Freiräume in Berlin: Der Spielplatz hat Geburtstag
Das urbane Dorf Holzmarkt feiert Zehnjähriges. Seine Krisen gehören der Vergangenheit an. Man ist erwachsener geworden, aber nicht langweiliger.
Er erinnert sich voller Nostalgie und Liebe an die Zeit, als die Bar nach sieben Jahren und einer fünftägigen rauschenden Abschiedsparty 2010 geschlossen wurde – die Berliner Stadtreinigung BSR, Eigentümerin des Geländes, wollte verkaufen.
Doch Klenzendorf konnte seinen Frieden mit dem Ende der Bar machen. Nur zwei Jahre später gelang es seinen Mitstreiter*innen, mithilfe einer Schweizer Stiftung das ehemalige Gelände der Bar zu kaufen. Alternative Projektentwickler gewinnen ein Bieterverfahren gegen Immobilienhaie, und das in bester Lage: Schöne Schlagzeilen waren das. Berlin, die Hauptstadt der Kreativen, hatte sein Hippie-Image wieder einmal unter Beweis gestellt.
Was danach folgte, wurde von vielen Beobachter*innen der Stadt als wagemutige Angelegenheit bewertet: Mitten in einer Gegend, in der die Freiräume immer knapper wurden, gründeten die Partyleute eine Genossenschaft und schufen einen würdigen Nachfolger der Bar. Im urbanen Dorf Holzmarkt kann man bis heute rund um die Uhr ans Ufer, es wird gut gegessen und lang gefeiert, in den kunterbunten, in- und übereinander verschachtelten Holzhütten gibt es Club, Restaurant, Café und Weinladen, aber auch Ateliers und Artisten, Filmproduktion und Kindergarten, öffentliche Wege und den Mörchenpark.
Die Bar 25 entsteht 2003 als mobiler Club in einem alten DDR-Wohnwagen, der irgendwann auch auf einer Brache der BSR an der Spree parkt. Nach sieben Jahren kündigt die BSR dem Club.
Die Genossenschaft 2012 wird eine spannende Grundstücksfrage entschieden. Die gerade gegründete Holzmarkt Genossenschaft bekommt den Zuschlag für die Brache, auf dem sich die Bar 25 befand. Käufer ist eine Schweizer Stiftung; sie verpachtet das Grundstück per Erbbaurecht an die Genossenschaft. Neben dem Holzmarkt soll das Holzhochhaus Eckwerk entstehen.
Die Krise Bei der Eröffnung des Holzmarkts 2017 steckt das Eckwerk in der Krise: Der Bezirk winkt den Bebauungsplan nicht durch. Nun soll hier eine Investorenguppe bauen. (sm)
Der Geist der Nachwendejahre
Wie nur noch ganz wenige Orte dieser Stadt atmet der Holzmarkt auf zeitgemäße Art den freien Geist der Nachwendejahre, in der ganz Berlin manchen eine einzige Spielwiese war, auf der weder hohe Mieten noch Stress durch geregelte Arbeitszeiten oder ähnliche Zumutungen eine übermäßig große Rolle spielten.
Seit Samstag und bis zum Pfingstmontag feiert der Holzmarkt beziehungsweise die Genossenschaft hinter dem Holzmarkt 10. Geburtstag – und auch, wenn manche*r ältere*r Besucher*in an diesem schönen Sonntagnachmittag, dem Kinderpiratentag, ins Sälchen stolpert und beim Anblick der Bar ein Tränchen verdrücken mag: Die meisten machen nach kurzer Andacht auf dem Absatz kehrt und wollen wieder raus ins Getümmel. Die Stimmung auf dem Kinderpiratentag ist einfach zu ausgelassen.
Auch, wenn der Holzmarkt viele Kämpfe zu bestehen hatte, wirken derzeit einfach alle nur entspannt bis euphorisch. Viele, die mit ihren Kindern gekommen sind, haben sich wie in alten Zeiten in der Bar mit den Kostümen mehr Mühe gegeben als der Nachwuchs: An der Bar steht einer, der aussieht wie Kapitän Efraim Langstrumpf persönlich, ein anderer geht im Ganzkörperanzug als überdimensionierter Ara, eine wirkt wie eine verwegene Neuinterpretation des haarigen Vetters bei der Addam’s Family.
Plausch nach der Geisterbahn
„Als würde der ganze Holzmarkt in all seinen Facetten endlich mal wieder zusammen spielen“, sagt Mario Husten beschwingt und führt raschen Schrittes zum kurzen Plausch durch eine Geisterbahn zum Katerschmaus, dem Restaurant mit Spreeblick.
An einem Tag wie diesem hat Mario Husten, der sich seit 2011 vor allem um die Holzmarkt Genossenschaft kümmert, wenig Lust, über all die Anstrengungen und Misserfolge zu sprechen. Der lange Streit zwischen Holzmarkt und dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg um einen spektakulär luftiges Holzhaus zum Arbeiten und Leben, das der Holzmarkt auf der anderen Seite der Gleise hatte bauen wollen und schließlich unterlag? „Vorbei“, sagt Husten. Corona? „Nicht vorbei, aber gut überstanden“, lächelt er.
Und die Lärmbeschwerden, mit denen der Holzmarkt im sich verändernden Umfeld immer wieder konfrontiert ist? Mario Husten lässt sich nicht in die Suppe spucken. „Ach, das schaffen wir auch noch“, sagt er und beginnt ausschweifend über all das zu reden, was sie sich erarbeitet haben in den vergangenen Jahren, was sie alles noch erreichen wollen in den nächsten.
Letzte Insel
Wie also ein Projekt, das eigentlich provisorisch angelegt war und nun über 200 Angestellte verfügt, beweglich bleiben kann – und wie da gerade eine neue Generation heranwächst, die auf dem Holzmarkt eines Tages das Ruder übernehmen könnte. Da sind zum Beispiel ein Gäste- und ein Hochhaus, die irgendwann einmal auf dem Gelände entstehen sollen. Da ist aber auch, dass der Holzmarkt, wie er heute ist, zunehmend wie eine der letzten Inseln der Glückseligen an der Spree wirkt – und schon allein deshalb keine Lust mehr habe, sich noch immer selbst zu erklären.
Mario Husten hat recht, denn vom S-Bahnhof Jannowitzbrücke bis zur Rummelsburger Bucht wächst in letzter Zeit immer mehr stählerne Investorenarchitektur in den Himmel. Es ist eine Stadt in der Stadt, die da entsteht – und zwar keine, in der Kategorien wie die berühmte Berliner Mischung, Nachbarschaftlichkeit und Aufenthaltsqualität eine Rolle spielen. Berlin habe 20 Jahre nach dem Mauerfall – als die Genossenschaft den Zuschlag für das Gelände bekam – noch immer geschlafen, so erklärt es der grüne Ex-Justizsenator und Langzeitparlamentarier Wolfgang Wieland der taz.
Wieland, der übrigens am heutigen Dienstag um 17.45 Uhr anlässlich der großen Sause am Holzmarkt mit Filmemacher Florian Opitz über „Drei Jahrzehnte Berlin“ sprechen wird, hatte lang versucht, zwischen Holzmarkt und Bezirk zu vermitteln. Er verbringt, wie er sagt, privat immer wieder gern Zeit auf dem Gelände. „Die Stadt hat auch dann noch alle Liegenschaften verkauft, die sie verkaufen konnte; alle Baugenehmigungen erteilt und Auflagen geopfert, als sie das längst nicht mehr nötig hatte“, so Wieland.
Es wird voller
Seine größte Sorge ist deshalb eine, die auch Mario Husten umtreibt – obwohl im Augenblick weder der eine noch der andere darüber sprechen will: Was, wenn rund um den Holzmarkt alle schnöden Nutzbauten fertig sind, wenn tausende neue Anwohner*innen sich abends auch mal auf ein Bier unter einen Baum setzen wollen? Dann droht dem Holzmarkt Übernutzung.
Doch an diesem Sonntag ist es einfach nur wild und lustig im Dorf. Viele Leute sind gekommen, sehr viele Leute sogar. Kinder fahren in einem Piratenboot die Spree rauf und runter, die Sängerin einer Band rülpst mit dem Publikum um die Wette, an einem Stand dürfen junge Menschen Mitarbeiter*innen des Holzmarkts mit Schokoküssen bewerfen. Auf dem höchsten Gebäude weht der Schriftzug „Danke“. „Heißa Holzmarkt“, sagt Wolfgang Wieland.
In ein paar Tagen wird die Bar25 im Säälchen wieder abgebaut. Aber niemand ist ernsthaft traurig darüber.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“