Freispruch für Aktivistin: Der Schrecken des Flatterbandes
Das Amtsgericht in Brake spricht eine Aktivistin vom Vorwurf der Nötigung frei. Sie hatte vor einem Palmöl-Zulieferer demonstriert, ein Metallbauer fühlte sich blockiert.
BRAKE taz | Gerechtigkeit ist zu groß. Für Gerechtigkeit kann das Amtsgericht in Brake nicht sorgen in der Sache der Menschenrechts- und Umweltschutz-AktivistInnen gegen die Wilmar International Ltd.: Der Konzern gilt als einer der größten Palmöl-Produzent weltweit.
Er ist Zulieferer von Nestlé, Unilever, Cargill, und den Rohstoff erntet man in Indonesien, Sumatra, Uganda und in Nigeria. Überall betreibt Wilmar, oft über Firmentöchter, gigantische Plantagen, dort wo noch vor Kurzem Regenwald wuchs. Wilmar nennt sich selbst ein Unternehmen mit „an expanding global Footprint“.
Aber Amtsrichterin Patrizia Pauli kann für Recht sorgen. Und das tut die Vorsitzende mit großer Bestimmtheit im Fall der Aktivistin Sara L. Die hatte am 17. September 2012, vor mehr als zwei Jahren, vor der Braker Fettraffinerie demonstriert, der Wilmar Edible Oil GmbH.
Seither verfolgt die Staatsanwaltschaft Oldenburg sie und acht weitere Beschuldigte. Nötigung, lautet der Vorwurf. Die begeht, wer einen Menschen mit Gewalt oder Drohung zu etwas zwingt. Rechtswidrig ist das, falls die ausgeübte Gewalt „als verwerflich anzusehen“ war, so das Strafgesetzbuch.
Der Palmölverbrauch steigt: Im Jahr 2009 wurden weltweit 46, 2011 bereits 56 Millionen Tonnen hergestellt - ein Wachstum von 17,4 Prozent. Über 40 Prozent des weltweit hergestellten Pflanzenöls wird aus Palmen gewonnen.
Es ist ungesund, billig und hitzebeständig: Zwei Drittel des Palmöls fließen in die industrielle Lebensmittelproduktion. Im technischen Bereich sorgen Biofuels fürs Branchenwachstum - die Biokraftsfoffnachhaltigkeits-Verordnung der EU schreibt es sogar vor.
Es gibt ein "Nachhaltigkeitssiegel" für Palmöl. Das haben die Palmölhersteller und Lebensmittelkonzerne mit dem WWF entwickelt. Es macht kaum Auflagen: Weder verbietet es die Regenwald-Rodung, noch legt es Sozialstandards fest, die über die Menschenrechte hinausgehen.
Strafbefehle waren erlassen aber nicht akzeptiert worden: zu Recht. Der gegen Sara L. ist nun aufgehoben, vorläufig: Freizusprechen sei die Beschuldigte im Namen des Volkes, so urteilt Pauli am fortgeschrittenen Mittwochnachmittag und, „die Kosten trägt die Staatskasse“.
Dann rüffelt die Richterin energisch die ZuschauerInnen, die klatschen. „Zum letzten Mal“, sagt sie streng, sie werde „keine Beifallsäußerung mehr dulden“, und das wirkt: Keiner will sich jetzt, nach siebenstündiger Verhandlung, nach zwei Jahren Verfolgungsdruck, das gute Ende entgehen lassen. Wenn es das ist: Eine Woche noch, dann ist das Urteil rechtskräftig. Und noch stehen ja die acht übrigen Strafbefehle im Raum.
Die Staatsanwaltschaft hatte in dem Fall mit einem überraschenden Mix von Eifer und Schlamperei agiert: Immer wieder muss der Sitzungsvertreterin der Anklagebehörde in der mündlichen Verhandlung aufgehen, dass sie jetzt gerade dumm da steht, weil der ermittelnde Dezernent ihr eine unvollständige Akte anvertraut hat: Einige Protokolle sind erst ab Seite 10 eingespeist. Die Herkunft mancher Blätter bleibt unklar.
Martin Lemke, altgedienter Hamburger Robin Wood-Anwalt, und der Kriminologe Ben Bartholdy aus Westerstede, zerpflücken das Konvolut mit fast grausamem Humor: Nicht einmal das hat der Ermittler notiert, dass er den Hauptbelastungszeugen, Einsatzleiter Polizeihauptkommissar Matthias A., nach dessen unentschuldigten Fehlen beim ersten Verhandlungstermin am 30. Oktober 2013 zu sich nach Oldenburg einbestellt und eine halbe Stunde lang heißluftgeföhnt hat. Und dann auch noch diese Zeugenaussagen!
Denn direkt vor der Aussage des vermeintlichen Geschädigten, eines Metallbauers von einem ortsansässigen Unternehmen, der am Demonstrations-Tag in der Raffinerie was zu montieren hatte, sagt nach einer persönlichen Erklärung Aktivistin Sara L. aus.
Sie hatte von Todesfällen auf Sumatra berichtet, dass dort, gerade erst im März dieses Jahres, ein 34-jähriger Familienvater stirbt, geknebelt, und an Armen und Beinen gefesselt, in den Händen der Werkschutz-Milizen eines aus Wilmar herausgelösten Plantagen-Betreibers: Puji, so hieß der Mann, hatte nach dem Verbleib eines Nachbarn gefragt, der verschollen war, seit jene Firma im Dezember 2013 mithilfe von Soldaten das gemeinsame Dorf geräumt hatte.
Drei Jahre zuvor war Sara L. in Indonesien gewesen. Im August 2011 beseitigt Wilmar International dort die Siedlung Sungai Beruang: „Schreie, Schüsse, ein ohrenbetäubender Lärm von Bulldozern“, so nähert sich die agroindustrielle Truppe den Hütten des Dorfes: Schon im Oktober steht dort ein Ölpalmenfeld. Nur in der Mitte finde sich noch eine kleine Hütte mit „Wachpersonal, das mit geladenen Gewehren Tag und Nacht bewacht, was es nicht mehr gibt“.
Und dann tritt Metallbauer Alexander S. in den Zeugenstand. Das Nötigungsopfer. Mehrere Stunden länger als geplant hat er in seinem Auto auf dem Raffinerie-Gelände ausgeharrt. Blockiert habe er sich gefühlt, weil: Die DemonstrantInnen hatten rotweißes Flatterband gespannt, rotbemalte Wendland-Pyramiden auf die Straße gestellt, also Betonklötze, in die sich AktivistInnen mit Ketten verankert hatten – und Tripods aufgebaut.
Als der Metallbauer die Polizei darum bittet, lotst die ihn daran vorbei. Er muss mit seinem Caddy etwas auf den Randstreifen, übers Gras. „Warum“, fragt ihn Richterin Pauli, „haben Sie nicht vorher versucht, vorbeizufahren?“ Der Zeuge blickt vor sich auf den Tisch, „ich habe es“, sagt er, „nicht probiert“. Und jemanden gefragt? Nein, habe er nicht, er schüttelt den Kopf, „da war halt dieses Flatterband“. Und „Flatterband“, sagt er, „heißt für mich: Hier nicht weiter.“
Wilmar, das ist klar, wird sich von Flatterband nicht nötigen lassen. Der Absatz ist reißend, im Jahr soll der Konzern über 34 Milliarden Euro Umsatz machen. Klar pflegt man das Image, betreibt soziale Projekte und hat sich, 2013, einen Nachhaltigkeits-Kodex auferlegt. Doch diese „No Deforestation-Policy“ ist, das belegt eine im Juni von Greenomics Indonesia publizierte Studie, vor allem heiße Luft. Treibhausluft, CO2-gesättigt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja