Funkadelic-Mitbegründer gestorben: Auf dem Weg nach Chocolate City
Die Ausbeutungsverhältnisse in geile Songs ummünzen: Bernie Worrell war mit Funkadelic/Parliament musikalisch und textlich im Space-Age zu Hause.
In ihrem Roman „Sehr blaue Augen“ (1970) beschreibt die Nobelpreisträgerin Toni Morrison, wie den Weißen all das, was funky sein könnte, zum Zwecke von Abschottung und Auslese aberzogen wird: „The dreadful funkiness of passion, the funkiness of nature, the funkiness of the wide range of human emotion. Wherever this funk erupts, they wipe it away.“
Bernie Worrell hat Funkiness gewinnbringend angewandt. Der Keyboarder und Streicher-Arrangeur war Mitbegründer jener Band, die den Funk, also die Synthese aus vollfetten Rhythmen, elektrifizierten Sounds und afroamerikanischen Slang-Begriffen schon in ihrem Namen trug: Funkadelic.
Gegründet wurde Funkadelic 1969 von Mitgliedern der Band The Parliaments. Ursprünglich war dies eine Doo-Wop-Gruppe gewesen, die sich bisweilen Parliament nannte, wie die Mentholzigaretten gleichen Namens. Schon Mitte der Sechziger landete sie einige, von Worrell mitkomponierte Hits.
Alles fing an in einem Friseursalon in Patterson/New Jersey, in dem „krause Locken und Gesangsmelodien harmonisiert wurden“, wie der britische Autor Cliff White schreibt. Bald darauf kam mit „Black is beautiful“ größeres Selbstbewusstsein. Die Musiker glätteten ihre Locken nicht mehr und gingen nach Detroit. Funkadelic/Parliament hatten identisches Bandpersonal. Beide waren jeweils mit einem Plattenvertrag ausgestattet: Funkadelic sei die „freaky Herausforderung“ gewesen, und Parliament „ihre benutzerfreundliche Variante“.
Auf der Flucht vor gesellschaftlichen Realitäten
Die USA befanden sich damals in Vietnam im Krieg, es galt allgemeine Wehrpflicht, der man sich entziehen musste. Zu Hause brannten Gettos, die Aufbruchstimmung der Bürgerrechtsbewegung machte einer Resignation Platz. Black Power führte zu noch mehr Gewalt: Galionsfiguren wurden ermordet.
Funkadelic/Parliament war auf der Flucht vor diesen gesellschaftlichen Realitäten, man verteilte die Last auf viele Schultern: Es war ein acht- bis zwölfköpfiges Künstlerkollektiv, das den auf traditionelle Songformen und Musikerrollen basierenden Soul der Sechziger in eine Zukunft brachte, die einflussreich für Prince, aber auch für HipHop werden sollte.
Nicht zu vergessen das „delic“ von Funkadelic: Die Künstler fraßen LSD, trugen Fantasieuniformen und fühlten sich musikalisch und textlich im Space-Age zu Hause. Aus dem Weltraum konnten sie auf die Erde schauen, in einer Mischung aus Abscheu und Belustigung die Macht- und Ausbeutungsverhältnisse in zwingend geile Songs ummünzen, wie etwa auf dem brillanten Funkadelic-Album „Cosmic Slop“ (1973). Dort steht in den Linernotes geschrieben: „TOTAL domination of capital, material, and creature comforts is ruthlessly thought the exploitation of many.“
Stilistisch vielseitig
Worrell komponierte Songs für beide Bands. Stilistisch war er äußerst vielseitig: Am Keyboard, meistens ein Moog-Synthesizer, aber gerne auch an der Hammondorgel oder am Klavier, umkreiste er Soul, Jazz, aber auch den beinharten Boogie-Rock eines Bo Diddley. Seine Streicherarrangements waren süffig; sie bereicherten den Groove ungemein.
Am prophetischsten klingt das auf dem von ihm komponierten Titelsong des Parliament-Albums „Chocolate City“ (1976). Ein Schwarzer wird darin US-Präsident, Aretha Franklin und Stevie Wonder erhalten Ministerposten.
Am Freitag ist Bernie Worrell einer Krebserkrankung erlegen, er wurde 72 Jahre alt. Möge der Funk mit ihm sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“