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Frauenhaus-Mitarbeiterin über Femizid„Das ist ein Schock“

In Hameln kam es vorvergangene Woche zu einem Femizid. Zuvor schaffte es die Frau, vor ihrem Ex-Partner in ein Frauenhaus zu flüchten.

Protest in Hameln 2016, nachdem ein Mann eine Frau am Auto durch die Stadt geschleift hatte Foto: Peter Steffen/dpa
André Zuschlag
Interview von André Zuschlag

taz: Frau Eichler, vorvergangene Woche tötete ein Mann in Hameln seine ehemalige Lebensgefährtin. Die Frau war kurz zuvor in das Frauenhaus gezogen, in dem Sie arbeiten. Wie geht es Ihnen und ihren Kolleginnen nach der Tat?

Anke Eichler: Wir waren sehr betroffen. Ich arbeite hier seit 30 Jahren und wir haben hier auch schon Morde erlebt, aber nicht an Frauen, die zu diesem Zeitpunkt im Frauenhaus wohnten. Man denkt: Die Frau ist hier sicher, wir geben ihr den Schutz, den sie braucht. Und dann passiert diese Tat. Das ist ein Schock.

Und wie geht es den anderen Frauen, die bei Ihnen unterkommen?

Die waren auch sehr erschrocken und auch sehr ängstlich. Wir haben dann Gesprächsangebote zur Aufarbeitung organisiert. Grundsätzlich hilfreich ist immer, dass sich die Frauen untereinander austauschen. Wenn sie gegenseitig von ihren Gewalt­erfahrungen berichten, merken sie, dass sie damit nicht alleine sind. Es hilft, über die Erfahrungen zu sprechen.

Man könnte annehmen, dass Frauen ab dem Moment sicher sind, in dem sie in einem Frauenhaus Schutz gesucht haben. Warum hat das nicht ausgereicht?

Ihr wurde auf dem Weg zur Arbeit aufgelauert und dann wurde sie ermordet. Sie hatte sich dafür entschieden, weiter zur Arbeit zu gehen – und das ist auch ihr gutes Recht gewesen. Sie wollte sich in ihrer Freiheit nicht einschränken lassen. Aber ja, eigentlich ist berechtigterweise anzunehmen, dass Frauen ab diesem Moment sicher sind. Und das ist in der Regel auch der Fall. Wobei immer zu bedenken ist: Die ersten Wochen nach einer Trennung oder nach einem Auszug sind die gefährlichsten.

Wie können solche Morde verhindert werden?

Es gibt ja seit Langem viele Forderungen von Frauenverbänden und -institutionen. Grundsätzlich müssen Anzeigen von Frauen ernst genommen werden. Gefährliche Täter müssen schneller verfolgt werden. Das dauert meist einfach zu lange und es werden viele Verfahren zu schnell eingestellt …

Im Interview: Anke Eichler

64, arbeitet seit knapp 30 Jahren im Hamelner Frauenhaus.

... aus Mangel an Beweisen.

Da müssten Staatsanwält*in­nen und Richter*innen vielleicht mehr sensibilisiert werden. Das ist ein wichtiger Punkt.

Aber ist denn der Schutz, also das Frauenhaus, ausreichend ausgestattet?

Das Budget für unser Frauenhaus wurde in den vergangenen Jahren erhöht, aber wir sind immer noch auf Spenden angewiesen. Es könnte höher sein.

Zu Beginn der Coronapandemie stand die Befürchtung im Raum, dass es einen massiven Anstieg an häuslicher Gewalt geben würde. Hat sich das bestätigt?

Es gibt andere Häuser, die einen deutlicheren Anstieg verzeichnet haben. Bei uns war es die ambulante Beratung, die angestiegen ist. Allerdings: Wir hatten im Frauenhaus deutlich mehr Anfragen, konnten diese aber nicht annehmen, weil wir voll waren.

Jeden dritten Tag gibt es in Deutschland einen Femizid – prägt diese Tatsache ihre tägliche Arbeit?

Eigentlich nicht, ich habe nicht die Angst, dass das nächste Woche wieder passiert. Aber die Zahlen sind erschreckend und es ist schwer zu realisieren, wie häufig das passiert. Aber wenn ich nicht eine ordentliche Portion Optimismus und Engagement mitbringe, könnte ich diese Arbeit nicht machen.

Sie hatten nun eine öffentliche Gedenkkundgebung in Hameln organisiert. Wie waren die Reaktionen?

Unterschiedlich. Viele sind stehen geblieben und haben sich das mal angeschaut. Aber weitgehend, würde ich sagen, waren die Reaktionen aufgeschlossen, interessiert und positiv.

Ich frage, weil vor drei Jahren in Hameln ein Mann seine Frau am Auto durch die Stadt geschleift hat.

Dieser Fall hatte eine große Öffentlichkeit geschaffen. Und sie hat auch die Bedeutung unserer Arbeit sichtbar gemacht. Wir bekamen plötzlich mehr Aufmerksamkeit und viele Spenden. Die öffentliche Empörung war interessanterweise damals deutlich größer als beim jetzigen Mord.

Vielleicht weil anfänglich in der lokalen Berichterstattung von „Drama“ und „Tragödie“ die Rede war und nicht direkt von einem Mord, einem Femizid gesprochen wurde?

Das ist ein Fehler. Das ist der Mord an einer Frau gewesen, weil sie eine Frau ist – ein Femizid. Wir wundern uns, dass der Täter bislang nicht als Mörder bezeichnet wurde.

Haben es Frauen in kleinen Städten und ländlichen Regionen besonders schwer, vor gewalttätigen Männern zu flüchten?

Vielleicht, ja. Deshalb verweisen wir Frauen, die aus der Umgebung kommen und massiv bedroht sind, auch meist an Frauenhäuser in anderen Städten – sofern das angesichts der Kapazitäten möglich ist.

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7 Kommentare

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  • Aus dem Artikel geht nicht hervor, ob sich die Ermordete von der Bedrohungslage wusste und ob sie das auch gesagt hat.

    Falls das so war ist es natürlich ein sehr eklatantes Beispiel für das immer weiter um sich geifende Staatversagen.

    Auf der anderen Seite kann man ohne eine konkrete Bedrohungslage wenig zur Vorbeugung tun.

    "Jeden dritten Tag gibt es in Deutschland einen Femizid" – das sind ja über hundert Morde pro Jahr - warum liest man darüber so wenig ?

    • @Bolzkopf:

      Ich habe nicht verstanden, wo da jetzt das Staatsversagen ist.

      Falls sie die Polizei meinen: Die kann den Ehemann typischerweise nur nach dem einschätzen, was die Frau ihr erzählt.

      Sie lesen über die Fälle von Ehefrauenmord so wenig, weil die Zeitungen allgemein über Mord als Beziehungstat nur im Ausnahmefall (Kinder sind Opfer, besonders grausam, etc.) berichten.

      Und das ist auch gut so.

      Stellen Sie sich den Erstklässler vor, der von seinen Schulfreunden angesprochen wird, die in der Zeitung gelesen haben, wie genau sein Vater seine Mutter umgebracht hat, und nun wissen wollen, ob das denn so stimmt.

    • @Bolzkopf:

      "Jeden dritten Tag gibt es in Deutschland einen Femizid" – das sind ja über hundert Morde pro Jahr"



      Keine Frage, das sind hudert zu viel, zum Bild gehört aber auch, dass es jedes Jahr insgesamt um die 400 Morde gibt, dass Risiko als Mann getötet zu werden ist also etwa drei Mal so hoch, gilt aber eben als normal und nicht der Rede wert.



      Das seit einiger Zeit um sich greifende Framing als "Femizid" halte ich für so unsinnig wie gefährlich, nicht um irgendetwas zu verharmlosen oder zu relativieren, sondern weil es mehr verschleiert als erklärt. Die gängige Erklärung dazu "Das ist der Mord an einer Frau gewesen, weil sie eine Frau ist – ein Femizid." vermittelt ja den Eindruck es gäbe systematische Gewalt gegen Frauen und will ja auch explizit diese Botschaft vermitteln. Man kann aber ziemlich sicher davon ausgehen, dass es diesem Täter, wie den alllermeisten Tätern eben nicht darum ging EINE Frau zu töten, sondern die Tat genau DIESER Frau galt, eben gerade weil die Beziehungsebene das zentrale Moment bei der Tat war. Eine Problemanalyse die sich auf eine systematische Gewalt gegen beliebige Frauen fokussiert und dabei die wesentliche Motivation der Täter des Narrativs Willen komplett ausblendet wird aber zu völlig anderen Schlussfolgerungen gelanten als eine die auch anerkennt, dass die Frage der Beziehung bei Beziehungs-Taten eben eine Rolle spielt.

      • @Ingo Bernable:

        Hmm ... interessanter Denkansatz.

        Gibt es hier i'wo Schutzhäuser für Männer, die vor ihrem gewaltbereiten Lebenspartner flüchten müssen ?

        • @Bolzkopf:

          Kein Grund das Problem ins Lächerliche zu ziehen. Richtig, der Anteil der Beziehungstaten ist bei diesen Morden sicher niedriger, deshalb braucht es auch andere Strategien dagegen. Das Ergebnis der Tat bleibt aber das Selbe und mir ist eigentlich auch egal warum mir jemand ans Leben will, ich würde nur lieber nicht ermordet werden.

    • @Bolzkopf:

      Weil über die einzelnen Fälle nur regional als "Familientragödie" oder so berichtet wird und eben nicht bundesweit als Femizid.



      Aber lesen kann man, insbesondere hier in der TAZ, schon darüber. Mir jedenfalls waren diese Zahlen längst bekannt.....

  • Ein fehlender Beweis ist durch die größte Sensibilität nicht zu ersetzen. Nicht in einem Rechtsstaat.

    Vielleicht wäre es ja ratsam, sich nicht ausschließlich auf die Gerichte zu verlassen, wenn es um den Schutz bedrohter Frauen geht. Mit Machtworten ist diesen Frauen nämlich nur bedingt gedient. Ein anderer Arbeitsplatz wäre in diesem Fall womöglich deutlich hilfreicher gewesen.