Fußball-WM der Frauen in Frankreich: Aus der Banlieue zu den Bleues?
Kheira Hamraoui ist nicht für die französische Nationalmannschaft nominiert. Dabei hat die Ausnahme-Sportlerin eine Vorbildfunktion.
Der Lieblingsmove von Kheira Hamraoui ist der Übersteiger. Wie bei Zidane, sagt sie. Sie selbst kann ihn leider nicht besonders oft machen, sie spielt im defensiven Mittelfeld, da sind technische Sperenzchen nicht gern gesehen; ihr FC Barcelona stand dieses Jahr im Finale der Champions League.
Gegen den FC Bayern machte sie ein herausragendes Spiel, im Rückspiel flog sie mit Gelb-Rot vom Platz, wegen Meckerns. Das große Spiel gegen Lyon verpasste sie dann. Es ist ein Sinnbild ihrer Karriere.
Ihren Werdegang hat Hamraoui mehrfach als Kampf bezeichnet. In einem Interview mit Saphir News sagte sie, es sei ihre Wut, ihre Zähigkeit gewesen, die ihr erlaubt hätten, gegen alle Widerstände Profisportlerin zu werden. Sie ist im verarmten Norden Frankreichs aufgewachsen, in Roubaix, und beginnt das Fußballspielen auf der Straße, mit den Jungs des Viertels.
Erst als sie neun Jahre alt ist und erst, nachdem sie zuvor mehrfach abgelehnt worden ist, tritt sie einem Fußballclub bei. Häufig genug, sagt sie, sei sie das einzige Mädchen der Mannschaft gewesen. Sie wechselt nach St. Étienne, später zu Paris Saint-Germain und Lyon.
Die neuen Ikonen
Die ersten Riots in den französischen Vorstädten starten Ende der 70er Jahre, sehr schnell intensivieren sich die Auseinandersetzungen. Die französische Regierung, die bisher die Bedürfnisse und Härten der ersten und zweiten Einwanderungsgeneration weitgehend ignoriert hatte, versucht die Situation zu befrieden.
Da Frankreich seit dem Ölschock wirtschaftlich stagniert, ist für tatsächliche Verbesserungen wenig Geld da. Rigide polizeiliche Maßnahmen wechseln sich mit kulturellen Aufhübschungen des Lebensumfeldes ab. In manchen Banlieues beginnt man zu scherzen, dass man wohl erst zwei Dutzend Autos anzünden müsse, damit der Stadtpark des Viertels wieder in Stand gesetzt wird.
Eine wichtige Rolle kommt dem Sport zu. Die linke Regierung unter Präsident Mitterrand setzte als Erste ein Förderprogramm auf, dem seither alle weiteren Regierungen folgen. Es schien eine Win-win-Situation zu sein: Die Sportclubs kosteten durch viel ehrenamtliche Arbeit weniger Geld, die Jugendlichen waren beschäftigt, und aus den Banlieues kamen neue Ikonen, die sowohl den Jugendlichen aus den Vororten als Role Models dienten als auch die gloire de la nation mehrten.
Für hunderte Kinder gibt es keinen Platz in Fußballclubs
Frankreich, bis dahin eine notorisch erfolglose Sportnation, begann plötzlich, international Titel zu gewinnen; bis hin zum Höhepunkt des Siegestaumels 1998, als Zidane und Les Bleus bei der Heim-WM den Titel holten.
Die Helden von einst wollen die Politik von damals fortführen. „Ein durch den Sport disziplinierter Jugendlicher ist ein geretteter Jugendlicher“, heißt es in einem Appell von Ex-Tennisspieler Yannick Noah an Präsident Emmanuel Macron. Ein Schlachtplan zur Rettung der perspektivlosen Jugend sei alternativlos; die Arbeitslosenquote bei unter 30-Jährigen in den ärmeren Vorstädten liegt bei 35 Prozent.
Macron selbst hat einen Sonderbeauftragten eingesetzt, der Vorschläge einreichen sollte. Statt diese Vorschläge umzusetzen, hat Macron sich dazu entschieden, eine „neue Herangehensweise“ zu wählen, die Kritikern eher vorkommt wie eine uralte Strategie: ein bisschen mehr Polizei, und der Rest sind warme Worte, große Gesten.
Dabei bräuchten die chronisch unterversorgten sensiblen Viertel eine tatkräftige, auch praktische Unterstützung. Es fehlt an Infrastruktur, es fehlt auch an professionellen MitarbeiterInnen. Die Zeitung Le Parisien berichtet, dass in einem Vorort wie Pierrefitte nördlich von Paris 200 bis 300 Kinder pro Jahr vom Club abgewiesen werden müssen, weil die Mittel nicht ausreichen, und das bei einer Gesamteinwohnerzahl von 30.000 Menschen.
Das Leben einer Profifußballerin ist prekär
Besonders vom Ausschluss bedroht: die Mädchen und Frauen der Vororte. Insgesamt steigt die Anzahl der Frauen im französischen Fußballverband. Um die Jahrhundertwende herum waren es an die 35.000 lizenzierte Kickerinnen, im Jahr 2016 bereits 103.000. Es ist aber ein Wachstum auf überschaubarem Niveau: Nur ungefähr fünf Prozent der Verbandsmitglieder sind weiblich.
Und gerade in den sensiblen Vierteln ist es schwierig für fußballspielende Frauen: die Kaskade des Mangels – Mangel an Plätzen, Mangel an Trainern, Mangel an Material – schlägt sich dort besonders nieder. Im gesamten Frankreich betreiben 63,7 Prozent der Frauen einen Sport, in sensiblen Vierteln sind es nur 44,2 Prozent.
Es ist nicht nur die Infrastruktur, es kommen auch kulturelle Vorurteile hinzu. Noch immer hält sich die Idee, dass ein Kontaktsport wie der Fußball den weiblichen Körper entfraulicht, dass der eine Brutstätte der Homosexualität sei.
Es fehlen auch wichtige Push-Faktoren: Während eine Karriere als Profisportler für einen jungen Mann in der Banlieue ein lukratives Ziel sein kann, und angesichts der Jugendarbeitslosigkeit nicht einmal der unwahrscheinlichste, ist das Leben einer Profifußballerin in aller Regel prekär. Weltklasse-Spielerinnen verdienen zwischen 120.000 und 150.000 Euro im Jahr, und auch das nur bei den ganz großen Vereinen; also ungefähr das, was ein Drittligaspieler bei den Männern verdient.
In der deutschen Frauen-Bundesliga liegt der Durchschnitt bei 39.000 Euro. Frauensport ist privates Vergnügen, kein Mittel des sozialen Aufstiegs. Hamraoui würde wohl nicht unwesentlich weniger verdienen, wäre sie – wie ihre großen Brüder – in den Bäckereibetrieb der Eltern eingestiegen.
Ganz im Sinne Macrons wird mit Großveranstaltungen die Hoffnung verbunden, der Frauensport würde als Ganzes aufgewertet. Bisher ist diese Hoffnung immer enttäuscht worden. Auch Hamraoui bezeichnet nur Männer als Vorbilder, neben Zidane noch Karim Benzema und Ngolo Kanté. „Gesellschaftlich gesehen ist die Frau nichts ohne den Mann“, schrieb Simone de Beauvoir; der Sport ist dafür ein beredtes Beispiel, immer noch.
Kheira Hamraoui wurde nicht für die WM im eigenen Land nominiert. Schon vor Jahren hatte sie das Turnier als Höhepunkt ihrer Karriere bezeichnet. Aber sie passe nicht in dieses „funktionierende Kollektiv“, hatte die französische Nationaltrainerin Corinne Diacre gesagt.
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