Friedensvertrag für Tigray: Kollektives Leid, kollektiver Hass
Kann ein von oben verordneter Friede die Gewalt in Äthiopien beenden? Das ist ungewiss. Trotzdem verdient der neue Vertrag entschlossene Unterstützung.
E s gibt gute Gründe, auf den Friedensschluss zwischen Äthiopiens Regierung und den TPLF-Rebellen in der Region Tigray mit großer Skepsis zu regieren. Nachdem beide Seiten zwei Jahre lang ihre Soldaten verheizt haben und ihren Krieg zum Kampf ums Überleben erklärten, reicht es nicht, sich eine Woche lang in Südafrika als „Brüder“ anzusprechen und den sofortigen Frieden auszurufen. Das entspricht zwar dem traditionell autoritären äthiopischen Politikverständnis, in dem alles von ganz oben entschieden und nichts dem Volk erklärt wird, aber es war ja nicht nur ein Krieg zwischen zwei Machteliten, sondern Millionen von Menschen mussten daran teilnehmen und haben darunter gelitten.
Kollektives Leid gerät nicht per Federstrich in Vergessenheit, und kollektiver Hass lässt sich nicht nach politischer Opportunität abstellen. Diejenigen, die jetzt miteinander von Frieden und Versöhnung schwadronieren, sind dieselben, die vor zwei Jahren gegeneinander in die Schlacht zogen, ohne Rücksicht auf Verluste.
Und dennoch ist der Tigray-Friedensvertrag von Pretoria ein historisches Ereignis, das globale Unterstützung erfordert. In einem außerordentlich brutalen Konflikt, wo noch vor Kurzem alles nach einer immer blutigeren Eskalation aussah, ist es Vermittlern der Afrikanischen Union gelungen, die Konfliktparteien nicht nur an einen Tisch zu bringen, sondern ihnen auch außerordentlich weitreichende gegenseitige Verpflichtungen abzuringen. Ihnen gebührt Anerkennung dafür, auch gegen große Widerstände nicht lockergelassen zu haben.
Die Unterzeichnung war dabei der einfachste Teil. Das Friedensabkommen tatsächlich umzusetzen – diese Mammutaufgabe kann nicht der Afrikanischen Union überlassen werden, die nicht für Expertise auf diesem Gebiet bekannt ist. Regierungen weltweit haben das Abkommen begrüßt. Jetzt müssten sie mit einem entschlossenen Unterstützungsangebot nachlegen, das den Friedensprozess für beide Seiten unumkehrbar macht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen