Friedensplan in Afghanistan: Angebot an die Taliban
Staatschef Ghani bietet den Islamisten den Eintritt in die Regierung an. Gibt es bald eine Afghanistan-Friedenskonferenz in Deutschland?
Die Taliban müssten jetzt entscheiden, ob sie Frieden wollen, sagte der afghanische Präsident Ashraf Ghani, der diese Vorschläge gestern beim zweitem Treffen des sogenannten Kabul-Prozesses unterbreitete. Er bot zudem Gespräche über eine Revision der Verfassung an. Immerhin will er dabei an den demokratischen Rechten aller afghanischen Bürger und insbesondere den Frauenrechten festhalten – das ist eine rote Linie sowohl für politisch aktive Afghan*innen als auch für die internationalen Unterstützer der Ghani-Regierung. Frauen und Zivilgesellschaft sollen „in allen Phasen“ etwaiger Gespräche beteiligt werden.
Der Kabul-Prozess dient dazu, Afghanistans Nachbarn für einen Friedensplan zu mobilisieren. Der Adressat des Friedensplans, die Taliban, waren nicht eingeladen. Denn erst sollen die nahen und ferneren Nachbarn – Pakistan und Indien, Iran, Russland und China – sowie die Geberländer mit den USA an der Spitze auf die afghanische Regierungslinie eingeschworen werden.
Dies ist wohl zumindest vorerst auch gelungen, wie die am späten Mittwochnachmittag verabschiedete Abschlusserklärung andeutet. Insgesamt waren 23 Länder sowie UNO, EU und Nato in Kabul vertreten.
Die Rolle der USA
Das alles ist noch kein Friedensplan, sondern erst eine Liste von Vorschlägen. Und die Taliban müssen zustimmen. Das Problem ist: Sie lehnen bisher offiziell jegliche Direktkontakte mit der Regierung Ghani ab und bezeichnen diese als „Knechte Amerikas“. Sie wollen nur mit den USA verhandeln – und zwar über ihre Hauptforderung, den Rückzug der ausländischen Truppen.
In einer überraschend schnellen Reaktion auf ihrer offiziellen Webseite werfen die Taliban Ghani nun vor, „die wichtigsten Themen verfehlt“ zu haben. Sie seien nicht auf „Posten und Vergünstigungen“ aus, Ghanis Angebote kämen „politischer Bestechung“ gleich.
Wahrscheinlich hatten sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht die Abschlusserklärung des Kabuler Treffens erhalten. Denn in dieser Erklärung, zu deren Verfassern auch die USA gehören, wird angeboten, bei Gesprächen auch „die kontroversen Aspekte der internationalen Präsenz in Afghanistan“ auf die Tagesordnung zu setzen. Damit wären die USA direkt oder indirekt an den Verhandlungen beteiligt.
Zudem gibt es auch auf Taliban-Seite Flexibilität. In den letzten Jahren hat es immer wieder informelle Kontakte gegeben, direkt oder über Dritte. Das Kabuler UN-Büro oder die internationale Nichtregierungsorganisation Pugwash-Konferenz, die ebenfalls in Kabul vertreten ist, besuchen regelmäßig das politische Büro der Taliban, das 2013 im Golfstaat Katar eröffnet wurde. Erörtert werden unter anderem Verfassungsfragen und Maßnahmen zum Schutz afghanischer Zivilisten. 2015 trafen Taliban-Vertreter in Oslo afghanische Parlamentarierinnen und sollen beeindruckt von deren Auftreten und Positionen gewesen sein.
Die Rolle der Bundesregierung
Allerdings steht das Taliban-Büro in Katar gerade zur Disposition, wegen der Spannungen zwischen Saudi-Arabien und Katar. Die saudische Regierung in Riad ist einer von Afghanistans wichtigsten Geldgebern. Sie hat Kabul unter Druck gesetzt, an ihren Strafmaßnahmen gegen Katar mitzuwirken und das auch öffentlich zu erklären. Sollte es tatsächlich zur Schließung des Büros kommen, dürften die Taliban dies als unfreundlichen Akt interpretieren.
Auch wie es zu einem Waffenstillstand kommen soll, ist unklar. Ghani hat offengelassen, ob Kabul den ersten Schritt machen wird oder ob er das von den Taliban erwartet. Jedenfalls kündigte der Präsident an, dass der Hohe Friedensrat – ein von ihm selbst ernanntes Gremium, das aber gern als Nichtregierungsorganisation dargestellt wird – ein Verhandlungsteam nominieren werde. Er drückte seine Hoffnung aus, das man sich mit den Taliban auf eine Agenda verständigen werde.
Hier kommt die deutsche Bundesregierung ins Spiel. Ihr Afghanistan-Sondergesandter, der Persisch sprechende Markus Potzel, bot am Dienstag im afghanischen Fernsehen an, die Taliban-Gespräche könnten auch „in Bonn oder Berlin“ stattfinden, und sprach von einer „dritten Bonn-Konferenz“ zu Afghanistan. Die ersten beiden gab es in den Jahren 2001 und 2011.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja