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Die israelische Band HolocaustsFür immer Punk

Die israelische Punkband Holocausts polarisiert. Ihr Frontmann Roy Elani stößt immer wieder auf Wut und Missverständnisse – auch in Deutschland.

Roy Elani, Sänger der Band Holocausts auf einem Konzert in Jerusalem Foto: Nicolas Potter

Tel Aviv taz | Es ist ein kalter Februarabend in Jerusalem, zwei Grad, doch in einem kleinen Kellerclub namens Pergamon rinnen Schweißtropfen die Wände herunter. „Wir wurden hier in Israel in eine sehr verrottete Realität hineingeboren, oder?“, fragt von der Bühne auf Hebräisch Roy Elani, Sänger der anarchistischen Punkband Holocausts.

Elani ist voller Wut. „Wir leben vom Moment unserer Geburt an und wahrscheinlich bis zu unserem Tod in Existenzangst, sei es Angst vor Terroranschlägen, vor unserer Regierung, vor einem niemals endenden Konflikt“, sagt er in einer seiner leidenschaftlichen Reden während des Konzerts.

Er kritisiert die Knesset, den Gazakrieg, das Gesetz, die Religion und die Polizei, bevor er sich an sein Publikum wendet: „Es ist Zeit, aktiv zu werden … es liegt in euren Händen!“

Dann beginnt der nächste energische Song: Elani grölt, die Band thrasht dazu, das ganze Publikum wird zum Moshpit. Die Songtexte sind kaum zu erkennen, nur einen Refrain kann man raushören: „ACAB“ schreit Elani.

Die 100 Be­su­che­r*in­nen im Publikum schreien zurück. Einer crowdsurft. Treue Fans, die die Band nach dem Konzert in einem Instagram-Beitrag liebevoll als Mehablim bezeichnet, zu Deutsch: Terroristen.

Provokanter Name

Punk lebt von Provokation, von Grenzüberschreitung und Subversion. Was könnte im jüdischen Staat provokanter sein als der Bandname Holocausts? Ein Name, den viele als geschmacklos, manche sogar als holocaustrelativierend und anti­semitisch kritisiert haben.

Zwei Tage nach dem Konzert in Jerusalem sitzt Roy Elani auf einer Bank vor einem selbst verwalteten Konzertraum in Tel Aviv, der auf einem Industrie­gelände unweit der glänzenden Glastürme der israelischen Hightechbranche liegt.

Elani, 27, trägt viele Piercings im Gesicht und mehrere Metallketten am Hals. Über seinem blondgefärbten Iro sitzt eine schwarze Mütze mit verschiedenen Pins, einer ist von dem Berliner Hausprojekt Köpi. Eine dunkelblaue Bomberjacke rundet den Look ab.

Beim Fotoshooting vor dem Interview mit der taz spielt Elani gerne den Clown. Er scherzt, schneidet Grimassen, streckt die Zunge heraus, bohrt mit einem Finger in die Nase. Doch hinter der kampflustigen Fassade steckt ein Mensch, der viel zu sagen hat.

In der israelischen Punkszene ist Elani praktisch groß geworden: Er wuchs in einer konservativen Familie in der Kleinstadt Or Yehuda auf, seine Mutter sei religiös und hat einen irakischen Familienhintergrund, sein Vater sei „ein beschissener Mann“ und habe die Familie verlassen, als Elani noch klein war.

„Das war eine ganz andere Welt“, sagt er. Schon mit 16 zog er aus, nach Tel Aviv, 2014. „Es war nicht leicht“, sagt Elani, der teilweise auf der Straße lebte. Doch in der dortigen Szene fand er schnell eine Ersatzfamilie. Zur Armee musste er trotz Wehrpflicht nicht. „Ich habe ein Drama gemacht: Ich meinte, ich würde sonst mich selbst und auch alle anderen umbringen. Nach anderthalb Stunden Gespräch hat das gereicht.“

Aus der Geschichte lernen

2015 gründete Elani eine Band mit Freunden, seit 2017 heißt sie Holocausts. Sie hat bislang ein Album veröffentlicht und arbeitet aktuell an einem zweiten, spielt regelmäßig kleine Konzerte in Israel, tourt durch Hausprojekte, Punkbesetzungen und DIY-Festivals in Europa.

Bevor man Elani zum Bandnamen fragen kann, redet er ohne Punkt und Komma über die israelische Besatzung in der Westbank, das Leid der Palästinenser, die Gewalt, die der jüdische Staat verübe. Doch auch das hänge mit den Namen Holocausts zusammen, erklärt er.

„Ich werde den Namen nie ändern, nie, nie, nie“, sagt Elani trotzig. „Aber ich will damit nicht provozieren“, betont er. Vielmehr soll der Name eine Anregung zur Kritik sein. „Klar, der Holocaust ist ein Tabuthema hier in Israel. Aber der jüdische Holocaust ist nicht der einzige.“ Wenn der jüdische Staat, gegründet nach der Schoah, Menschen entmenschliche, eine faschistische Regierung unterstütze, so Elani, mache er die gleichen Fehler. „Wir müssen aus der Geschichte lernen, wenn wir menschlich bleiben wollen.“

Der Name provoziert trotzdem, er stößt teilweise auf heftige Kritik. Aufgrund ihres anti­nationalistischen und antipatriotischen Tenors ist die Band nicht überall in Israel willkommen, ihre Konzerte sind überwiegend DIY-Shows in der linken Szene. Auch in den sozialen Medien wird die Band angegriffen, von „Tastaturkriegern“, sagt Elani. Eine seiner leidenschaftlichen Konzertreden wurde ins Englische übersetzt und sorgte in den sozialen Medien für Empörung.

Vor der Performance im Februar im Jerusalemer Konzertkeller tauchten Protestplakate auf: „TLV Punks Fuck Off!!! And take your shitty music with you“, stand da unter einer Karikatur der Band, der vorgeworfen wird, die „politischen Ansichten eines Achtjährigen“ zu haben.

Darüber kann Elani nur lachen. „Ich finde es ziemlich lustig, dass jemand sich mit Photoshop die Mühe gemacht hat, so ein Plakat zu erstellen.“ Die Politik eines Achtjährigen sei, so Elani, vielmehr, Rache zu üben und viele Menschen zu töten. Und da fühlt er sich eher an die aktuelle rechte Regierung in Israel erinnert – „die rechteste, religiöseste, die wir jemals hatten“, sagt er.

In Deutschland fällt die Kritik härter aus, findet Elani. 2023 wurde ein Konzert der Band im kulturellen Zentrum Galle in Halle von den Veranstaltern kurz vorher abgesagt. Grund sei der Bandname gewesen. Laut Elani seien mehrere Punklocations von Aktivisten angeschrieben worden, die gegen ihre Auftritte protestierten. Auf eine taz-Anfrage reagierte das Zentrum nicht.

Eine Ausweichlocation fand die Band damals in Leipzig. Andere Konzerte wie beim Berliner Festival On Fire durfte die Band nur spielen, nachdem sie Stellung zu der Kritik am Bandnamen bezogen hätte, so Elani. Immer wieder muss er vor Konzerten in Europa erklären, wofür der Name aus seiner Sicht steht, sagt er. „Ich bin kein Anti­semit“, kontert er vehement, „ich bin selbst Jude verdammt nochmal“.

Ausgeladen wurde die Band aber auch aus anderen Gründen. Im britischen Manchester sollte Holocausts im vergangenen November in einem Hausprojekt spielen, ehe das Konzert abgesagt wurde, weil die Band aus Israel kommt.

Kein Feigenblatt für Antisemiten

Mit diesem Boykott stimmt Elani nicht überein: „Denn ich finde es wichtig, Stimmen zuzuhören, die sich von innen weigern und Widerstand leisten“, sagt er. Doch die Gründe dafür kann er verstehen. „Ich bin weder sauer noch traurig.“

Elani will kein Feigenblatt für Antisemiten sein. Er lehnt zwar die israelische Regierung und die Flagge, den Patriotismus und den Gazakrieg entschieden ab, doch das Land Israel-Palästina – nicht der israelische Staat – und all seine Menschen liebt er, wie er sagt.

Der 7. Oktober habe Elani sehr betroffen, erzählt er. Er habe beim Hamas-Angriff mehrere Freunde verloren, auch beim Nova-Festival.

„Ich will Frieden für Israel-Palästina sehen, für meine Community, aber auch für alle Menschen.“ Als Punk in Israel für seine Werte einzustehen, sei nicht leicht, sagt Elani. „Es bedeutet vor allem Scheiße zu fressen, zu leiden. Es bedeutet aber auch, aktiv werden zu müssen.“

Elani ist durchaus aktiv. Er zeichnet Zines, spielt in mehreren Bands (eine weitere heißt Alien Fucker), veranstaltet Konzerte und Festivals, organisiert Soliaktionen für Palästinenser in der Westbank und Gaza. Im Februar 2025 erschien die internationale Punkcompilation „Pomegranate Seeds“ mit einem Holocausts-Song, deren Erlöse an die Gaza Soup Kitchen gespendet wurde.

Elani betreibt als Teil eines Kollektivs auch den Tel Aviver Eventraum, vor dem das Gespräch stattfindet. Am Eingang steht ein alter Kühlschrank voller Discounter-Bier, drinnen, hinter der kleinen Bühne, prangen in LED-Lichtern die Worte „chra lehaka“ – Hebräisch für „Scheißband“. Elani lacht, als sei er besonders stolz über diesen Witz.

Der Ort ist eine wichtige Anlaufstelle für die Szene, hier finden fast jede Woche Konzerte mit lokalen Punkbands statt. Weder den Namen noch den genauen Ort will er in der Zeitung veröffentlicht wissen, denn ganz legal sei das DIY-Projekt nicht, erklärt er.

„Ich mache das alles ehrenamtlich für die Community“, sagt Elani, der nebenbei in einer Bar und einem Restaurant jobbt, um über die Runden zu kommen. „Auch in Israel-Palästina hier brauchen wir eine Kultur der Solidarität.“

An dem kalten Februar­abend in Jerusalem hat das Holocausts-Konzert tatsächlich so etwas wie ein warmes Familiengefühl: Unter den jungen Gästen scheint jeder jeden zu kennen, verbunden durch eine rebellische Gegenkultur zur israelischen Mainstream-Gesellschaft.

Nach dem Auftritt wirkt Elani erschöpft und euphorisch zugleich. Als fühlte er sich in diesem kleinen, verschwitzten Konzertkeller ganz und gar zu Hause.

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3 Kommentare

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  • Also eine deutsche Punkband die sich Holocausts nennen würde, fände ich ja noch einen Tacken provokanter als eine israelische, aber Hut ab.

  • Ein sehr mutiger Mann – da kann man nur den Hut ziehen.



    Auch ein herzlicher Dank an Herrn Potter für diesen Artikel.

    Leider ist die linke Szene in Israel kaum noch vorhanden. Umso wichtiger ist es, den wenigen verbliebenen kritischen Stimmen Aufmerksamkeit zu schenken und ihnen eine Plattform zu bieten.

  • „Wir leben vom Moment unserer Geburt an und wahrscheinlich bis zu unserem Tod in Existenzangst, sei es Angst vor Terroranschlägen, vor unserer Regierung, vor einem niemals endenden Konflikt“

    Jo. Das ganze Drama der Menschen in Nahost simpel auf den Punkt gebracht. Und genau deswegen: Macht weiter so und gebt ein Schß drauf, was irgendwelche ideologischen Betonköppe und Sesselpupsaktivisten in euch sehen wollen.