Freihandelsabkommen mit den USA: TTIP abgespeckt wieder da
Die Bundesregierung will den Streit zwischen der EU und den USA mit einem neuen Handelsabkommen eindämmen. Das alarmiert AktivistInnen.
US-Präsident Donald Trump hatte im März die Zölle auf Stahl- und Aluminiumimporte drastisch angehoben. Für Einfuhren aus der EU hatte er Ausnahmen genehmigt, die er Ende April um einen Monat bis Ende Mai verlängert hat. Jetzt haben beide Seiten die Chance, einen drohenden Handelskrieg zu vermeiden.
„Die Gespräche der EU mit den USA und auch innerhalb der EU-Mitgliedstaaten laufen“, sagte eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums. „Ziel ist es, zügig eine gemeinsame Position in Europa abzustimmen – dazu gibt es mehrere denkbare Vorschläge.“ Im Interesse der Arbeitsplätze müsse das Ziel sein, dass Zölle sinken und nicht steigen.
Pakt schien erledigt
Dass Altmaier und sein Ministerium den Ausdruck TTIP selbst nicht in den Mund nehmen, ist nachvollziehbar. Diese Buchstabenkombination erzeugt bei Millionen von Menschen Abwehrreflexe. Sie steht für Transatlantic Trade and Investment Partnership (Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft). Die Wiederkehr des tot geglaubten Handelsabkommens alarmiert unzählige AktivistInnen, die noch vor Kurzem gegen den als demokratiefeindlich kritisierten Handelspakt Hunderttausende zu Demonstrationen mobilisierten.
Jahrelang haben die USA und die EU über den Abschluss dieses Handelspakts neuen Typs verhandelt – vergebens. Das Abkommen sollte über Zollvereinbarungen weit hinausgehen und Schiedsgerichte für Unternehmen und Entscheidungsgremien neben den Parlamenten vorsehen. Damit sollten demokratische Entscheidungen ausgehebelt werden – sagen die KritikerInnen. Die BefürworterInnen verweisen darauf, dass so Wirtschaftswachstum angekurbelt würde.
Mit der Wahl von Donald Trump im Jahr 2016 zum US-Präsidenten schien der Wirtschaftspakt endgültig erledigt zu sein. Trump ist erklärter TTIP-Gegner. Doch dass der US-Präsident sich vehement gegen mehr Freihandel ausspricht, heißt nicht unbedingt, dass er partout gegen eine Reaktivierung von TTIP in mehr oder weniger abgespeckter Form ist. Er hat auch gegen das Pazifische Freihandelsabkommen TPP gewettert und die Unterzeichnung verweigert. Jetzt lässt er den Einstieg der USA prüfen.
Maritta Strasser, Naturfreunde
Die einstigen Stopp-TTIP-AktivistInnen sind in der deutschen Öffentlichkeit kaum noch sichtbar. Aber es gibt sie noch. Bündnisse wie „Stopp TTIP“ oder „TTIP unfairhandelbar“, an denen Hunderte Organisationen beteiligt waren und die den Protest zu einem Massenphänomen gemacht haben, gibt es zwar nicht mehr. Aber sie sind im Netzwerk Gerechter Welthandel aufgegangen, in dem rund 70 Organisationen wie Attac, der DGB, Campact oder die Naturfreunde Mitglied sind.
Chlorhühnchen
Nicht alle einstigen Bündnispartner sind dabei, vor allem lokale Initiativen fehlen – aus Kostengründen, heißt es beim Netzwerk. Denn die Mitgliedschaft kostet jetzt 200 Euro im Jahr. Auch aus anderen Gründen drohen Bündnispartner verloren zu gehen. Die Grünen etwa denken darüber nach, ob die Ablehnung von TTIP angesichts der brachialen Handelspolitik Trumps nicht falsch gewesen ist. Vielen, die einst gegen TTIP demonstrierten, dürfte es ähnlich gehen.
Trotzdem: Die Anti-TTIP-AktivistInnen sind davon überzeugt, bei Bedarf relativ rasch erneut eine Protestwelle in Gang setzen zu können. „Die alten Strukturen werden schnell reaktivierbar sein“, sagt Jürgen Maier vom Forum Umwelt und Entwicklung, das zum Netzwerk Gerechter Welthandel gehört. „Schließlich geht es um die gleichen Fragen.“
Das gelte etwa für Chlorhühnchen und Hormonfleisch aus den USA. Sie dürfen derzeit nicht nach Europa exportiert werden. In den USA werden Hühner in Chlor desinfiziert. Auch mit der Schreckensvision, dass solche Nahrungsmittel in den europäischen Handel kommen, mobilisierten die AktivistInnen. Das könnte auch jetzt wieder ein Ansatzpunkt sein.
Mandat nötig
Die US-Landwirtschaft drängt darauf, den europäischen Markt für US-amerikanische Produkte zu öffnen. Das könnte der Tausch sein für den Verzicht auf höhere Zölle auf Stahl- und Aluminiumimporte. „Trump macht keine Konzessionen. Die EU aber schon“, fürchtet Maier. Europa habe maximal den Status quo zu gewinnen. Am 15. und 16. Juni veranstaltet das Netzwerk in Frankfurt am Main eine Aktionskonferenz. Dort wird es auch um TTIP light und Trumps Handelspolitik gehen.
„Es wäre hochproblematisch, wenn das Verhalten von Donald Trump belohnt würde“, sagt Felix Kolb, Geschäftsführer der Kampagnen-Organisation Campact. Noch ist zwar nicht klar, wie ein Abkommen zwischen EU und den USA aussehen könnte. „Wenn Verhandlungen über ein Handelsabkommen zwischen der EU und den USA geführt werden sollen, braucht es ein Mandat“, sagt er.
Dieses Mandat der europäischen Länder für eine Verhandlungskommission müsse an bestimmte Bedingungen geknüpft werden. „Grundsätzlich muss ein Abkommen zum Beispiel in den Dienst des UN-Klimaabkommens gestellt werden“, fordert Kolb. Seine Organisation hat im vergangenen Jahr ein Konzept für einen fairen Welthandel vorgelegt. Die einstigen TTIP-GegnerInnen haben sich neben dem Kampf um andere Handelsabkommen wie dem kanadisch-europäischen Ceta, das sich momentan im Ratifizierungsprozess befindet, grundsätzlichen Fragen des Welthandels zugewandt,
Frei ist nicht gleich fair
Zu den derzeitigen ungerechten Handelsregeln gehört nach Auffassung von Campact, dass für Exportnationen die gleichen Vorgaben gelten wie etwa für zentralafrikanische Staaten. „Ohne Schutzzölle sind Entwicklungsländer in vielen Sektoren nicht wettbewerbsfähig“, sagt Kolb.
Damit die leistungsstarke Konkurrenz aus dem „globalen Norden“ die heimischen Märkte nicht zerstöre, sollten Entwicklungsländer geringere Verpflichtungen zur Marktöffnung eingehen als Industrieländer. „Ein selektiver Schutz sich entwickelnder Branchen – das Erfolgsrezept vieler asiatischer Länder – ist ein wichtiger Baustein für die wirtschaftliche Entwicklung. Handelsabkommen müssen das ermöglichen.“
Auch wenn sie sich punktuell für Schutzzölle einsetzen, legen die Stopp-TTIP-AktivistInnen großen Wert darauf, nicht mit Trump als Freihandelsgegner in einen Topf geworfen zu werden. Denn BefürworterInnen eines Handelsabkommens zwischen EU und den USA behaupten gern, dass die AktivistInnen genauso protektionistisch seien wie Trump.
„Das ist üble Nachrede“, sagt Maritta Strasser, künftige Bundesgeschäftsführerin der Organisation Naturfreunde. „Wir kämpfen für einen gerechten Welthandel. Damit hat Trump nichts am Hut.“ Ein gerechter Welthandel sei nicht automatisch ein freier Welthandel. „Entwicklungsländer müssen ihre Märkte schützen können, damit ihre eigenen Wirtschaftsstrukturen eine Chance haben“, sagt sie. Das ist genau das, was Trump mit seiner „America first“-Politik nicht will.
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