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Für eine Achtsamkeit des DenkensWeniger Meinung, mehr Denken!

Denken ist eine natürliche, jedoch bedrohte Ressource – manipuliert, eingeschränkt, durch Meinung ersetzt. Wir brauchen eine Ökologie des Denkens.

Charlie Chaplin in der Pose von Rodins Denker, 1925 Foto: Bettmann/getty

M an könnte ja einmal – es ist schließlich Ferienzeit, man hat etwas Zeit – die Behauptung aufstellen, das Denken gehöre zur menschlichen Natur. Dazu wiederum gehöre, logisch, auch Denken über das Denken. Was zur Hölle ist eigentlich dieses Denken, von dem wir gerade argwöhnen, es könne uns von Maschinen abgenommen werden?

Allgemein gilt als Denken eine besondere Art von Informationsverarbeitung, die in einem menschlichen Gehirn stattfindet, das sich in einem menschlichen Körper befindet, der sich wiederum sowohl in einer Biografie als auch in einer Gesellschaft bewegt, die sich wiederum aus zahlreichen Biografien und Körpern mit Gehirnen zusammensetzt, die sich gelegentlich mit dem Gedanken tragen, Denken zu riskieren. Schließlich hat man noch dieses „Ich denke, also bin ich“ im Kopf, und wer, bitte schön, möchte denn nicht sein? Irgendwie.

Intelligenz wäre dann die Fähigkeit, das Denken zu praktizieren (oder es taktisch sein zu lassen) und ihm zugleich Struktur, Wert und Bedeutung zu geben. Ist Denken Arbeit, Spiel, Lust, Pflicht (sogar Zwang), Talent oder Disziplin? Und wer kann, will, soll, muss, darf und wird denken? Man hat noch gar nicht angefangen mit dem Denken, schon wird es einem unheimlich.

Das Problem mit dem Denken ist, dass es anstrengend sein kann. Außerdem weiß man nie so recht, wohin es führt. Deswegen machte sich, als der erste Mensch mit dem leidigen Denken anfing, der zweite vermutlich sogleich Gedanken darüber, wie man dieses Denken kontrollieren, beeinflussen, begrenzen und möglicherweise sogar ausnutzen kann. Mit dem Denken kommt die Unruhe in die Welt. Wenn es nicht irgendwas mit Sex zu tun hat, dann hat es wohl mit dem Denken zu tun, dass die Menschen aus dem Paradies vertrieben wurden. Vielleicht gibt es sogar eine dialektische Beziehung zwischen beidem; dem Denken und dem Sex.

Denken als Arbeit und Privileg

Was aber übrig blieb, nach der Vertreibung aus dem Paradies, war die Arbeit. Das menschliche Denken wurde somit zur Arbeit, mit Konkurrenz, Entfremdung, Ausbeutung, Profit, Karriere, Gewalt, also das Gegenteil von Freiheit. Herrschaft bedeutet, alles Denken auf ein Ziel richten zu können, Macht bedeutet, Denken im eigenen Interesse regulieren und manipulieren zu können. Dazu gehört nicht zuletzt, Denken zum Privileg zu machen.

Früher, als bekanntlich doch nicht alles besser war, behauptete in aller Regel eine schmale Schicht – meist männlich, weiß, alt und „vermögend“ – dass das Denken vernünftigerweise ausschließlich in diesem Kreis stattzufinden habe. Sklaven, Frauen, Kinder, Fremde, Proleten und Habenichtse seien prinzipiell zum Denken unfähig. Fingen sie doch an zu denken, müsse man es ihnen mit möglichst drastischen Mitteln austreiben. So einfach ist das heute natürlich nicht mehr. Aber: Ist das Denken wirklich demokratisiert? Oder gibt es immer noch Szenen, Milieus, Strukturen etc., die den einen das Denken zuordnen und den anderen absprechen?

Der Widerspruch zwischen Denken und Macht ist unauflöslich. Wo gedacht wird, kann nicht unbegrenzt geherrscht, ausgebeutet, betrogen, vernichtet werden. Die Grundlage von Macht ist die Fähigkeit, sich das Denken untertan zu machen. Heißt: das Nutzbringende zu verwenden, das Störende abzuschaffen. (Aha, denkt man gleich: Daher weht der KI-Wind!)

Zur Abschaffung des Denkens dienen vornehmlich drei Instrumente: Gewalt (Zensur und Gefängnis), Lebensweise (man muss sich nicht zu Tode arbeiten oder amüsieren, es genügt, zu müde zum Denken zu sein) und Ideologie. Letztere organisiert das tief sitzende und auch nicht wirklich grundlose Misstrauen gegen das Denken. Entfernt es sich nicht vom richtigen Leben? Ist es nicht „kalt“ und „abstrakt“? Erzeugt es nicht immer wieder aus der Avantgarde die Elite, und sei es in Form akademischer Fundamental-Schnösel, die nicht müde werden zu erklären, dass das Denken außerhalb des Campus tunlichst zu unterlassen sei? Denken muss man sich leisten können, so fängt das an.

Spezialisten des Denkens: die „Experten“

Mit der exponentiellen Vermehrung des Wissens muss sich wohl oder übel auch das Denken beschleunigen. So sehr, dass es schließlich nur noch von Spezialisten bewerkstelligt werden kann, denen man den Namen „Experten“ gibt. Ein Intellektueller ist ein Mensch, der seine Mitmenschen zum Denken anregen will; ein Experte ist ein Mensch, der seinen Mitmenschen das Denken abzunehmen verspricht. Dass unsere Kultur die Experten liebt und die Intellektuellen hasst, bedeutet also … kann man mal drüber nachdenken.

Glücklicherweise erzeugte die moderne Gesellschaft aber auch Ersatz für das Denken. Man nennt das: eine Meinung haben. Die Rolle des Denkens beim Meinung-Haben nimmt, wie es scheint, rapide ab. Parallel zur Rolle von Faktizität, Logik, Common Sense. Die libertäre Vorstellung von Freiheit besteht darin, dass jede und jeder seine Meinung als Waffe im sozialen Hegemonie-Kampf einsetzen darf. Möglichst laut, drastisch und obszön. Darin gerinnen Restdenken, Biografie, Interesse und Wahn zum Spektakel. Wer eine Meinung hat, braucht sich mit dem Denken nicht mehr lange aufzuhalten. Das Denken selbst ist zu einem Produktionsmittel für Meinungen verkommen. Selbst jene, die berufsmäßig für öffentliches Denken zuständig wären, die Intellektuellen und, nun ja, Philosophen, treten nur noch als Meinungs-Kasperle der Medien auf.

Kehren wir also der Ökonomie des Denkens den Rücken und widmen uns einer Ökologie des Denkens, nämlich als einer natürlichen, von Zerstörung und Vergiftung bedrohten Ressource. Dann gälte es, wie im Slow Food zu einer Achtsamkeit der Nahrung, im Slow Travelling zu einer Achtsamkeit des Reisens, im Slow Thinking zu einer Achtsamkeit des Denkens zu finden. Das Denken würde vielleicht zu seiner natürlichen Würde zurückkehren. Über so etwas jedenfalls könnte man mal nachdenken, weil, wie gesagt, man hätte ja gerade ein bisschen mehr Zeit.

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5 Kommentare

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  • & nochens & wir grad am Goedeln am dran

    Bei Heinz von Foerster - wie könnt es anders sein - findet sich eine ähnlich denkwürdige Geschichte.



    Bei nem bekannten Physiker zum Essen eingeladen. Sohnemann kommt nachhause. Muffelt rum.



    Auf Nachfrage: die Mathematiklehrerin sei ne blöde Ziege (NaNa!) Doch - 3 + 4 gäbe? 7 klar. Was denn noch 7 ergäbe?



    Na 4+3! Er soll hier nicht rumkaspern!



    Die Altgesellen fangen schallend an zu lachen! Weil?



    Wenn ich’s recht erinner: Diese Art der Umkehrung ist eines der Grundtheoreme der Mathematik.



    Womit wir wieder beim Weltall der Dummheit der Unendlichkeit & Albert Einstein wären - 👅 - denk ich mal.

  • Ja. Mein mal so: Würde - hier gar gleich 2x;) - ist unfaßbar! Denn.



    ”Das Denken würde vielleicht zu seiner natürlichen Würde zurückkehren. Über so etwas jedenfalls könnte man mal nachdenken, weil, wie gesagt, man hätte ja gerade ein bisschen mehr Zeit.“ Schonn. Ergo - “Denken ohne Geländer“



    Meint Hannah Arendt & Volkers 👄 ?



    Däh! “Denke nie gedacht zu haben. Denn das Denken der Gedanken ist gedankenloses Denken!“ - 🙀🥳😜🫣🙈🙊🙉 - 🐵 - Denn.



    “Der Mensch zerfällt in zwei Teile: in einen männlichen, der nicht denken will, und in einen weiblichen, der nicht denken kann.“ - Tucho - 🙀🥳😈 -

    kurz - a 🥱 “Über so etwas jedenfalls könnte man mal nachdenken, weil, wie gesagt, man hätte ja gerade ein bisschen mehr Zeit.“ Woll.



    & Däh. “Beide haben sogenannte Gefühle: man ruft diese am besten dadurch hervor, daß man gewisse Nervenpunkte des Organismus funktionieren läßt. In diesen Fällen sondern manche Menschen Lyrik ab.“

    unterm——der Mann mit 5 PS —-



    de.wikisource.org/...Mensch_(Tucholsky)



    Sorry & mit Verlaub! Mein ja nur •

    • 9G
      95820 (Profil gelöscht)
      @Lowandorder:

      Hans Magnus Enzensberger



      Hommage an Gödel



      Münchhausens Theorem, Pferd, Sumpf und Schopf,



      ist bezaubernd, aber vergiss nicht:



      Münchhausen war ein Lügner.



      Gödels Theorem wirkt auf den ersten Blick



      Etwas unscheinbar, doch bedenk:



      Gödel hat recht.



      "In jedem genügend reichhaltigen System



      lassen sich Sätze formulieren,



      die innerhalb des Systems



      weder beweis- noch widerlegbar sind,



      es sei denn das System



      wäre selber inkonsistent."



      Du kannst deine eigene Sprache



      in deiner eigenen Sprache beschreiben:



      aber nicht ganz.



      Du kannst dein eigenes Gehirn



      mit deinem eigenen Gehirn erforschen:



      aber nicht ganz



      Usw.



      Um sich zu rechtfertigen



      muss jedes denkbare System



      sich transzendieren,



      d.h. zerstoeren.



      "Genügend reichhaltig" oder nicht:



      Widerspruchsfreiheit



      ist eine Mangelerscheinung



      oder ein Widerspruch.



      (Gewissheit = Inkonsistenz)



      Jeder denkbare Reiter,



      also auch Münchhausen,



      also auch du bist ein Subsystem



      eines genügend reichhaltigen Sumpfes.



      Und ein Subsystem dieses Subsystems



      Ist der eigene Schopf,



      dieses Hebezeug



      fuer Reformisten und Lügner.



      In jedem genügend reichhaltigen System



      also auch in diesem Sumpf hier,



      lassen sich Saetze formulieren,



      die innerhalb des Systems



      weder beweis- noch widerlegbar sind.



      Diese Sätze nimm in die Hand



      Und zieh!



      Gut gemeint…



      ------------------------------------------

      • @95820 (Profil gelöscht):

        Danke & Reminiszenz

        Nahm einst Goedel Escher Bach zur Hand & fand - zu Paradox & Goedel:



        “Alle Kreter lügen“. So Sachen.



        Und wie sich Dinge fügen =>



        Dachte & fiel mir ein - werde 13 - 14 gewesen sein!

        Der tumbe Pauker - der versuchte mich lächerlich zu machen -



        Glaubte er doch - das hohle Loch 🕳️



        Du brauchst doch nur zu fragen:



        “Was würde denn ein Kreter sagen?“



        Und - wichtig wichtig wichtig -



        “Das Gegenteil ist dann richtig!“



        Ich aber dachte lachte und sachte:



        “Das ist doch Unsinn. Er denkt - daß du denkst - daß ich denke usw usfort!“



        & sachte:



        “Das ist nicht aufzulösen!“ Was ein Tort!

        kurz - Ja. Mit so Sachen - brachten -



        Schon immer Pauker die nicht dachten -



        Mich - Zum Lachen •

        unterm—-btw but not only —-



        Goedel - Brillengläser wie Glasbausteine



        War damals 23 - 🙀🥳 -



        Und sein Freund Albert Einstein 👅



        Forderte schon 1914 - den Unsinn Abi -



        Abschaffen!



        Statt drei Jahre Gelerntes Wiederkäuen!



        Fürs Moment des Abfragens beim Abi!



        Lieber - Ständig in einer der besten Lernphase des Menschen -



        Ständig neues lernen! But.



        Tucho “So siehste aus!“ Was ein Tor!



        Da waren natürlich bis heute nicht nur die Persetter Steißtrommler Pauker vor!



        Denken! Woll



        Und dem elend schnöden öden - Verwertungsinteresse. Voll!



        Was über die Fresse.



        Wär schoon toll •

  • "Mit dem Denken kommt die Unruhe in die Welt. Wenn es nicht irgendwas mit Sex zu tun hat, dann hat es wohl mit dem Denken zu tun, dass die Menschen aus dem Paradies vertrieben wurden."

    Eva stiehlt die verbotene Frucht bekanntermaßen vom "Baum der Erkenntnis". Die Vertreibung aus dem Paradies ist die Strafe für die Weigerung sich mit dem Dogma zufriedenzugeben, also für das Streben nach Mündigkeit.



    Man wird vielen Menschen dennoch nicht vorwerfen können, dass sie nicht ihr Möglichstes tun um die Gnade des heiligen Vaters zurückzugewinnen. Der Dogmatismus ist in Zeiten, in denen alle Erkenntnis relativistisch in Meinungen aufgelöst wird (was nach Kant genau dasselbe ist wie Dogmatismus, weil das denkende Subjekt dabei gar nicht mehr vorkommt, wenn alles irgendwie zugleich wahr und unwahr ist), weiterhin schwer in Mode.



    Mündigkeit wäre zwar die notwendige Vorbedingung um die Einrichtung der Gesellschaft einigermaßen erträglich zu gestalten, die ist aber nicht wirklich en vogue, das wird nur anders gerechtfertigt als früher. So haben etwa die postmodernen Romantiker, die im Namen der Toleranz ihren Frieden mit dem Mythos gemacht haben und inzwischen beim Thema "Emanzipation" den Ton angeben, für Denken im emphatischen Sinne - mit anderen Worten: Kritik - nicht allzu viel übrig.