Fünf Jahre nach Pandemiebeginn: „Ich fühlte mich verraten von den Erwachsenen“
Einsamkeit, Frust, Zusammenhalt: Sieben Jugendliche erzählen, wie sie auf die Coronazeit zurückblicken – und was sie daraus heute noch beschäftigt.
Unsere ersten Teenage-Geburtstage konnten wir nicht feiern
D er erste Lockdown begann, als ich 12 Jahre alt war. Zunächst war die Situation aufregend und spannend – es war natürlich auch „cool“, keine Schule zu haben, aber umso länger es sich zog, desto ernster wurde es. Einerseits empfand ich den Lockdown als eine kleine Pause vom alltäglichen Leistungsdruck. Ich fand viel mehr Zeit für mich, hatte Ruhe zu lesen oder zu entspannen. Und ich lernte viel über digitale Medien.
Doch ich habe auch viel verpasst: Vor allem in Fächern wie Mathe war es um einiges schwieriger, den Stoff alleine zu Hause zu verstehen. Die verpassten Chancen beschränkten sich natürlich nicht nur auf die Schule: Meine besten Freundinnen und ich konnten unsere ersten Teenage-Geburtstage nicht miteinander feiern oder unsere Großeltern besuchen. Eine Enttäuschung, über die wir bis heute sprechen, ist die ausgefallene Ski-Klassenfahrt, die nie nachgeholt wurde. Durch Corona habe ich gelernt, „normale“ Dinge wie Freund:innen treffen mehr wertzuschätzen, doch dafür musste ich zuerst erleben, wie es ist, das zu verlieren.
Stina Uebe, 17 Jahre
Superspreader. Impfdurchbruch. Impfneid. Herdenimmunität. Geisterspiele. Osterruhe. 1G. 2G. 3G plus. Maskenmuffel. Booster. Helden des Alltags. Covidioten. Na, was geht in Ihnen vor, wenn Sie diese Begriffe lesen? Beklemmung, Abwehr – oder etwa Nostalgie? Der Beginn der Covid-19-Pandemie jährt sich zum fünften Mal, und während die taz-Redaktion normalerweise sehr begeisterungsfähig ist für Sonderseiten zu Jahrestagen aller Art, liefen die ersten Planungsrunden hier eher schleppend an.
Corona? Danke nein, da halten die Leute am Kiosk ganz freiwillig mindestens anderthalb Meter Abstand. Zu nah, zu schmerzhaft, zu kacke war diese Zeit, die Lücken in Familien und Freundeskreise riss, weil jemand starb oder sich abwandte. Die nachweislich bei vielen Spuren in der Psyche hinterließ, insbesondere bei jungen Menschen. Die Krankheitsverläufe hervorbrachte, die den Alltag vieler Menschen auch heute noch massiv einschränken.
Wie also würdigen, dass fünf Jahre vergangen sind – so, dass man es auch lesen will? In Brainstormingrunden kamen wir auf die wildesten Ideen. Wie wär’s denn mit Corona-Sonderseiten, auf denen wir Corona nicht erwähnen? Alles irgendwie auf der Metaebene verhandeln, mit einer Reportage aus einem Ort, an dem es Corona nie gab (dem polynesischen Inselstaat Tuvalu zum Beispiel) oder ein Interview mit Christian Drosten führen, aber übers Fliegenfischen und die Trendfarbe der Saison (ein warmer Braunton).
Wir haben Christian Drosten dann tatsächlich angefragt – nachdem wir eingesehen hatten, dass die Pandemie ausreichend offene Fragen hinterlassen hat, um sich in einem Dossier ernsthaft mit ihr zu beschäftigen. Und so spricht unsere Gesundheitsredakteurin Manuela Heim mit Deutschlands bekanntestem Virologen über im Labor erzeugte Viren und warum zu seiner Verwunderung auch 2025 noch immer kein Beleg dafür vorliegt, dass die Pandemie einen natürlichen Ursprung hatte.
In einer langen, sehr persönlichen Reportage erzählt unsere Kollegin Shayna Bhalla von ihrer Long-Covid-Erkrankung, die Anfang 2022 begann, als die Menschen um sie herum langsam wieder in Clubs oder auf Reisen gingen. Mit Anfang 20 musste sie lernen, dass Belastung bedeuten kann, sich die Haare zu kämmen. Und dass sie diese Ungewissheit in ihrem Leben so schnell nicht loswird.
Eiken Bruhn beschäftigte sich während der Pandemie viel damit, was dieses Virus gesellschaftlich so anrichtet – und fragt sich heute, ob sie selbst damals zu vorschnell vermeintliche Lösungen herbeischrieb. Ihr Text ist ein Plädoyer, dem Gegenüber zuzuhören – und wirklich verstehen zu wollen, warum jemand denkt, wie er denkt.
Unsere Kolumne „Starke Gefühle“ übernehmen diese Woche sechs Schülerpraktikant:innen. Sie berichten von techniküberforderten Lehrer:innen, von ausgefallen Skifreizeiten, von Einsamkeit, aber auch von Zusammenhalt trotz Lockdowns. Gleich daneben steht die Antwort auf die Kinderfrage einer Zehnjährigen, ob Corona denn jetzt schlimmer als die Pest war.
Und schließlich erklärt Lukas Heinser, was alles Schönes von der Pandemie geblieben ist. Vom In-die-Armbeuge-Niesen über Desinfektionsspender-Mahnmale bis hin zu „Stand jetzt“ – der Formulierung, die jede mittel- bis langfristige Planung infrage stellt, die uns zeigt: Alles ist Gegenwart, alles kann sich sofort und vollständig verändern.
Wir wünschen Ihnen eine gute Lektüre, und: Bleiben Sie gesund! Leonie Gubela
Zum Glück fiel der Schüleraustausch nach Frankreich aus
Wenn ich an die Coronazeit zurückdenke, denke ich vor allem an Einsamkeit. Für mich bedeutet der Lockdown, alleine Serien auf dem Laptop zu schauen, mich während des Online-Unterrichts anderweitig zu beschäftigen und die Arbeitsaufträge der Lehrer*innen zu ignorieren.
Immerhin ist bei mir kein wichtiges Schulevent ausgefallen. Wir hatten unsere Skifahrt der siebten Klasse wenige Wochen vor dem Beginn des Lockdowns, und wenn ich an meine Sprachkenntnisse denke, habe ich vermutlich Glück gehabt, dass der Schüleraustausch nach Frankreich nicht stattgefunden hat. Andererseits – mein mangelndes Französisch könnte natürlich auch am Lockdown liegen.
Emil Schleyer, 18 Jahre
Beim Homeschooling habe ich mir selbst enormen Druck gemacht
Als bekanntgegeben wurde, dass es einen Lockdown geben wird und wir nicht mehr zur Schule gehen dürfen, war ich in der vierten Klasse. Doch was ist ein Lockdown? Wie lange wird das dauern? Was wird passieren? Fragen über Fragen, die mir niemand beantworten konnte. Gerade am Anfang des Homeschoolings habe ich mich sehr alleingelassen gefühlt. Meine Eltern mussten arbeiten und ich meinen Schulalltag komplett selber gestalten, mir den Stoff selber beibringen.
Besonders ältere Lehrkräfte, die sich nicht gut mit Technik auskannten, hatten Schwierigkeiten. Meiner Meinung nach gab es viel zu wenig Schulungen und Fortbildungen für Lehrer:innen, um uns in dieser schwierigen Zeit zu unterstützen. Am Anfang jeder Woche habe ich einen Plan von meiner Klassenlehrerin bekommen, welchen Stoff ich zu bearbeiten habe. Mehr nicht. Vieles blieb ungeklärt und irgendwann habe ich angefangen, mir selber enormen Druck zu machen. Doch ich gewöhnte mich an dieses neue System, irgendwann war es mein Alltag.
Feline Grafschmidt, 14 Jahre
Aus Solidarität lief ich drei Kilometer zur Schule, hin und zurück
Ich war 9 Jahre alt, in der vierten Klasse und kurz davor aufs Gymnasium zu wechseln. Den ersten Lockdown nannten wir Coronaferien und waren glücklich, nicht mehr in die Schule gehen zu müssen. Aber ich erinnere mich auch, dass ich große Angst hatte. Ich habe Familie in Italien – von dort hörten wir erschreckende Dinge. Ich hatte Angst, dass meine Mutter krank werden würde, und was dann mit mir passieren würde.
Am Anfang der Maßnahmen bewegte mich, dass alle Menschen in meinem Umfeld sich Gedanken umeinander machten, um Corona zusammen zu besiegen. Und ich war ein Teil davon.
Als der erste Lockdown aufgehoben wurde, lief ich jeden Morgen von Kreuzberg bis nach Mitte zu Fuß zur Schule, drei Kilometer hin und zurück. Ich stand extra früh dafür auf und tat das mit dem Gedanken, andere zu schützen. Doch meine Freund*innen und ich waren wütend, als wir Menschen sahen, die Masken verweigerten, weil sie keine Lust hatten, etwas an ihrem Leben zu ändern. Ich fühlte mich verraten von den Erwachsenen. Zum ersten Mal. Das wiederholt sich gerade beim Kampf gegen den Klimawandel.
Der Wechsel aufs Gymnasium verlief dann auch nicht gut. Wir hatten keine Abschlussfeier, keine Einschulung, keine Kennlernfahrt. Ich weiß, dass die Coronapandemie uns alle verändert hat. Für mich bleibt ein Gefühl der Überforderung, von Angst, aber auch des Zusammenhalts.
Noa Albrecht, 14 Jahre
Ich würde viel dafür geben, so was nicht nochmal zu durchleben
Im Gegensatz zu einigen Freunden habe ich mich damals nicht gefreut, dass jetzt erst mal die Schule ausfällt. Ich dachte direkt an meine Leidenschaft, den Fußball. Ich war wütend, wusste aber, dass wir unsere Mitmenschen schützen mussten. Rückblickend wären solche harten Maßnahmen vielleicht nicht nötig gewesen, doch dadurch habe ich auch gelernt, die Zeit, die ich mit Freunden oder beim Fußball habe, mehr wertzuschätzen.
Wenn ich an Corona zurückdenke, habe ich zwar nicht das Gefühl, dass mir irgendetwas fehlt, aber ich würde vieles dafür geben, so eine Zeit nicht nochmal zu durchleben. Trotzdem denke ich, dass es mich im Vergleich zu anderen noch harmlos getroffen hat.
Dabei denke ich vor allem an junge Erwachsene, die alleine gewohnt haben oder Leute, die nahestehende Personen verloren haben.
Antxon Lekue Gläser, 14 Jahre
Die meiste Zeit saß ich in meinem Zimmer vor dem Bildschirm
Keine Schule, keine Treffen mit Freunden, keine regelmäßigen Aktivitäten, die mich abgelenkt und motiviert haben – so habe ich die Pandemie erlebt. Anfangs dachte ich, es wäre vielleicht eine kurze Pause vom Alltag, aber schnell wurde mir klar, dass diese Auszeit länger dauern würde.
Die meiste Zeit saß ich zu Hause, in meinem Zimmer, vor dem Bildschirm – ob für Online-Schulstunden oder um mit Freunden zu schreiben. Der direkte Kontakt fehlte mir. Auch meine schulischen Leistungen haben darunter gelitten. Ich hatte oft das Gefühl, nicht richtig dabei zu sein. Es war schwierig, mich zu motivieren – und zu einfach, alles zu verschieben oder zu ignorieren.
Ich bin aber der Meinung, dass diese Zeit keine schlimmen Folgen für mich hatte. Ich habe immer noch meine Freunde und Hobbys. Es war für mich auch nicht so schwierig, nach dem Lockdown wieder in den Alltag zurückzukehren.
Nikita Blau, 16 Jahre
Ich möchte diesen Film nie wieder sehen
Im ICE, auf dem Weg zur Toilette, fällt mir eine junge Frau auf. Sie und die Person auf dem Platz neben ihr tragen FFP2-Masken. Dieser Anblick katapultiert mich in die Vergangenheit: Frühjahr 2021, schriftliche Abiklausuren, fünf Stunden Konzentration mit Maske. Danach Treffen auf dem Sportplatz, anderthalb Meter Abstand, im Kreis sitzen, Falafel essen. Maske auf, in die S-Bahn steigen, aussteigen, Maske ab.
Aus der heutigen Perspektive kommt mir das alles absurd vor. Ich habe das Gefühl, in einer surrealen Parallelwelt gelebt zu haben, in der es normal war, über Infektionsraten zu sprechen und „medizinische Mund-Nasen-Bedeckungen“ zu tragen. Die Pandemiejahre verschwimmen zu einem dystopischen Film, den ich nie wieder sehen will. Nicht mal während einer langen ICE-Fahrt.
Leonore Kogler, 20 Jahre
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