Fußball in Madagaskar: Jenseits vom Afrikacup
Die Nationalelf des Inselstaates ist stark, doch die Vereine schwach. Eine Profiliga soll in Madagaskar helfen, aber auch hier schlug Corona zu.
Die Stimmung ist entspannt. Ein improvisierter Getränkestand bietet warme Cola an, und auch das Bier ist warm. Die 50 bis 100 Anwesenden, meist wohl Verwandte oder Freunde der Spieler, interessieren sich für das Geschehen auf dem Rasen. Und für nichts sonst. Keinen Blick auf die Bergkulisse, nicht auf den Getränkestand. Fangruppen der vorrangig aus der Hauptstadt kommenden Teams sind nicht auszumachen.
Die Schiedsrichter haben wenig zu tun, die Torhüter ebenso. Mal fliegt ein Ball meterhoch über das Tor oder daran vorbei. In seltenen Fällen landet er doch mal im Tor. Dann setzt höfliches Klatschen ein, und weiter geht es. Kommt man aus der beengten und hektischen Hauptstadt, wirkt hier alles entschleunigt und unfassbar ruhig. Dabei sind es doch die kleinen Plätze und Stadien wie dieses, von denen die Jubelschreie ausgegangen sind, die dann angeschwollen, bis sie in Europa zu vernehmen waren.
Im Jahr 2019 hatte die Nationalmannschaft Madagaskars gegen jede Wahrscheinlichkeit das Viertelfinale des Africa Cups erreicht. Das Team ohne Stars, trainiert von einem französischen Teilzeitcoach namens Nicolas Dupuis, den auch in Frankreich nur die wenigsten Experten kannten, konnte in der Vorrunde Schwergewicht Nigeria schlagen. Fans, die es sich leisten wollten, konnten für 600 Euro in einem von Staatspräsident Andry Rajoelina gecharterten Airbus zum Achtel- und Viertelfinale nach Ägypten fliegen. Im Viertelfinale dann, nach einem 0:3 gegen Tunesien, war die Reise des Teams, das eine wahre Euphorie ausgelöst hatte, zu Ende.
Was ist geblieben von dieser Euphorie, zehn Monate nach dem größten Erfolg der „Barea“, wie die Natioanelf nach den wilden Zebus, Buckelrindern, benant ist? Ein einheitliches Bild lässt sich kaum zeichnen. Nationalmannschaft und Vereine, Verband und Liga entwickeln sich in unterschiedlichem Tempo. Eine Profiliga gab es im vergangenen Jahr noch nicht. Kein Wunder, dass noch heute 21 von 23 Nationalspielern nicht in Madagaskar spielen. Die meisten sind Profis, kicken in Spieklassen unterhalb der französischen Ligue 1, in arabischen Ländern oder in anderen Regionen.
Gegenentwurf zu den alten Männern in Afrikas Fußball
Die damit verbundenen Reisestrapazen zu den Spielen auf dem afrikanischen Kontinent haben Auswirkungen auf die Leistung der Fußballer. Für die Fédération Malagasy de Football sind aber die Kosten die deutlich größere Herausforderung. Wenn es nach Mirado Rakotoharimalala, dem Leiter des Generalsekretariats der neu geschaffenen Orange Pro League, geht, soll sich dieser Zustand schon bald ändern. Der eloquente Mittdreißiger möchte den Ligabetrieb auf ein professionelles Niveau bringen.
Er hat in London Sports Management studiert, ist ein profunder Kenner des einheimischen und afrikanischen Fußballs und wirkt wie ein Gegenentwurf zu den vielen alten Männern im afrikanischen Fußballgeschäft. Das Projekt Profiliga möchte er wie ein Start-up behandelt wissen.
Zur Zeit ist er aber so gut wie handlungsunfähig. Alle regionalen und internationalen Flüge auf der viertgrößten Insel der Welt sind am 20. März eingestellt worden, als die ersten mit dem Coronavirus Infizierten gemeldet wurden. Auch hier ruht der Ligabetrieb im Fußball mittlerweile. Die nächsten Länderspiele gegen die Elfenbeinküste und Äthiopien in der Qualifikation zum Afrika-Cup wurden ebenfalls verschoben. Noch führt nach zwei Spieltagen Madagaskar die Tabelle mit sechs Punkten an und hat gute Chancen, im Januar 2021 in Kamerun dabei zu sein.
Bis dahin sollte die von einem Telekommunikationsriesen gesponserte Pro League längst wieder laufen. Sie ist auch deshalb gegründet worden, weil Organisation und Vermarktung des Ligabetriebs durch den nationalen Fußballverband unterdurchschnittlich waren. Während für viele aktive Fußballfans und Ultras in Europa das „TV-Diktat“ als Teil des Problems „moderner Fußball“ gegeißelt wird, trägt das Fernsehen auf Madagaskar maßgeblich dazu bei, den einheimischen Fußball in einen zumindest semiprofessionellen Bereich zu hieven. Zum ersten Mal überhaupt wurden in dieser Saison regelmäßig Spiele übertragen. Die Facebookseite Sport261 darf Erstligaspiele streamen, und ein nationaler Fernsehsender überträgt sonntags ein ausgewähltes Match. Direkt verdienen kann die Liga damit nichts. Sie zahlt dem übertragenden Sender einen fixen Betrag.
Das volle Rabemananjara-Stadion
Wie weit der Weg zur Professionalisierung noch ist, zeigt ein Blick auf die Kader. Ungefähr 50 Aktive der zwölf Teams sind Vollpofis. Die anderen arbeiten nebenher oder sind Vertragssportler beim Militär, der Stadtverwaltung von Antananarivo oder der Sozialversicherung. Diese Organisationen stellen vier Mannschaften im Ligabetrieb. Die der Stadtverwaltung heißt USCA Foot und spielt in der 2. Liga. Trainer Andry Hildecoeur Henintsoanarivo berichtet von spezifisch madagassischen Problemen.
Die Insel ist anderthalbmal so groß wie Deutschland und verfügt nur über ein rudimentär ausgebautes Straßennetz. Aus Kostengründen bieten jedoch Inlandsflüge selbst für die großen Teams keine Alternative zu Überlandfahrten. So dauert die Anreise zu so manchem Spiel 14 Stunden, manchmal sogar 24 Stunden. Die erschöpften Spieler treffen dann auf die ausgeruhten Gegner. Auch die klimatischen Unterschiede zwischen Küstenregionen und der im Hochland gelegenen Hauptstadt spielen eine Rolle.
Es gibt noch mehr Probleme: Henintsoanarivo sagt, dass es vielen seiner Trainerkollegen*innen an moderner Spielanalyse und Trainingsgestaltung mangelt. Er selbst nimmt im nächsten Jahr an einer von der niederländischen Botschaft unterstützten fünfmonatigen Weiterbildung teil. In Leipzig treffen sich dann Trainer*innen aus ganz Afrika. Henintsoanarivo hofft, dass in fünf bis zehn Jahren die lokalen Trainer*innen den Rückstand zu den internationalen Kollegen*innen aufgeholt haben.
Klaus Heimer, Kenner der Insel und Verfasser diverser Reisebücher über Madagaskar, sieht die Probleme aber noch an ganz anderer Stelle und spricht aus, was sonst oft nur als blauer Elefant auftaucht: Misswirtschaft, Veruntreuung und Kungelei. Der aktuelle Präsident des afrikanischen Fußballverbands (CAF), Ahmad Ahmad, dürfte wissen, was damit gemeint ist. Als einstiger Chef des madagassischen Fußballverbandes und früherer Sportminister wurde er 2019 von französischen Behörden zu Korruptionsvorwürfen befragt. Die Ermittlungen wurden eingestellt. Nicht nur an dieser Stelle bleibt ein Nachgeschmack bezüglich des Sportfunktionärs, dem zusätzlich Fälle sexueller Belästigung vorgeworfen werden. Auch mithilfe von Fifa-Chef Gianni Infantino konnte sich der madagassische CAF-Präsident im Amt halten.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Doch es gibt auch die positiven Geschichten. Als ein wahres Vorbild im einheimischen Fußball gehen gewiss die Fosa Juniors aus Mahajanga an der Nordwestküste der Insel durch. Während andere Mannschaften vor ein paar Familienmitgliedern oder gerade mal hundert Fans spielen, ist es hier, im 8.000 Menschen fassenden Stade Rabemananjara, immer voll. Die Fans sind frenetisch und loyal, wie der niederländische Manager Arno Steenkist bestätigt. Zudem reisen dem Meister von 2019 bis zu 200 Fans zu Auswärtsspielen hinterher.
Auch wenn also gewiss nicht alles schlecht ist im madagassischen Fußball, gibt es noch viele Baustellen – auch solche, an denen gerade gewerkelt werden sollte. Das hauptstädtische Mahamasina-Stadion soll auf 45.000 Zuschauerplätze ausgebaut und generalüberholt werden. Ein chinesischer Konzern wurde mit dem Bau beauftragt, doch die Bauarbeiten stockten früh. Lokale Bauarbeiter machten darauf aufmerksam, dass versäumt wurde, die rítuelle Schlachtung eines Zebus vorzunehmen. Nachdem die Prozedur nachgeholt worden war, stellte sich ein neues Problem ein: Die Arbeiten konnten nicht fortgesetzt werden, da chinesische Bauarbeiter aufgrund der Coronapandemie nicht einreisen durften beziehungsweise zunächst in Quarantäne mussten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland