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Fußball in IsraelMit Shirts gegen Abschaum

Fans von Hapoel Tel Aviv wehren sich gegen Repression. Beim Spiel gegen Kirjat Schmona bejubeln sie nicht einmal den Führungstreffer.

Fans von Hapoel Tel Aviv bei einem Spiel in London, Januar 2023 Foto: Imago/Sebastian Frej
Dinah Riese

Aus Netanya

Dinah Riese

Still zu bleiben fällt den Fans schwer: Keine Rufe, keine Gesänge ertönen am Samstag zu Beginn des Auswärtsspiels, das Hapoel Tel Aviv gegen Hapoel Ironi Kirjat Schmona im israelischen Netanya austrägt. Selbst als bereits in der 6. Minute ein Tor fällt, rutschen die Fans des Fußballerstligisten aus Tel Aviv auf ihren Sitzen hin und her und zischen bloß „Pssscht“. Nach 13 Minuten und 12 Sekunden setzt lautes Trommeln ein. „Rak Hapoel“, singen die Ultras, „nur Hapoel“, und hören nicht auf, bis das Spiel mit 2:2 endet.

13 Minuten und 12 Sekunden ohne Support, am 13. Dezember – 1312, der numerische Code für ACAB, „All Cops are Bastards“: Es ist die Retourkutsche der Fans an die Polizei. In der Vorwoche hatte diese Ultras des Vereins den Zugang zum Tel Aviver Stadion verweigert, weil sie ein T-Shirt trugen mit der Aufschrift „Ultras Hapoel gegen den Abschaum“. Darunter drei durchgestrichene Symbole: der Stadtrivale Maccabi Tel Aviv, die (verbotene) rechtsextreme Partei Kach – und die Polizei.

Hunderte Fans verließen aus Solidarität das Stadion. Die Israel Football Association und der Ligaverband kritisieren die „exzessive Intoleranz gegenüber gewaltfreiem Protest“. Die Polizei hingegen argumentiert, sie dürfe den Zutritt bei „begründeter Sorge vor Störung öffentlicher Ordnung“ verweigern und um „Schaden für Leben und Eigentum“ abzuwenden.

Die Freiheit zum Protest ist ein Grundrecht, das jedem Staatsbürger zusteht, auch Hapoel-Fans

Michel Sfard, Menschenrechtsanwalt

Es ist nicht der erste Zwischenfall. Im Oktober war das Tel-Aviv-Derby kurz vor Beginn abgesagt worden, weil Ultras Pyros gezündet hatten. Anschließend sei es zu „willkürlicher und ungezügelter Gewalt“ durch die Polizei gekommen, kritisierte die Association for Civil Rights in Israel. Die Beamten hätten Fans getreten, geschlagen und gewürgt – selbst wenn es keine Gegenwehr gegeben habe. Anfang Dezember verhaftete die Polizei rund 20 Fans wegen dieses Vorfalls.

Der Ausschluss der Ultras wegen ihrer T-Shirts sei „Machtmissbrauch“, kritisierte vor einigen Tagen Michael Sfard, bekannter Menschenrechtsanwalt in Israel. Dass die Polizei den Protest gegen sie nicht möge, sei keine Legitimation, ihn als Aufstachelung zu werten. Die Freiheit zum Protest sei ein Grundrecht, welches das israelische Gesetz jedem Staatsbürger zugestehe – „auch Hapoel-Fans“.

Der Minister ist Fan von Beitar Jerusalem

Das Handeln der Polizei habe keinerlei rechtliche Grundlage, sagt Sfard im Gespräch mit der taz. Immer wieder gehe sie unverhältnismäßig hart gerade gegen die Fans von Hapoel Tel Aviv vor – „zufällig der größte Rivale des Clubs, dessen Fan der für die Polizei zuständige Minister ist“. Der rechtsextreme Minister für innere Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, ist Anhänger von Beitar Jerusalem – ein Club mit einer ausgeprägt rechtsextremen Fanszene. Die Fans von Hapoel Tel Aviv hingegen sind eher links und antirassistisch.

Man müsse den Vorfall mit den T-Shirts aber in einem größeren Kontext sehen, sagt Sfard: „Es verdeutlicht sehr gut die fortschreitende Faschisierung der Polizei unter der aktuellen Regierung.“ Mehr und mehr werde ein Zustand hergestellt, in dem die einzigen legitimen Stimmen die der Regierenden seien. Tatsächlich ist die Polizei zuletzt zunehmend hart gegen regierungskritische Demonstranten und Veranstaltungen vorgegangen.

„Wir kennen solche Repression seit Jahren gegen Menschen, die gegen die Ungleichbehandlung von Palästinensern oder Siedlergewalt im Westjordanland protestieren“, sagt Sfard. „Aber jetzt sehen wir, wie es sich in alle Sphären des öffentlichen Lebens ausbreitet.“

Durch gezielte Beförderungen loyaler Personen und durch „konstante Interventionen in die Polizeiarbeit“ habe Ben-Gvir es geschafft, große Teile der Polizei von einer „Behörde, die gesetzestreue Bürger schützen soll, zu einer Behörde umzubauen, die die Meinung der Regierung durchsetzt“, sagt Sfard. Auch Israels Oberstes Gericht wird sich bald – zum wiederholten Mal – mit Petitionen befassen, die eine Entlassung Ben-Gvirs fordern. Israels Generalstaatsanwältin hat Premierminister Benjamin Netanjahu jüngst aufgefordert, seinen Minister in die Schranken zu weisen.

Die Ultras von Hapoel Tel Aviv haben derweil keineswegs vor zu kuschen. Und nicht nur sie: Auch die Fans des gegnerischen Teams machten am Samstag mit bei der 1312-Aktion, ebenso wie weitere Ultragruppen in Israel an diesem Wochenende. In Deutschland zeigten Ultrà Sankt Pauli in Hamburg und Schickeria München mit Bannern ihre Solidarität. Und obwohl die Outfits der Tel Aviver Fans penibel kontrolliert wurden – wer einen Pulli trug, musste ihn vor den Ordnern hochheben und sein T-Shirt präsentieren –, schwenkten einige auf den Rängen das Objekt der Aufregung.

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