Prozess gegen SS-Wachmann: Leugnen jeder Schuld

Ein 101-Jähriger wird beschuldigt, im KZ Sachsenhausen gearbeitet zu haben. Trotz belastender Dokumente bestreitet er das vor Gericht.

Ein Mann schützt das gesicht einer anderen Person mit eine Mappe.

Der angeklagte ehemalige KZ-Wachmann kommt in den Gerichtssaal in Brandenburg an der Havel Foto: Fabian Sommer/dp

BRANDENBURG AN DER HAVEL taz | Im Prozess in Brandenburg an der Havel gegen einen ehemaligen SS-Mann hat der Angeklagte am Donnerstag erklärt, er sei weder Mitglied der SS noch Angehöriger der Wachmannschaften des KZ Sachsenhausen gewesen. Stattdessen will er in der fraglichen Zeit als Knecht bei Bauern tätig gewesen sein.

Josef S. ist der Beihilfe zum Mord in mindestens 3.518 Fällen angeklagt, begangen zwischen Januar 1942 und Februar 1945. Dokumente weisen darauf hin, dass er dabei mehrfach, wie damals durchaus üblich, in andere Kompanien versetzt wurde und vom SS-Sturmmann zum SS-Rottenführer aufstieg.

Präsentation eines harmlosen Lebensweges

In der fraglichen Zeit kam es unter anderem zu Massenerschießungen von sowjetischen Kriegsgefangenen. Tausende weitere Gefangene fielen einer Fleckfieber-Epidemie zum Opfer, starben aufgrund der lebensfeindlichen Bedingungen oder wurden mit dem Giftgas Zyklon B ermordet.

Der heute 101-jährige Angeklagte Josef S., der bis zum Donnerstag Aussagen über seinen Lebensweg während des Zweiten Weltkriegs verweigert hatte, will indes mit all dem nichts zu tun gehabt haben. Er präsentierte dem in einer Turnhalte in Brandenburg tagenden Landgericht Neuruppin einen gänzlich harmlosen Lebensweg während des Zweiten Weltkriegs.

Demnach habe er nach seiner Einwanderung aus Litauen ins Deutsche Reich nach dem Aufenthalt in einem Umsiedlungslager zunächst bei einer kleinen Firma gearbeitet, die für die Wehrmacht tätig gewesen sei. Danach will S. in zwei verschiedenen Bauernhöfen als Arbeiter tätig gewesen sein, zuletzt in Pasewalk, bevor er kurz vor der Befreiung zum Fronteinsatz befohlen wurde, dort aber auch nur Schützengräben ausheben durfte und nicht einmal eine Waffe erhielt.

Etliche Dokumente bestätigen SS-Tätigkeit

Der rüstig wirkende Angeklagte wurde bei seinen in ostpreußischem Akzent vorgetragenen Ausführungen von seinem Anwalt unterstützt, verhedderte sich bei Nachfragen aber regelmäßig zwischen seiner angeblichen Zeit als Soldat in der litauischen Armee vor 1941 und seiner Gefangennahme durch die Sowjets 1945.

Christoph Heubner, Auschwitz-Komitee

„Das ist das Elend der Nachkriegsjustiz: Nichts gehört, nichts gewusst, nicht dabei gewesen“

Freilich liegen dem Gericht etliche Dokument vor, aus denen die Dienstzeit von Josef S. in Sachsenhausen und seine Tätigkeit als SS-Wachmann hervorgeht. Dazu zählen etwa Listen von SS-Kompanien in Sachsenhausen, in denen Name und Geburtsdatum von Josef S. genannt sind. Zudem führte Richter Udo Lechtermann die Antwort der Deutschen Rentenversicherung an das Gericht in den Prozess ein, die ebenfalls darauf hinweist, dass S. sich eine „Scheinwelt“ aufgebaut hat, wie es Nebenkläger-Anwalt Thomas Walter nennt.

Die Antwort der Rentenversicherung beinhaltet nämlich auch einen von ihm unterschriebenen Lebenslauf aus dem Jahr 1985 in der DDR, aus dem hervorgeht, dass er vom September 1940 bis zum Mai 1945 im „Wehr- und Kriegsdienst“ gestanden habe. Zudem finden sich dort schlüssige Angaben über seine Schulentlassung und seine ersten Arbeitsschritte im elterlichen Betrieb.

Warum dieser Lebenslauf etwas ganz anderes aussagt als seine Erklärung vor Gericht, vermochte Josef S. nicht schlüssig zu erklären. Richter Lechtermann meinte schließlich zu seiner Aussage: „Das wird mir immer zweifelhafter.“ Der Exe­kutivpräsident des Internationalen Auschwitz-Komitees, Christoph Heubner, kommentierte dies so: „Das ist das Elend der Nachkriegsjustiz: Nichts gehört, nichts gewusst, nicht dabei gewesen.“ Der Prozess wird am Freitag fortgesetzt.

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