Fritz-Bauer-Ausstellung in Braunschweig: Ein visionärer Humanist
Der Jurist Fritz Bauer hat in Braunschweig mit der Aufklärung der NS-Verbrechen begonnen. Nun zeigt das Haus am Löwenwall eine Ausstellung über ihn.
Als „deutscher Patriot“, so seine Selbstdarstellung, begann Fritz Bauer seine Nachkriegskarriere 1949 als Landgerichtsdirektor, ab 1950 dann als Generalstaatsanwalt in Braunschweig. Seine Wirkmacht in Rechtspflege, Gesellschaft und Politik sind bis heute spürbar. Er kämpfte für die Wiederherstellung eines rechtsstaatlichen Justiz-Systems in der Bundesrepublik Deutschland sowie für die strafrechtliche Verfolgung von NS-Verbrechern – Ambitionen, die NS-Kontinuitäten gerade in der Justiz, aber auch das Verdrängen der NS-Zeit in weiten Teilen der Gesellschaft systemisch erschwerten.
In einer Wanderausstellung des Frankfurter Fritz Bauer Instituts und des Jüdischen Museums, die derzeit in Braunschweig Station macht, lassen sich jetzt die juristische Arbeit und die Rechtsphilosophie Bauers (1903–1968) nachvollziehen. Auch seine Persönlichkeit findet umfängliche Würdigung in der bereits 2014 konzipierten Schau – bis hin zu dem ästhetisch gelebten Bekenntnis zur Moderne: Sein Frankfurter Dienstzimmer ließ Bauer mit einer Tapete von Le Corbusier und zeitgenössischer Kunst ausstatten.
Der „atheistische Humanist“, so eine weitere Selbstdarstellung, entstammte einem liberal jüdisch assimilierten, gutbürgerlich schwäbischen Elternhaus. Bauer wurde 1930 Amtsrichter in Stuttgart, der jüngste der Weimarer Republik. Politisch prägend verteidigte er ihre demokratischen Prinzipien gegen rechte wie kommunistische Kräfte, wurde SPD-Mitglied und mit Kurt Schumacher befreundet, der nach 1945 die westdeutsche Sozialdemokratie reorganisierte.
Als Jude und Sozialdemokrat wurde Bauer 1933 erstmals interniert, 1936 gelang ihm die Emigration nach Dänemark, 1943 die Flucht nach Schweden. Zuvor war er eine Scheinehe mit einer Dänin eingegangen, vielleicht, um seiner Existenz als seit 1938 Staatenloser im deutsch besetzten Dänemark eine aufenthaltsrechtliche Basis zu verschaffen, vielleicht auch, um Nachstellungen dänischer Behörden wegen homosexueller Kontakte die Grundlage zu entziehen.
Die Loyalität jedenfalls bedachte Bauer noch in seinem Testament. Nach 1945 lebte er wieder in Dänemark, linderte, so eine Anekdote, sein Heimweh mit Spätzle und Sauerkraut. Schumacher bewegte ihn 1949 zur Remigration.
Ein entscheidender Prozess in Braunschweig wurde 1952 die Anklage des ehemaligen NS-Generalmajors Otto Ernst Remer wegen übler Nachrede und Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener, konkret der öffentlichen Bezichtigung der Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944, sie hätten Hoch- und Landesverrat begangen. In seinem Plädoyer zur Rehabilitierung der Widerstandskämpfer prägte Bauer den Begriff Unrechtsstaat fürs NS-Regime: eine staatsrechtlich usurpierte, nie legalisierte Macht, die jedermann zur Notwehr berechtigt.
Ab 1956 Generalstaatsanwalt in Frankfurt, verfügte Bauer über die institutionelle Macht für weitreichendes Vorgehen gegen NS-Täter: die Auschwitz-Prozesse ab 1963, Ermittlungen gegen hochrangige Juristen der „Aktion Gnadentod“, der Ermordung körperlich, geistiger und seelisch kranker Menschen, oder ein Verfahren gegen den Staatsrechtler Hans Globke, der als Kommentator der Nürnberger Rassengesetze die Grundlage für die Enteignung und Deportation jüdischer Bürger geschaffen hatte.
Umso enttäuschender müssen für ihn die milden Urteile oder Verfahrenseinstellungen gewesen sein, wie im Fall Globke: Der genoss als Chef des Bundeskanzleramts unter Konrad Adenauer höchste politische Protektion. Auch der international beachtete Prozess gegen Adolf Eichmann, Organisator des als „Endlösung“ bezeichneten Mordes an sechs Millionen jüdischen Menschen, fand nicht in Deutschland statt, sondern in Israel. Dessen Geheimdienst hatte nach Hinweisen Bauers Eichmann in Argentinien aufgegriffen.
„Fritz Bauer. Der Staatsanwalt – NS-Verbrechen vor Gericht“, bis 2. 1. 2022, Haus am Löwenwall, Braunschweig
Das Wirken Bauers, nach Heribert Prantl, Süddeutsche Zeitung, „ein Visionär des Rechtsstaates“, zeigte Erfolge, wenngleich erst lang nach seinem Tod. Die „magere Zwischenbilanz“ der Verfahren gegen NS-Täter, wie Bauer feststellen musste, ließ ihn eine Reform des Verjährungsrechts anmahnen. Seit 1979 ist Mord von jeglicher Verjährung ausgenommen. Seit 2011 betrachten Gerichte auch nicht mehr die individuell nachweisbare Einzeltat, sondern allein den Dienst in einem NS-Vernichtungslager als Beihilfe zum Massenmord.
Auf diesen Rechtsgrundlagen finden bis heute Verfahren statt, gegen mittlerweile hochbetagte ehemalige Wachmänner, Buchhalter oder aktuell eine Stenotypistin – nur mehr symbolische Bekräftigungen des Rechtssystems. Zu Bauers weiteren Verdiensten zählen ein auf Resozialisierung zielender Strafvollzug in modernen Gefängnisarchitekturen ebenso wie die Reform des Sexualstrafrechts – Anliegen, die er auch in Schriften, Interviews oder Fernsehauftritten zur gesellschaftlichen und politischen Lage der Bundesrepublik thematisierte.
In Braunschweig heißt seit 2012 der Platz bei der Generalstaatsanwaltschaft nach Fritz Bauer, an dem Nachkriegsgebäude hatte er bereits um 1956 eine künstlerische Installation veranlasst. Zum einen die Metallplastik einer modernen Justitia, die mit unverbundenen Augen auch keiner Waage mehr als Hilfsmittel bedarf: Recht und Gerichtlichkeit sind als übermenschliche Kategorien in ihr selbst verkörpert.
Zum anderen ließ er Artikel 1 des Grundgesetzes am Zugang einmeißeln: Mahnung an die Staatsanwaltschaft, dass sie niemals einer Staatsräson verpflichtet ist, sondern einzig der Würde des Menschen, die sie zu schützen hat.
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