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Friedenspreisträger antisemitisch?Zores in Göttingen

Ein Friedenspreis für Antisemiten? So sehen es Kritiker*innen. Es geht um die „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“.

Müssen gerade Freunde Israels dessen Politik angreifen? Lässt sich ein Boykottaufruf gegen den jüdischen Staat anders lesen als antisemitisch? Auf einer Demonstration in Paris Foto: dpa

Hamburg taz | Gegenwind ist nicht neu für die „Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost“: Vor ein paar Wochen erst hat die Bank für Sozialwirtschaft angekündigt, sich die Geschäfte mit der Gruppe genauer ansehen zu wollen; 2016 war ihr schon mal das Konto gekündigt worden. Und nun ist im niedersächsischen Göttingen ein Streit entbrannt: Darf die „Jüdische Stimme“ den jährlich dort vergebenen Friedenspreis bekommen?

Hintergrund ist die Frage, wie es die Friedensini mit der Kampagne „„Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen“ (BDS) hält – und wie sehr BDS selbst als antisemitisch anzusehen ist; eine Diskussion, geführt nicht nur in Deutschland und nicht nur mitten durch linke Lager, Gruppen, Tageszeitungen und ihre Leser*nnenschaft: Wo genau läuft die Grenze zwischen der Kritik an der Politk einer demokratischen, also nicht unfehlbaren Regierung – und der Andersbehandlung und dem Boykott von Jüd*innen an sich? Lassen sich an der Regierung ja gar nicht beteiligte Künstler*innen oder Wissenschaftler*innen dafür in Verantwortung nehmen, dass die Lebensbedingungen im Westjordanland und dem Gazastreifen sind, wie sie sind?

Vergeben wird der Preis seit 1999 von der Stiftung Dr. Roland Röhl, unter den Ausgezeichneten finden sich die Gesellschaft für bedrohte Völker (2003) und Reporter ohne Grenzen (2017) ebenso wie der Soziologe Wilhelm Heitmeyer (2012) oder, 2018, der Liedermacher Konstantin Wecker und die Redaktion von Wissenschaft & Frieden. In diesem Jahr entschied die Jury unter Vorsitz von Andreas Zumach, selbst Preisträger von 2009 – und regelmäßig Autor der taz. In der Begründung ist die Rede von unermüdlichem Engagement für „eine gerechte Friedenslösung zwischen zwei souveränen Nachbarstaaten, zwischen Israelis und PalästinenserInnen“.

Eine Einschätzung, der sich weder der Zentralrat der Juden in Deutschland noch die Göttinger Rats-FDP anschließen. Beide haben gegen den Preis für die „Jüdische Stimme“ protestiert, ebenso der örtliche FDP-Bundestagsabgeordnete Konstantin Kuhle. Für die FDP-Ratsfrau Felicitas Oldenburg ist die „Jüdische Stimme“ ein „BDS-Vertreter“, sind die durchweg jüdischen Mitglieder der Gruppe „falsche Friedensfreunde“.

Rathaus will Preis aussetzen

Göttingens Oberbürgermeister Rolf-Georg Köhler (SPD) sprach sich am Donnerstag dafür aus, die Preisverleihung „zunächst auszusetzen“ und die Antisemitismusvorwürfe zu prüfen. Dem schloss sich Uni-Präsidentin Ulrike Beisiegel an; beide sitzen im Kuratorium der Friedenspreis-Stiftung und sind mit Grußworten bei der Preisübergabe am 9. März angekündigt. Mit der örtlichen Sparkasse hat auch die – laut Lokalpresse – wichtigste Unterstützerin des Preises angedeutet, eben dieses Engagement prüfen zu wollen.

Der Vorsitzende Zumach halt an der Jury-Entscheidung fest und verweist auf die in der Stiftungssatzung fixierte Unabhängigkeit. Den Kritiker*innen wirft er „Falschbehauptungen, Unterstellungen und Schmähungen“ vor, und betont, dass die angebliche oder tatsächliche Nähe von „Jüdischer Stimme“ und BDS für die Preis-Entscheidung irrelevant gewesen seien. Er selbst stehe kritisch zu BDS, aber falsch sei auch, die Kampagne insgesamt für antisemitisch zu erklären.

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24 Kommentare

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  • 7G
    75026 (Profil gelöscht)

    Eine der Forderungen der "Jüdischen Stimme" lautet:



    "Vollständiger Abzug Israels aus den besetzten Gebieten und der Abbau aller dort befindlichen israelischen Siedlungen."



    (www.juedische-stim...juedische-stimme/)

    Das bedeutet nichts anderes als die Vertreibung von einer halben Million Menschen aus Gebieten, von denen man der Meinung ist, dass Juden dort nicht zu wohnen haben.

    Für einen Hardcore-Antiisrael-Aktivisten mag das sinnvoll sein, aber dass die Forderung nach einer solchen ethnischen Säuberung bedeutet, dass man sich "durch herausragenden praktischen Einsatz um den Frieden besonders verdient" macht (Zitat aus der im Artikel verlinkten Satzung des Göttinger Friedenspreises), kann ich nicht nachvollziehen.

    • @75026 (Profil gelöscht):

      ich find's immer wieder lustig, wenn zionisten+ihre best friends auf sich selbst reinfallen. merke: besatzung ist völkerrechtswidrig und die siedlungen sind es auch. sollte mann nicht mit leutz wie Amira Hass verwechseln, die sich wie andre leutz auch in Ramallah ne wohnung mieten.

      • 7G
        75026 (Profil gelöscht)
        @christine rölke-sommer:

        "In a final resolution, we would not see the presence of a single Israeli — civilian or soldier — on our lands", sagte Herr Abbas.



        (www.google.com/amp...in-palestine/amp/)

        Aber vielleicht gibt's ja für Amira Hass eine Ausnahmegenehmigung.

        • @75026 (Profil gelöscht):

          Sie meinen allen ernstes, das hätte noch viel zu besagen?

          • 7G
            75026 (Profil gelöscht)
            @christine rölke-sommer:

            Ja.

            • 7G
              75026 (Profil gelöscht)
              @75026 (Profil gelöscht):

              Die reden viel, wenn der Tag lang ist, aber meinen das alles nicht so? Wollen Sie mir das sagen?

              • 7G
                75026 (Profil gelöscht)
                @75026 (Profil gelöscht):

                ... an Christine Rölke-Sommer 13:37.

            • @75026 (Profil gelöscht):

              dann haben Sie BDS nicht verstanden

    • @75026 (Profil gelöscht):

      Abzug einer halben Millionen Soldaten?! Sie meinen Siedler? Oder? Präsenz eines Staates (Israel) ist nicht das gleiche wie die Präsenz von Menschen.

      Wollen Sie der israelischen Regierung unterstellen, in den besetzten Gebieten durch Siedlungspolitik Fakten schaffen zu wollen, die kaum noch rückgängig zu machen sind?

      Wollen sie den Siedlern unterstellen, dass diese sich jeder Löung in den Weg stellen werden, in denen die Palastinenser gleichberechtigte Bewohner der besetzten Gebiete sind?

      • 7G
        75026 (Profil gelöscht)
        @Rudolf Fissner:

        Keine Ahnung, wovon Sie reden. Aber wenn Sie der Meinung sind, dass der Satz "Abbau aller dort befindlichen israelischen Siedlungen" etwas anderes bedeutet, als ich geschrieben habe, dann erklären Sie's mir mal!

  • 7G
    75026 (Profil gelöscht)

    Über die "angebliche oder tatsächliche Nähe" zu BDS braucht man gar nicht zu spekulieren. Folgendes hat die "Jüdische Stimme" sich in ihre Satzung geschrieben:



    "Wir beanspruchen keine falsche Neutralität und haben uns



    entschieden, dem Ruf der palästinensischen Zivilgesellschaft nach ökonomischem Boykott zu folgen. (Palesti-



    nian Civil Society Call for BDS )."



    (www.juedische-stim.../Satzung_2011.pdf)



    Ich denke, das ist deutlich genug.

  • 8G
    88181 (Profil gelöscht)

    Warten wir es ab, bis Herr Zumach wieder mit seinen Anwälten droht:

    schlamassel.blogsp...9kCI0T49KhqacsFdkk

    Dass solche Preise von so jemandem an so jemanden verliehen werden, ist allerdings kein großes Wunder.

    Das ist wie wenn die CDU der CDU einen Preis verleihen würde für ihre Bemühungen um die CDU.

    • @88181 (Profil gelöscht):

      ich find's immer wieder gut, dass jedes mentsch selbst hören www.youtube.com/watch?v=oTMKToXZr60 und lesen www.juedische-stim...0Xo0q6VuPkYJYTpXvw kann, was Andreas Zumach sagt+schreibt. und wenn ich's richtig erinnere, mußte letztens die SZ einräumen, dass einer ihrer redakteure was geschrieben hatte, was Andreas Zumach nicht gesagt hatte. und ja, dafür, dass sie das erst auf entscheidung des LG Berlin hin tat, mußte sie auch zahlen. normal, wer verliert zahlt.

  • 9G
    90857 (Profil gelöscht)

    "Für die FDP-Ratsfrau Felicitas Oldenburg ist die „Jüdische Stimme“ ein „BDS-Vertreter“, sind die durchweg jüdischen Mitglieder der Gruppe „falsche Friedensfreunde“."

    Bizarr, wenn die Nachkommen der Täter den Nachkommen der Opfer erklären, wie man hierzulande nun Antisemitismus buchstabiert, gar "falsche (jüdische) Friedensfreunde entlarvt.

    Kompetente "Prüfung" also in Sachen BDS nebst Jüdischer Stimme von den hehren, unschuldigen Göttinger Instanzen bis hin zur örtlichen Sparkasse. Darauf hat die Welt gewartet.

    • 8G
      88181 (Profil gelöscht)
      @90857 (Profil gelöscht):

      Fragen Sie doch mal in Israel nach, was die von BDS halten. Aber das sind dann wahrscheinlich die falschen Juden. Und die Antwort wird ihnen kaum gefallen.

      • @88181 (Profil gelöscht):

        Ich glaube kaum, das die Bewohner Israels über einen Kamm gescherrt werden können.



        Würde man z.B. Die arabischen Israelis befragen, kämmen sicher viel Kritik zusammen. Man schaue sich nur mal deren wirtschaftliche Situation an: de.wikipedia.org/w..._und_Beschäftigung. „36 der 40 israelischen Städte mit der höchsten Arbeitslosigkeit sind arabische Städte„

      • 9G
        90857 (Profil gelöscht)
        @88181 (Profil gelöscht):

        Es geht hier, soweit habe ich den Text hoffentlich richtig verstanden, eben nicht um die Meinung von Israel zu BDS; auch nicht die Meinung anderer, international aufgestellter BDS-Unterstützer.

        Es geht hier, in diesem taz-Artikel, um die "Prüfung" durch die Sparkasse Göttingen; nebst anderer lokaler Größen dort.

        Bizarr eben ...

        • 8G
          88181 (Profil gelöscht)
          @90857 (Profil gelöscht):

          Ja ok, das hat vielleicht ein Gschmäckle. Aber es gibt ja Kriterien anhand derer man Antisemitismus beurteilen kann.

          Und was den BDS angeht, der fordert beispielsweise ein "Rückkehrrecht" für fünf Millionen palästinensischer "Flüchtlinge". Dieser Status vererbt sich bei dieser Gruppe. Sonst bei keiner.

          Wenn man weiß wie groß Israel ist, entspricht diese Forderung dem Ende Israels.

          Das ist als würde man fordern 40 Millionen Menschen einer Gruppe dürften nach Deutschland einwandern.

          BDS steht nicht für Dialog, sondern für Trennung, Boykott auf allen Ebenen.

          Darüber hinaus gibt es Verbindungen zu Hamas und anderern Terrorgruppen.

          Da ist es schon zynisch wenn Leute, die diese Leute unterstützen, einen Friedenspreis bekommen.

          • @88181 (Profil gelöscht):

            Verbindungen finden sich immer schnell. Man schaue sich z.B. Mr Liebermann an, den ehemaligen Verteidigungsminister unter Netanjahu und dessen Verbindungen zu rechtsextremen terroristischen Gruppen. de.wikipedia.org/w...ch_und_Kahane_Chai

          • @88181 (Profil gelöscht):

            "Dieser Status vererbt sich bei dieser Gruppe. Sonst bei keiner"

            Yes indeed: who remembers the Armenians?

  • Ja wie^¿^ - Kann mich Herrn Andreas Zumach nur anschließen.



    Normal.

    • @Lowandorder:

      Ja, so wundere ich mich selbst, weshalb es bei meiner Auszeichnung mit dem Göttinger Friedenspreis 2015 keinen Aufschrei gegeben hatte, wo ich u.a. ja so "gewalttätig" sein soll!

      • @Irmela Mensah-Schramm:

        Joo! 1945 - ein guter Jahrgang. Liggers.;)