piwik no script img

Fußball in KarlsruheRadikaler Stimmungsumschwung

Mit dem Rücktritt des KSC-Präsidenten wird die Insolvenz des Zweitligisten abgewendet. Befreit von der Last siegt das Team mit 2:0 gegen Darmstadt.

Im Netz: KSC-Angreifer Marvin Wanitzek sorgt für die 2:0-Führung gegen Darmstadt Foto: Hangst/dpa

Karlsruhe taz | Noch am vergangenen Donnerstag war jeder, der im Umfeld des Zweitligisten Karlsruher SC recherchierte, in der Versuchung, anschließend einen Monty-Python-Film zu schauen, um wieder halbwegs gute Laune zu bekommen. Sportlich stellte sich die Lage beim Tabellenvorletzten dabei noch nicht mal ganz so desaströs dar wie finanziell. Angesichts von rund 30 Millionen Euro an Verbindlichkeiten schien die Insolvenz nur noch eine Frage der Zeit. Und dann lieferte sich der Verein noch einen Machtkampf um Präsident Ingo Wellenreuther, dem zuletzt eine täglich wachsende Opposition im Verein anlastete, die Misswirtschaft der letzten Jahre federführend verantwortet zu haben.

Wenige Tage später ist im Badischen ein radikaler Stimmungsumschwung festzustellen. Nach dem Rückzug des Präsidenten wurde ratzfatz die Last von 30 auf zehn Millionen Euro gesenkt, die Insolvenz ist kein Thema mehr. Und weil das alles so erfreulich ist, gönnte sich der Verein am Freitag eine sachlich und konstruktiv geführte Mitgliederversammlung, bei der 2.000 online zugeschaltete Teilnehmer fast 100 Fragen stellen konnten und die kompetent und phrasenarm beantwortet bekamen. Eine ganz andere Außendarstellung als in den vergangenen Jahren sei das gewesen, hieß es plötzlich auch fast unisono in den Fanforen, in denen die Diskussionen zuvor heißgelaufen waren.

Mit den beiden Hauptgläubigern, darunter dem Filmrechteverwerter Michael Kölmel, wurden Vergleiche geschlossen, beide verzichten auf einen großen Teil ihrer Forderungen. Und weil das alles so schön ist, investierten ein paar KSC-Freunde auch noch sechs Millionen Euro in Aktien. Und siehe da: Einen Tag später machte dann auch noch die Mannschaft etwas Seltenes: Sie gewann ein Pflichtspiel mit 2:0. Darmstadt 98 musste dran glauben.

Am Donnerstag hatte Wellenreuther seinen Rücktritt erklärt – und zu diesem Zeitpunkt Anhänger wie Gegner gleichermaßen überrascht. Beide Lager hatten damit gerechnet, dass er die Mitgliederversammlung noch nutzen würde, um entweder einen Stimmungsumschwung herbeizuführen oder sich noch einmal einen würdigen, publikumswirksamen Abgang zu verschaffen. Zuletzt war sein Rückhalt im Verein dramatisch gesunken. Er habe aber „immer nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt“ und alles getan, um die Rechte der Vereinsmitglieder zu wahren, erklärte Wellenreuther am Schluss. Er habe nun auch seine Familie schützen wollen.

Tatsächlich dürften die Tage vor dem Rücktritt auch privat nicht sonderlich erfreulich gewesen sein. Schließlich hatte ein aus lokalen Unternehmen und Privatpersonen bestehendes „Bündnis KSC“ angekündigt, es werde die ansonsten unumgängliche Insolvenz abwenden und eben Aktien im Wert von sechs Millionen Euro erwerben. Aber nur dann, wenn Wellenreuther zurücktrete.

Im Subtext hieß das nichts anderes, als dass man nicht gewillt sei, Geld in ein Fass ohne Boden zu investieren: „Mit den über einen Aktienkauf bereitgestellten Mitteln könnten Vergleiche mit den Hauptgläubigern geschlossen, dadurch die hohen laufenden finanziellen Belastungen stark gesenkt und die Finanzierung der kommenden Spielzeiten gesichert werden“, hieß es in dem Schreiben der Investorengruppe, die mittlerweile genau das getan hat. Sehr zur Freude von Oberbürgermeister Frank Mentrup (SPD), der sich bei der Wahl 2012 noch gegen den CDU-Mann Wellenreuther durchgesetzt hatte, was viele als eine Wurzel für die mit Händen zu greifenden wechselseitigen Animositäten halten.

Für den Zwist gibt es allerdings auch eine Sachebene. Bei der letzten Mitgliederversammlung monierten zahlreiche Redner, ein Verein, der selbst keinen Euro für den Stadion-Neubau aufbringen könne und sich die mittlerweile auf bis zu 150 Millio­nen Euro prognostizierten Baukosten fast komplett von der Stadt vorfinanzieren lassen müsse, tue gut daran, öffentlich weniger fordernd aufzutreten. Wellenreuther ließ immer wieder Anwälte und Gerichtsvollzieher im Rathaus vorstellig werden – einmal sogar berechtigterweise, weil die Stadt auch nach Meinung der Gerichte Akteneinsicht bei einer Baumaßnahme verweigerte.

Zuletzt hatte Wellenreuther nicht nur die Stadt und fast alle Vereinsgremien gegen sich, sondern auch die organisierte Fanszene, die mit Transparenten seinen Rückzug forderte. Der entscheidende Faktor, der den Juristen zum Rückzug bewegte, dürfte allerdings die Tatsache gewesen sein, dass Vizepräsident Günter Pilarsky von ihm abgerückt war, indem er seine „Neutralität“ im Machtkampf betonte. Den Millionär bezeichnet Wellenreuther nach wie vor als seinen „Freund“; als Pilarsky 2019 heiratete, war Wellenreuther einer seiner Hochzeitsgäste in „Brenners Park-Hotel“.

Zum „Bündnis KSC“ zählt auch die GEM Ingenieurgesellschaft von Martin Müller, gegen den sich Wellenreuther bei seiner Wiederwahl als Präsident im Oktober noch knapp mit 51,9 Prozent der Stimmen durchgesetzt hatte. Auch zuletzt hatte Wellenreuther vor „Heuschrecken“ gewarnt und damit den künftigen Haupt­sponsor, die CG Gruppe, gemeint, deren Prokurist Müller ist. Müller, der nach eigener Aussage „nicht initiativ“ hinter dem Bündnis steht, sondern angeblich gefragt wurde, ob er mitmache, hat eine Kandidatur als Präsident allerdings explizit ausgeschlossen.

Bis zu einer Neuwahl, die in den kommenden Wochen vonstattengehen soll, übernehmen die beiden bisherigen Wellenreuther-Vizes, Holger Siegmund-Schultze und Pilarsky, kommissarisch das Präsidentenamt. Falls Siegmund-Schultze Ambitionen haben sollte, das Amt dauerhaft zu übernehmen, dürften seine Chancen gut stehen. In den vergang­enen Jahren ist er als ausgleichender, nicht polarisierender Funktionär aufgefallen. Und die Art und Weise, wie er die Mitgliederversammlung ohne Polemik und Politiker-Volten leitete, nötigte auch einigen Wellenreuther-Freunden im Verein Respekt ab. So etwas kannten auch sie aus den letzten Jahren nicht mehr.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!