Kommentar Bundespräsidenten-Rede: Lauwarme Rede, richtige Idee
Die Erkenntnis, dass Deutschland viel weiter ist, als es die Sarrazin-Debatte vermuten lässt, ist kein intellektuelles Glanzlicht. Aber es ist nötig, dies zu sagen.
W ichtige Reden von wichtigen Repräsentanten zu wichtigen Anlässen sind selten intellektuelle Feuerwerke. Stets muss der Konsens beachtet, die Balance gewahrt werden. Das Wohltemperierte, ja Langweilige gehört zu diesem Genre. Um als gelungen zu gelten, muss die Rede gleichwohl eine eigene Handschrift haben.
Unter dieser Maßgabe war Christians Wulffs Rede zur deutschen Einheit - gelungen. Lauwarm, aber in Nuancen deutlich. Im Rückblick auf 1990 verkleinerte Christdemokrat Wulff Helmut Kohl zu einer Figur unter vielen. Dafür rückten die Verlusterfahrungen der Ostdeutschen in den Blick. Bloß kein Triumphalismus, dafür ein weiter, verständiger Blick, so das Motto. Auch die linksliberale Skepsis der Nation gegenüber 1989 erschien hier verständlich. Auf Nachsiegen wurde erfreulicherweise verzichtet. Mag sein, dass solche Großmut beim Thema Vereinigung billiger zu haben ist. Man schaut nach 20 Jahren ja vom glücklichen Ende auf das Vergangene.
Beim Thema Integration, das Wulff zum Markenkern seiner Präsidentschaft machen will, liegen die Dinge ähnlich. Die Richtung der Rede stimmt, jedenfalls ungefähr. Die Erkenntnis, dass Deutschland viel weiter ist, als es die Sarrazin-Debatte vermuten lässt, ist kein intellektuelles Glanzlicht.
Stefan Reinecke ist Redakteur im Berliner Parlamentsbüro der taz.
Aber es ist nötig, dies zu sagen, gerade von konservativer Seite aus. Von Wulff ist kein hemdsärmeliges Politikbashing à la Horst Köhler zu erwarten. Das ist, beim Thema Migration, durchaus beruhigend.
Manches würde man allerdings gerne genauer wissen. Etwa wo bei Integationsdebatten die Grenze zwischen Rassistischem und Erlaubtem verläuft. Das ist ungesichertes Terrain. Wenn Wulff Migration als Thema ernst nimmt, wird er es nicht bei vagen Andeutungen belassen können.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben