Fünf Jahre AfD im Abgeordnetenhaus: Milchglas und Rechtspopulismus
Die AfD hat den Ton im Abgeordnetenhaus rauer gemacht. Dagegen helfen konsequente Ausgrenzung, Konfrontation – und eben Milchglas.
Die Linksfraktion hat die undurchsichtige Folie dort anbringen lassen. Sie will verhindern, dass die AfD sehen kann, wer bei der Linken über den Flur läuft. Das Milchglas ist gewissermaßen der physische Ausdruck einer veränderten politischen Kultur im Abgeordnetenhaus. Die AfD sitzt seit 2016 in Berlins Parlament, und seither hat sich einiges verändert. Wenn man sich mit Abgeordneten verschiedener Fraktionen im Berliner Parlament unterhält, wird klar: Der Ton hier ist rauer geworden.
Übereinstimmend erzählen Abgeordnete verschiedener Fraktionen, dass die AfDler an parlamentarischer Arbeit nicht wirklich interessiert seien und im Abgeordnetenhaus im Wesentlichen nur für ihre Social-Media-Kanäle performen, um Ausschnitte von Reden für die Selbstinszenierung zu nutzen. Auf Twitter und Facebook hat die AfD zudem verschiedene Kampagnen orchestriert, die zielgerichtet gegen Abgeordnete diverser Fraktionen hetzten.
Natürlich ist das auch im Plenum spürbar: Die linke Fraktionsvorsitzende Anne Helm, die bereits vor ihrem Einzug ins Abgeordnetenhaus im Fokus rechter Hetzer und Neonazis stand, sagte der taz: „Im Plenum hat man das Gefühl, man redet gegen eine Pegida-Demonstration an.“ Besonders häufig gebe es Verbalattacken gegen weibliche Abgeordnete in demütigender Absicht. Während der Reden komme es zu Kussgeräuschen, Gesten und sexistischen Kommentaren. Helm sagt, sie halte dennoch nichts davon, so etwas komplett zu ignorieren: „Widerspruch muss dauerhaft deutlich sein, sonst schreitet eine Normalisierung voran, die gefährlich ist.“
Unterschiedlicher Umgang mit der AfD
Der Umgang mit dem martialischen Auftreten, rassistischen Reden und persönlichen Diffamierungskampagnen ist dabei durchaus unterschiedlich. Auch hier im Parlament gibt es jene, die auf strikte Ausgrenzung und Konfrontation setzen, und solche, die sich zwar von der AfD abgrenzen, sie aber dennoch „in einer harten und fairen Auseinandersetzung argumentativ stellen wollen“, wie es etwa Burkard Dregger von der CDU der taz sagt. Damit die AfD sich nicht als ausgegrenztes Opfer stilisieren könne. Die Brandmauer zur AfD stehe aber selbstverständlich, wie Dregger zusichert, man würde mit der AfD keine gemeinsamen parlamentarischen Initiativen ergreifen.
Allerdings weisen Abgeordnete anderer Fraktionen auch darauf hin, dass sich die CDU teilweise in bestimmten Ausschüssen gar nicht so schlecht mit der AfD verstehe. Nach dem Untersuchungsausschuss Hohenschönhausen etwa dankte die AfD der CDU für die gute Zusammenarbeit – auch wenn die CDU nichts davon wissen wollte und das zurückwies. Thematisch gibt es in manchen Bereichen allerdings Überschneidungen – hinzu kommt, dass auf der gesamten rechten Seite des Parlaments kaum Frauen sitzen: Sowohl in der CDU als auch in FDP und AfD sind bis auf wenige Ausnahmen nur Männer.
„Die Brandmauern sind nicht immer so hoch, wie man sich das wünschen würde“, sagt June Tomiak von den Grünen, Sprecherin für Strategien gegen Rechtsextremismus. Am Anfang der Legislatur habe es Versuche gegeben, einen demokratischen Konsens im Abgeordnetenhaus zum Umgang mit der AfD zu verabreden – auch mit CDU und FDP. Einen Konsens zum Umgang fanden schließlich aber nur die Fraktionen von Rot-Rot-Grün.
June Tomiak, Grüne
Auch Tomiak hat schon Diffamierungen im Netz erlebt und klagte etwa erfolgreich gegen Gunnar Lindemann, Querdenken-naher Abgeordneter aus Marzahn. Nachdem Lindemann einer einstweiligen Verfügung Tomiaks nicht nachkam, ein Twitter-Post mit Falschbehauptungen zu löschen (er hatte geschrieben, sie werfe Steine auf einer Demo), musste er eine Vertragsstrafe zahlen. Tomiak tritt jetzt in dessen Wahlkreis Marzahn-Hellersdorf direkt gegen ihn an: „Um Paroli zu bieten gegen Lindemann und gegen die AfD insgesamt, auch in ihren Hochburgen“, sagt sie.
Zwischenrufe unter der Gürtellinie
Im Plenum nehme auch Tomiak ein stetiges „Blöken“ aus der AfD-Fraktion wahr, wenn sie rede. Bei ihr zielten die AfDler*innen meist auf das Alter, wie sie sagt. Die Zwischenrufe unter der Gürtellinie waren mehrfach Thema im Ältestenrat. Tomiak ist mit 24 Jahren die jüngste Abgeordnete im Parlament. Insgesamt sei der Umgang der demokratischen Fraktionen mit der AfD allerdings gut, so Tomiak. Aber CDU und FDP vergäßen oft im Umfang mit der AfD, „was der Unterschied zwischen demokratisch gewählt und demokratisch ist“.
Übereinstimmend von mehreren Fraktionen heißt es, dass die eigentliche parlamentarische Arbeit in den Ausschüssen der AfDler*innen eher Arbeitsverweigerung gleichkomme. Einige Anträge hat die AfD sogar nachweislich abgeschrieben. In manchen Ausschüssen ließen sich AfDler eher unregelmäßig blicken. Übereinstimmend berichten Abgeordnete verschiedener Fraktion etwa davon, dass die AfD im Untersuchungsausschuss zum Anschlag am Breitscheidplatz häufig durch Abwesenheit glänzte.
Benedikt Lux, Innenpolitiker der Grünen, sagte dazu: „Ich weiß dabei nicht, was mir lieber ist: ein fauler oder ein fleißiger Rechtsextremer.“ Bei der Berliner AfD habe es sich definitiv um die faule Abgeordnete gehandelt, die Qualität von Anfragen, Anträgen und Wortbeiträgen sei teilweise unter aller Kanone gewesen. „Ich schätze den argumentativen Austausch mit Konservativen im Ringen um bestmögliche Politik“, sagt Lux, aber man merke: Der AfD gehe es nicht um einen demokratischen Austausch. Oder wie es ein anderer Mitarbeiter der Linken mit Blick auf Trumps ehemaligen Chefstrategen Steve Bannon formuliert: „Die AfD hat ihren Bannon gelesen: Die wollen einfach ‚den Straftraum mit Scheiße fluten‘.“
Wie das konkret läuft, weiß der Politikwissenschaftler Benedict Ugarte Chacón. Er ist freier Journalist und seit Januar auch Referent der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus. Ugarte Chacón hat Anfang des Jahres das Buch „Parlamentarischer Populismus“ über die Arbeit der AfD-Fraktion in Berlins Parlament im Berliner Wissenschaftsverlag veröffentlicht und dafür zahlreiche Redebeiträge, die Parlamentsdokumentation und die Inhalte der AfD ausgewertet. Die parlamentarischen Initiativen erwiesen sich nach seiner Analyse als nicht fundiert. Laut Ugarte Chacón lesen AfD-Abgeordnete häufig nicht einmal die Ausschussunterlagen oder denken sich einfach Dinge aus. „Das ist völlig unprofessionell. Die halten zwar Reden, sind aber ansonsten stinkfaul“, so Ugarte Chacón.
Benedict Ugarte Chacón
Der fachkompetente Unterbau fehlt
Man merke, dass der Partei ein fachkompetenter Unterbau fehle: Mitarbeiter bei der AfD arbeiteten meistens aus Überzeugung dort und nicht aufgrund von Fachkompetenz. Und solche, die kompetent seien, wollten sich zumeist nicht ihren Lebenslauf ruinieren, indem sie für die AfD arbeiteten, sagt Ugarte Chacón.
„Der Ton wird rauer“, sagt auch Ugarte Chacón, der mittlerweile auch mit der AfD in Ausschüssen zu tun hat. Man habe sich zwar auch früher nicht mit Samthandschuhen angefasst, aber durch die AfD hätten offene Äußerungen von Ressentiments deutlich zugenommen: „Im Prinzip führt die AfD jedes Problem auf Flüchtlinge zurück. Sie seien schuld an dreckigen Schulen, an nicht funktionierenden Ämtern, an aller Kriminalität sowieso.“
Gefährlich sei, die Positionen der AfD zu normalisieren. „Das aber geschieht vor allem in Medien“, sagt Ugarte Chacón, „einerseits schreibt der Tagesspiegel, etwas überspitzt, wie schlimm die Nazis beim Flügel sind, andererseits darf Ronald Gläser in der selben Zeitung einen Gastbeitrag zu Rundfunkgebühren veröffentlichen.“ Auch im RBB würde ständig die AfD interviewt. „Die Republikaner und die NPD hat man nicht so behandelt“, sagt Ugarte Chacón. „Dabei ist es es gefährlich, die AfD in den normalen Diskurs einzubeziehen, weil es eine Normalisierung von rechtspopulistischen Positionen ist.“
Das Argument, dass sich die AfD ansonsten als Opfer gerieren würde, lässt er nicht gelten: „Die AfD geriert sich immer als Opfer. Das ist ein grundlegendes ideologisches Element rechtspopulistischer Akteure.“ Rechtspopulismus lebe davon, dass er sich als Underdog inszeniere, so der Politikwissenschaftler. „Trump war der mächtigste Mann der Welt und tat trotzdem so, als sei er der Underdog.“
Die AfD ausgrenzen
Ugarte Chacón rät dringend zu strikter Ausgrenzung: „Man sollte die AfD und ihre Wähler ernst nehmen, wie sie sind.“ Wenn die AfD einen Schießbefehl an der Grenze befürworte, muss man auch so mit der AfD umgehen: „Wie mit Leuten, die andere umbringen wollen eben.“ Es schade nicht, dazu eine Haltung zu haben und die AfD auszugrenzen. So erklärt Ugarte Chacón auch aller Inkompetenz zum Trotz eine konstant zweistellige Umfragewerte der Rechtspopulisten: „Die Leute wählen die AfD, weil sie rassistisch ist. Dann sind die Wähler halt Rassisten.“ Die brauche man nicht abzuholen. Dass man diese Wähler*innen zurück zu gewinnen versuche, sei Selbstbetrug.
Der AfD-Fraktionsvorsitzende Georg Pazderski lehnte mehrere Gesprächsanfragen der taz ab. Landeschefin Kristin Brinker sagte im Rückblick auf die Legislatur: „Für Newcomer haben wir uns gut geschlagen. Wir waren eine vernünftige und gute Opposition.“
Dass die anderen Fraktion das geschlossen anders sehen, machte auch noch einmal der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) in seiner Abschiedsrede vergangene Woche deutlich. Brinker hatte sich zuvor in einem Radio-Interview nicht wirklich vom Rechtsextremisten Björn Höcke distanziert. Müller sagte: „Wie halten Sie es damit? Mit einem Menschen, den man gerichtlich bestätigt Faschist nennen kann und der von einer 1.000-jährigen Zukunft Deutschlands spricht? Was haben Sie gesagt? Gar nichts. Sie haben rumgeeiert! Ein Faschist gehört nicht in die Politik (…) Sie sind eine Belastung für unser demokratisches Handeln!“
Alle Fraktionen außer der AfD applaudierten ausgiebig nach diesen Sätzen Müllers, die AfD-Fraktion tobte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs