die Fans etwas zögerlich im Stadion ein.
Die Bewachung in Kiew dagegen war perfekt organisiert. Neben Milizionären postierten sich auch Selbstverteidigungskräfte vor dem Stadion. Letztere hatten vor dem Spiel versprochen, das Stadion so gut zu bewachen, „dass nicht einmal eine Maus hinein schlüpfen kann“. Geschweige denn Provokateure. Viele Fans blieben trotzdem besorgt. Aver auf das Spiel zu verzichten kam für sie auch nicht in Frage.
Die Spieler beider Mannschaften lieferten den Fans ein interessantes und hochwertiges Spiel. Trotz des eindeutigen Sieges von Dinamo Kiew mit 4:0 gegen Odessa Tschornomorez zeigten die Anhänger beider Mannschaften weder übermäßige Freude über den Sieg, noch tiefe Enttäuschung. Viele Fans sind der Meinung, die Spieler von Tschornomorez hätten die Bälle deswegen so schlecht gespielt, weil sie psychisch zu belastet waren von den Ereignissen in ihrer Heimatstadt.
Alle Anwesenden im Stadion verstanden nur zu gut, dass die Spieler von Odessa aus einem Krisengebiet angereist waren. Von den Tribünen konnte man immer wieder laute Rufe vernehmen: „Odessa! Odessa!“ Das Erstaunliche daran: auch die Fans der gegnerischen Mannschaft feuerten das Team von Odessa an. „Ich denke, unsere Spieler werden uns Fans das nicht übel nehmen“, sagte Igor, ein Fan von Dinamo. „Sie wissen ganz genau, dass wir Dinamo immer lieben werden, auch wenn sie mal schlecht spielen sollten. Jetzt aber wollen wir zeigen, dass der Sport die Ukraine vereinen kann. Wenn wir uns einig werden können, dann können das auch die Politiker, wenn sie mal ihren Hintern hochkriegen würden.“
Kaum Betrunkene auf den Straßen
Auf den Tribünen sangen die Fans gemeinsam ein Lied gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin, was mittlerweile in den Stadien beinahe schon Tradition geworden ist. Einige bezeichnen das Lied bereits als neue Fanhymne.
Nach dem Spiel gab es, zu allem Erstaunen, kaum Betrunkene auf den Straßen. Es kam auch nicht zu der üblichen Randale zwischen den Fans der gegnerischen Mannschaften. Trotzdem lag am Ende des Spiels keine Feierstimmung in der Luft. Für viele Fans ist der Fußball vor allem eine Möglichkeit, Dampf abzulassen und kurz die schrecklichen Ereignisse im Land auszublenden.
Die ukrainischen Fußballfans warten jetzt nur noch auf das Finale der Premier Liga, das am 15. Mai stattfinden wird. Dort wird Kiew Dinamo gegen den Donezker Verein Schachtjor antreten. Ursprünglich sollte das Spiel in Charkow stattfinden. Wegen der unruhigen Lage im Südosten des Landes wird es aber höchstwahrscheinlich in eine andere Stadt verlegt werden.
Die Miliz hatte im Vorfeld vorgeschlagen, alle Spiele der Premier Liga komplett ohne Zuschauer durchzuführen, um Zusammenstöße zu vermeiden. Die Trainer beider Mannschaften und die Fans lehnten dies jedoch kategorisch ab. Sergey Rebrow, Trainer von Dinamo erklärte auf der Pressekonferenz nach dem Spiel, dass man diesen Vorstoß zumindest in Kiew ignorieren werde, da das Spiel reibungslos verlaufen sei.
Aus dem Russischen Ljuba Naminova
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?